Seltsame Schlägerei und ein Messer in der Nacht

Opfer wehrt sich mit einem Taschenmesser und verletzt beide Angreifer – Motiv noch unklar

Seltsame Schlägerei und ein Messer in der Nacht

Von Bernd S. Winckler

WINTERBACH/STUTTGART. Mit einem recht ungewöhnlichen Fall von Körperverletzung und versuchter Tötung gegenüber einem 26-jährigen Opfer in Winterbach bei Schorndorf hat es jetzt eine Große Strafkammer am Stuttgarter Landgericht zu tun. Angeklagt sind zwei 18- und 23-jährige Brüder, die im März dieses Jahres einen 26-Jährigen durch Schläge und Kopftritte schwer verletzten.

Gestern hatte der Prozess wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung begonnen. Ungewöhnlich an dem Fall ist allerdings, dass nicht nur das Opfer durch Schläge und Fußtritte schwer verletzt wurde. Sondern dass der Mann in Notwehr ein Messer gegen seine beiden Angreifer einsetzte und diese ebenfalls so schwer verletzte, dass sie im Krankenhaus landeten. Nach den Feststellungen der Staatsanwaltschaft soll das Brüderpaar in der Nacht zum 3. März in der Ortsmitte von Winterbach, nahe der Volksbank, mit dem späteren 26-jährigen Opfer ohne ersichtlichen Grund in Streit geraten sein. Dabei haben sie den Mann auch geschlagen. Im Zuge der Auseinandersetzung verlor der 26-Jährige sein Mobiltelefon und kehrte 15 Minuten später an den Ort des Geschehens zurück, um danach zu suchen.

Dabei soll es erneut zu einem schlagfesten Zusammentreffen mit den beiden angeklagten Brüdern gekommen sein, die dem Mann nunmehr eine Abreibung erteilen wollten, wobei das Opfer zu Boden geworfen wurde. Während der ältere der Brüder den Mann festhielt, soll der Jüngere zuerst mit Fäusten auf den 26-Jährigen eingeschlagen haben.

Dann, so die Anklage weiter, hätte der Mann mit Schuhen auf den am Boden Liegenden eingetreten, wobei man den möglichen Tod des Mannes billigend in Kauf genommen habe. Ein jähes Ende der Schläge soll es allerdings gegeben haben, weil der am Boden liegende 26-Jährige plötzlich ein kleines Taschenmesser aufklappte und sich damit gegen weitere Schläge der Angeklagten wehrte. Die von ihm in Abwehr ausgeführten Stichbewegungen trafen die Angeklagten am Kopf und an der Schulter. Die Folge: Auch sie landeten letztlich mit schweren Verletzungen im Schorndorfer Kreiskrankenhaus. Einer musste sogar operiert werden. Das Opfer selbst erlitt durch die Fußtritte an den Kopf multiple Verletzungen sowie im Gesicht erhebliche Prellungen und eine schwere Nasenbeinfraktur.

Der Ältere des Brüderpaares ist dem Gericht bereits durch drei Vorverurteilungen bekannt: Die Amtsgerichte Schorndorf und Waiblingen maßregelten ihn wegen Körperverletzung, Unterschlagung und Rauschgiftbesitzes. Die letzte verhängte 1000-Euro-Geldstrafe sei jedoch voll bezahlt worden, sagt er dem Gericht. Zu den jetzt angeklagten Vorwürfen wollen er und sein neben ihm sitzender jüngerer Bruder keinerlei Angaben machen. Was sie zugeben, ist ihr Konsum von Marihuana. Der heute 18-Jährige sagt, er konsumiere seit dem 14. Lebensjahr, sei aber nicht abhängig und will den Realschulabschluss nachholen. Sein älterer Bruder gibt als Beruf Altenpfleger an und will nach der Haftentlassung seine Freundin heiraten und eine Familie gründen.

Das 26-jährige Opfer gibt im Zeugenstand zu, dass er sich mit seinem Messer gegen die Schläge zur Wehr gesetzt und auch zugestochen und getroffen habe. Allerdings habe er zuvor in Stuttgart reichlich tief ins Glas geschaut: zwei bis drei Biere, einen Kurzen und weitere drei Glas Cola-Gemisch. Betrunken sei er jedoch nicht gewesen. Auf dem Heimweg zu Fuß in Winterbach sei er dann zusammen mit seiner Freundin plötzlich von den beiden Angeklagten überfallen worden, nachdem er sich bei ihnen wegen Beleidigungen gegen die Freundin beschwerte: „Die nahmen mich brutal in den Schwitzkasten und schlugen mit Fäusten auf mich ein. Da hatte ich mich mit dem Messer gewehrt.“

Der 26-Jährige wurde in der Nacht ebenfalls festgenommen. Die Ermittlungen gegen ihn wegen eines gleichartigen Vorwurfs einer versuchten Tötung sind allerdings vom Tisch. Er hat wohl in Notwehr gehandelt, sagt die Staatsanwaltschaft. Und ob er bei den polizeilichen Vernehmungen damals die Wahrheit sagte, ist in seiner gestrigen richterlichen Zeugenaussage thematisiert worden. Es könne sein, so der Zeuge, dass er nicht ganz die Wahrheit sagte und einiges aufgebauscht habe.

Sieben Verhandlungstage hat die 4. Große Strafkammer angesetzt, um die Hintergründe der nächtlichen Schlägerei aufzuhellen. Selbst der Staatsanwaltschaft ist unklar, wo das Motiv liegt. „Könnte es sein, dass da mal ein Drogengeschäft gewesen ist?“, fragt die Vorsitzende Richterin. Darauf jedoch will der Zeuge keine Antwort geben.