Mehr Waffenkontrollen, neue Aufklärungskampagnen, mehr Fahnder: Die Politik hat seit 2009 viel für die Verbesserung der Sicherheit getan. Dennoch gibt es weiter Kritik an der Regierung im Land.
Stuttgart Die Sorge über den Umgang mit Waffen in privater Hand und die Wirkung gewaltverherrlichender Computerspiele bestimmt seit 2009 auf vielfältige Weise die politische Agenda. Ein Ende ist nicht in Sicht. Aktuell kündigt das Landesinnenministerium etwa „eine weitere Änderung des Waffenrechts“ an, dabei geht es beispielsweise um die Erweiterung des Nationalen Waffenregisters (NWR). Seit Januar dieses Jahres sollen nach und nach alle gewerblichen Waffenhersteller und -händler ans Register angebunden werden. Ziel ist es, auf diese Weise Waffen „sichtbar“ zu machen, deren Verbleib bisher, etwa aufgrund einer Überlassung von einer Privatperson an einen Händler, nicht mehr lückenlos nachverfolgt werden konnte.
Erst seit 2014 wird das Waffenregister statistisch ausgewertet. Seitdem ist die Zahl der Waffen in Privatbesitz in Baden-Württemberg leicht rückläufig, aber immer noch immens. Sie sank von 705 529 Stück bei 122 637 Besitzern auf 639 068 Stück bei 118 271 Besitzern im Jahr 2017. Die Zahlen nannte das Innenministerium im November 2017 aufgrund einer Parlamentarischen Anfrage des AfD-Landtagsabgeordneten Rainer Balzer.
Kurz nach der Winnenden-Katastrophe im Jahr 2009 wartete das Land nicht auf Abstimmungen innerhalb der Innenministerkonferenz oder auf Vorgaben der Europäischen Union. Am 25. Juli wurden die Aufbewahrungsvorschriften für Privatwaffen damals verschärft. Schon bei Antragstellung auf eine Waffenbesitzkarte muss seither der Nachweis der sicheren Aufbewahrung erbracht werden. Ein von Winnenden-Hinterbliebenen gefordertes komplettes Verbot, Schusswaffen in Privatwohnungen aufzubewahren, gibt es allerdings nicht. Die Winnender Tatwaffe hatte der Vater des Schützen Tim K., ein passionierter Sportschütze, unverschlossen im Schlafzimmerschrank aufbewahrt. Er wurde deshalb 2013 in zweiter Instanz zu 18 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.
Im Zuge der Waffengesetz-Änderung stieg 2009 die Altersgrenze von 14 auf 18 Jahre, um mit Großkaliberwaffen schießen zu dürfen. Zudem durften die 148 Waffenbehörden des Landes nun auch verdachtsunabhängige Kontrollen bei Waffenbesitzern anberaumen. Und die Strafbarkeitsgrenzen wurden angehoben. Im Juli 2017 wurde die Verwendung von Waffenschränken der niedrigsten beiden Sicherheitsstufen verboten. Als besonders gefährlich geltende Munitionsarten dürfen nicht mehr verkauft, ausgemusterte Schusswaffen müssen komplett zerstört werden.
Neben der Repression setzte die Landesregierung auf die Macht des Appells, und zwar mit einer Strafverzichtsregelung. Einige Monate nach dem Amoklauf gab es als Folge der Tat eine Waffenamnestie, bei der unangemeldete Waffen straffrei abgegeben werden konnten. 2017 wurde eine weitere Amnestie angeboten. Laut dem Regierungspräsidium Stuttgart wurden von 2009 bis Ende 2017 beim baden-württembergischen Kampfmittelbeseitigungsdienst über 200 000 Waffen abgegeben, etwa ein Viertel davon waren illegal besessene Waffen.
Für entschiedene Waffengegner wie Roman Grafe ist ein Großteil solcher Bemühungen blanker Aktionismus. Grafe gründete mit anderen am Tag des Winnender Schulmassakers im März 2009 die Initiative „Keine Mordwaffen als Sportwaffen“. Im Buch „Spaß und Tod. Vom Sportwaffen-Wahn“ rollt er zehn Jahre später die Geschichte noch einmal auf und zieht Parallelen zu anderen Schulmassakern. „Bei den meisten legalen Waffenbesitzern wird überhaupt nicht regelmäßig kontrolliert“, stellt Autor Grafe fest.
