Selbst die Fahnder sind fassungslos

Missbrauch auf dem Campingplatz: Wie konnte es zu Gewalt in diesem Ausmaß kommen?

Von André Anwar

Lügde/Bielefeld Die Zahl der bislang bekannten Opfer von schwerem sexuellen Missbrauch auf einem Campingplatz in Lügde ist von 23 auf 29 gestiegen. Das teilte die Bielefelder Polizei am Freitag mit. Nach der Pressekonferenz zu dem Fall am Mittwoch gab es nach Angaben der Ermittler Informationen auf mögliche neue Opfer. Die Auswertung führte zu weiteren Betroffenen. Details wie Altersangaben wollte die Polizei nicht nennen.

Inzwischen hat das Polizeipräsidium Bielefeld die Ermittlungen übernommen. Der Fall habe eine solche Dimension angenommen, dass jetzt Bielefeld als übergeordnete Behörde den Fall an sich gezogen habe. „Das hat Kapazitätsgründe“, sagte ein Sprecher des NRW-Innenministeriums. Zusätzlich zu den Ermittlungen gegen die Tatverdächtigen und mehrere Jugendämter steht auch die Polizei in der Kritik. Bereits 2016 sollen zwei Hinweise auf sexuellen Missbrauch bei der Polizei Lippe eingegangen sein. Nach Telefongesprächen mit den Zeugen leiteten die Beamten die Hinweise an das Jugendamt weiter. Weitere Schritte blieben aber aus.

Die Staatsanwaltschaft Detmold hatte am Donnerstag bestätigt, dass auch gegen die Polizei ermittelt werde. Da Polizeibeamte bei Verdachtshinweisen laut Strafprozessordnung zur Verfolgung verpflichtet seien, sei diese Überprüfung jetzt folgerichtig, sagte ein Ministeriumssprecher.

Die jungen Opfer sollten sich zuerst wohlfühlen, sagte Achim Tietz vom Kriminalkommissariats der Detmolder Polizei. Für den Freundeskreis seiner Pflegetochter machte ein 56-Jähriger den Ermittlern zufolge vieles möglich. „Es wurden Lebensräume geschaffen, in denen die Kinder sich wohlfühlten, um die Straftaten zu machen.“ Seine Leute um den Leiter der Ermittlungskommission Camping, Gunnar Weiß, habe das extra motiviert, den Fall aufzuklären, so der Kommissar. „Die Arbeitszeit wurde verdoppelt. Besonders für die Frauen war das nicht leicht, darunter sind auch Mütter.“

Den Ermittlern stellt sich der Fall bisher wie folgt dar: Der Hauptverdächtige habe zusammen mit einem 33-jährigen Verdächtigen aus Steinheim die Kinder wechselweise missbraucht und dabei gefilmt. Kennengelernt hatten sich die beiden in einschlägigen Chats im Internet. Laut Ermittler verabredeten sie sich für den Missbrauch auf dem Campingplatz. Ein dritter Verdächtiger, ein 48-Jähriger aus Stade, war nicht dabei, soll aber den Missbrauch in Auftrag gegeben haben. Im Gegensatz zu den anderen beiden hat er ein Teilgeständnis abgelegt.

Weiß zeigte sich erschüttert: „Bei der Auswertung der sichergestellten Beweismittel und bei der Anhörung der Kinder kamen perfide Einzelheiten zutage, die mich und die anderen Kolleginnen und Kollegen noch lange nach Dienstende beschäftigen.“ Ins Rollen gebracht hatte die Ermittlungen eine Zeugin. Sie hatte im November 2018 Hinweise auf den Missbrauch einer Sechsjährigen gegeben. Das Mädchen ist die Freundin eines Pflegekinds, das der Hauptbeschuldigte seit 2016 betreute.