Semesterstart verzögert sich wegen Coronavirus

dpa/lsw Stuttgart. Das Coronavirus infiziert das Leben im Südwesten. Die Hochschulen im Land verschieben ihren Semesterstart, das Stuttgarter Frühlingsfest ist abgesagt, das Elsass ist nun Risikogebiet. Millionen Menschen sind betroffen.

Semesterstart verzögert sich wegen Coronavirus

Eine Frau zeigt in einem Labor des einen Test für das neue Virus 2019-nCov. Foto: Sebastian Gollnow/dpa/Symbolbild

Das grassierende Coronavirus wirkt sich mit jedem Tag stärker auf den Alltag im Südwesten aus. Der Start des Sommersemesters an den Hochschulen im Land wird auf nach Ostern verschoben. Das traditionsreiche Stuttgarter Frühlingsfest wurde abgesagt. Die Gymnasiallehrer in Baden-Württemberg fordern eine präventive Schließung aller Schulen bis Ostern - die Landesregierung ist aber weiter gegen pauschale Schulschließungen. Das Robert Koch-Institut (RKI) stufte die an Deutschland grenzenden ostfranzösischen Gebiete Elsass und Lothringen als Coronavirus-Risikogebiete ein - das betrifft viele Pendler im Land.

Die Zahl der mit dem Virus Sars-CoV-2 infizierten Patienten im Südwesten stieg bis Mittwochabend auf 335. Das teilte das Gesundheitsministerium mit. Es werden vom Landesgesundheitsamt 58 weitere Fälle gemeldet.

HOCHSCHULEN: Der Vorlesungsbetrieb startet für alle Studenten im Land erst nach den Osterferien. Seminare und Vorlesungen beginnen damit frühestens am 20. April. Das Wissenschaftsministerium bestätigte einen Bericht von „Mannheimer Morgen“ und „Heilbronner Stimme“. „Wir wollen den Prozess der Ausbreitung verlangsamen“, begründete Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) die Anweisung. Nach Angaben eines Sprechers betrifft die Regelung die Vorlesungen, nicht die Forschung. In den meisten Hochschulen für angewandte Wissenschaften hätte der Vorlesungsbetrieb regulär am Montag (16. März) starten sollen, an den meisten Unis im April. Allein an den Fachhochschulen studieren mehr als 110 000 Menschen im Südwesten.

SCHULEN: Die Gymnasiallehrer im Südwesten fordern, präventiv alle Schulen bis Ostern zu schließen. „Wenn nicht sofort drastische Maßnahmen zur Eindämmung eingeleitet werden, könnten in drei Wochen in Baden-Württemberg Zehntausende infiziert sein“, teilte der Philologenverband mit. „Dass der Philologenverband nun den Ausnahmezustand ausruft, halte ich für unverantwortlich“, entgegnete Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU). Man agiere weiter besonnen und auf Basis der Einschätzung der Gesundheitsämter. Der Schulbetrieb sei keine Großveranstaltung, da sich die Schüler überwiegend in kleinen Gruppen aufhielten, sagte Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne). In einer Schule sei es außerdem möglich, Infektionsketten nachzuverfolgen, da die Namen der Schüler bekannt sind.

FRÜHLINGSFEST: Das Volksfest auf dem Cannstatter Wasen findet in diesem Jahr nicht statt. Das nach Angaben der Veranstalter größte Frühlingsfest Europas werde abgesagt, teilte die Stadt Stuttgart mit. Das Fest zieht normalerweise mehr als eine Million Besucher an. Vor allem für die etwa 240 Schausteller, Wirte und Marktkaufleute ist das Aus für das Frühlingsfest ein schwerer Schlag. Nach einer Marketingstudie arbeiten etwa 10 000 Menschen direkt oder indirekt für das Stuttgarter Frühlingsfest.

THEATER: Der Spielbetrieb an den Staatstheatern Stuttgart und Karlsruhe wird bis nach den Osterferien eingestellt, wie das Kunstministerium mitteilte. Zuerst hatten „Mannheimer Morgen“ und „Heilbronner Stimme“ berichtet. Die Proben für neue Stücke könnten weitergehen. Der Vorschlag, die Besucherzahl für einzelne Aufführungen auf 999 zu beschränken, wurde abgelehnt.