Der von Grafe erhobene Vorwurf ist offenbar korrekt. Das geht aus Zahlen des Innenministeriums hervor. Demnach sind im zweiten Halbjahr 2009 gut 1500 Waffenbesitzer in Baden-Württemberg kontrolliert worden, 2012 waren es dann schon 15 500 und 2017 rund 20 500 – eine klare Steigerung immerhin. Vereinzelt klagten Landräte jedoch immer wieder über Personalmangel in ihren Kontrollbehörden. Gegenüber dem AfD-Politiker Balzer präzisierte das Ministerium Ende 2017, die Zahl der Überprüfungen, denen ein konkreter Verdacht vorausgegangen sei, habe 2016 beispielsweise bei rund 1,5 Prozent gelegen.
Nicht nur Aktivisten attackieren die Landesregierung für ihre Maßnahmen. Auch Jäger und Sportschützen tun es, jedoch aus anderen Gründen. Aktuell beispielsweise wird auch in Baden-Württemberg an der Umsetzung der EU-Feuerwaffenrichtlinie gearbeitet. Als Reaktion auf die Pariser Terroranschläge im November 2015 hatte die Europäische Union verboten, dass Privatleute bestimmte halbautomatische Waffen besitzen dürfen. Die FDP-Bundestagsfraktion mahnte dazu umgehend, es dürfe nicht zu einer „Kriminalisierung von Ehrenamt und Vereinskultur“ kommen, und forderte „Spielräume zugunsten von Jägern, Sportschützen und Waffensammlern“.
Von starken Lobbyinteressen befreit sind die Schulen im Land, doch Ärger blieb auch auf diesem Feld nicht aus. Nach dem Amoklauf kritisierten viele Schulen, sie hätten keine hinreichende Warnmeldung erhalten, als der Täter flüchtig war. Außerdem war damals das Handynetz überlastet. Deshalb besitzt nun jede Schule im Südwesten seit 2011 ein Pager-Alarmierungssystem, durch das die umliegenden Schulen im Krisenfall sofort informiert werden können.
Weil die Schulgebäude von den Kommunen verantwortet werden, gibt es keine landesweiten Vorgaben für die Sicherheitsvorkehrungen an Schulen wie Amok-Alarm-Knöpfe, wie Christine Sattler, Sprecherin des Kultusministeriums sagt. Viele Unterrichtsgebäude sind aber gemäß der Empfehlung des vom Land eingesetzten Expertenkreises Amok rasch mit Alarmsignalanlagen ausgestattet worden. Doch es zeigten sich bald Probleme. Die Schulträger engagierten unterschiedliche Anbieter, deren Technik laut dem Zentralverband Elektronindustrie „in aller Regel nicht genormt und damit im Zweifelsfall auch fehlalarmanfälliger“ ist. Die Folge: Amok-Fehlalarme landauf, landab.
Ein weiterer Mangel: Die Alarmsysteme sind bisher weitgehend nicht mit den Notrufzentralen der Polizeidienststellen verkoppelt. So können Lehrer schulintern zum Beispiel eine Warnsirene auslösen oder eine Durchsage machen. Doch irgendjemand muss, um die Polizei zu informieren, extra nochmals zum Telefon greifen. Der Grund war eine Gesetzeshürde. Erst seit 2018 können Schulen eine direkte Anbindung an die Polizeisysteme erhalten. Allerdings muss dafür meist nachgerüstet werden. Wie viele Kommunen bisher bereit waren, die Ausgaben zu tragen, darüber gibt es keine Zahlen. Es seien, teilt das Innenministerium mit, „für die Polizei BW keine direkten Einflussmöglichkeiten vorhanden“.
Das dürfte auch für den unter Jugendlichen oft verbreiteten Konsum gewaltverherrlichender Computerspiele gelten. Womöglich hat das Land hier aber am entschiedensten agiert. Da bekannt wurde, dass der Amokläufer stundenlang gewaltverherrlichende Ego-Shooter wie „Counterstrike“ spielte, empfahl der Expertenkreis Amok, die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen zu schulen. Außerdem touren Polizeibeamte durch Schulen und klären über exzessiven Medienkonsum, Gewalt und ihre Folgen auf. Im vergangenen Schuljahr haben mehr als 2300 Klassen an dem Programm teilgenommen.
Schon deutlich früher ist die Zahl der Fahnder erhöht worden. Nach Winnenden ist der Arbeitsbereich Internetrecherche beim Landeskriminalamt mit fünf Experten der Informations- und Kommunikationstechnik verstärkt worden. Die Diplom-Informatiker nehmen auch unter die Lupe, was neu an brutalen und damit potenziell gefährlichen virtuellen Spielen oder Medien auf den Markt kommt.