FRANKREICH: Die ostfranzösischen Gebiete Elsass und Lothringen sind nun offiziell Coronavirus-Risikogebiet. Das gab das RKI bekannt. Risikogebiete sind Gegenden, in denen eine fortgesetzte Virusübertragung von Mensch zu Mensch vermutet werden kann. Alle Einreisenden aus dem Gebiet müssten zunächst zwei Wochen zu Hause bleiben, hieß es aus dem Gesundheitsministerium. Menschen mit Symptomen müssen sich testen lassen. Etwa 46 000 Berufstätige pendeln täglich aus dem Elsass ins Badische zur Arbeit; in der Gegenrichtung sind es 2000. Die Stadt Karlsruhe hat ihre Mitarbeiter aus dem Elsass gebeten, zu Hause zu bleiben. Das betreffe zwölf Menschen.

WIRTSCHAFT: Die Fraktionen im Landtag waren sich einig, dass nun schnelle und unkomplizierte Hilfe für die Wirtschaft gefragt ist - unter anderem mit Geld aus Haushaltsrücklagen. Wie genau die Hilfen aussehen sollen, ist dagegen umstritten. Das Hilfspaket, das die Bundesregierung angekündigt hat und das unter anderem den Zugang zur Kurzarbeit erleichtern soll, geht vielen im Land nicht weit genug. Zur Debatte stehen Liquiditätshilfen, Steuerstundungen, Bürgschaften, Überbrückungskredite und Investitionsprogramme der öffentlichen Hand.

GROSSVERANSTALTUNGEN: Neben Bayern und vielen weiteren Bundesländern hat auch Baden-Württemberg Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern offiziell verboten. Die Verordnung wurde am Mittwoch veröffentlicht.

WEITERE ABSAGEN: Die nach Veranstalterangaben größte Regionalmesse Deutschlands, der Mannheimer Maimarkt vom 25. April bis 5. Mai, wird den aktuellen Planungen zufolge nicht stattfinden. Zuletzt war die bis ins 17. Jahrhundert zurückgehende Verbraucherschau im Zweiten Weltkrieg ausgefallen. Der Landtag hat alle Einladungen für Besuchergruppen und Veranstaltungen im Haus bis 17. April abgesagt. Plenar- und Ausschusssitzungen sollen weiter stattfinden - nur ohne Besucher. Die Stadt Bad Herrenalb (Kreis Calw) hat für die Monate März und April alle städtischen Veranstaltungen abgesagt.

MESSEN UND AUSSTELLUNGEN: Bei der Messe Stuttgart stehen für April acht Gastveranstaltungen an. Hinzu kämen eigene Veranstaltungen wie die Frühjahrsmessen Mitte April sowie die Invest, eine Leitmesse für Finanzen und Geldanlagen, sagte ein Sprecher. Nach dem jetzigen Stand könnten die Schauen stattfinden. Die Landesgartenschau in Überlingen soll nach derzeitigem Stand wie geplant am 23. April starten.

FAHRVERBOTE: Das Verkehrsministerium hat nachgeordnete Behörden gebeten, auf Kontrollen des Sonn- und Feiertagsfahrverbots bis zum 5. April zu verzichten. Versorgungsengpässe sollen so vermieden werden.

TELEMEDIZIN: Das Coronavirus sorgt für eine höhere Nachfrage beim Telemedizinangebot „docdirekt“. Derzeit seien es mit ein paar Hundert Telefonaten pro Tag etwa doppelt so viele wie sonst, sagte ein Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, die das Angebot betreibt. „docdirekt“ fange - ebenso wie der ärztliche Bereitschaftsdienst unter der Telefonnummer 116117 - viele beunruhigte Patienten ab, die sonst in den Arztpraxen sitzen würden. Allerdings könnten die Telemediziner die Patienten nur beraten und gegebenenfalls an den Hausarzt weiterverweisen.

EUROPA-PARK: Deutschlands größter Freizeitpark werde seine Sommersaison wie geplant am 28. März starten, sagte eine Sprecherin. Einzelne Wartebereiche würden umgestaltet, um Menschen eine größere Distanz zueinander zu ermöglichen. Zudem seien erste Großveranstaltungen in dem Park abgesagt worden, unter anderem die für Anfang April geplante Verleihung des Radio-Regenbogen-Awards. Die ganzjährig betriebene Wasserwelt „Rulantica“ bleibe geöffnet. Mit Blick auf das Personal werde neu geplant - rund die Hälfte der Beschäftigten in dem Wasserpark komme aus Frankreich.

Semesterstart verzögert sich wegen Coronavirus

Studenten sitzen in der Universität Heidelberg bei der Begrüßung der Erstsemster-Studenten in einem Hörsaal. Foto: Uwe Anspach/dpa/Archivbild