Der Staat muss konsequent digitalisiert werden, Rücksicht auf die Alten darf dabei keine Ausrede sein.
Von Eidos Import
Es fängt im Kleinen an. Die Fluggesellschaft Ryanair hat erklärt, dass sie künftig nur noch digitale Bordkarten zulässt. Wer nicht online eincheckt und kein Smartphone hat, kann nicht mitreisen. Digital, ohne Alternative – es ist keine allzu kühne Prognose, dass das die Zukunft ist. Wer sich auf der Straße oder im Bus umsieht, erkennt, dass das Benutzen eines Smartphones fast so weit verbreitet ist wie das Tragen von Schuhen.
Doch der Staat spiegelt das nicht wider. Bund, Länder und Gemeinden hinken bei der Digitalisierung hinterher. Die Verwaltung entspricht nicht einem Stand, wie man ihn von der drittgrößten Volkswirtschaft der Erde erwarten würde. Vorzeigeländer wie Dänemark und Estland in der europäischen Nachbarschaft sind längst weiter. In der Ukraine gibt es seit Jahren eine App, mit der man sich ausweisen, ein Unternehmen gründen, Bescheinigungen herunterladen, Leistungen beantragen und Steuern bezahlen kann. In Deutschland ist man vielfach auf den Gang zum Amt angewiesen.
Mancher sieht darin sogar einen Vorteil. Angesichts der alternden Bevölkerung soll niemand durch zu viel Digitalisierung überfordert werden, lautet das Argument. Doch Rücksicht auf die ältere Generation darf kein Argument gegen die Digitalisierung sein – und auch die Alten in Deutschland sollten sich anstrengen, mit der Zeit zu gehen.
Die Zahlen beweisen ohnehin, dass die Bürger längst digitaler sind als ihr Staat. Nahezu jeder unter 65 nutzt laut Umfragen das Internet, bei den 65- bis 74-Jährigen sind es 88 Prozent. In der Altersgruppe darüber sind es immer noch mehr als die Hälfte. Diese Zahlen werden in Zukunft weiter ansteigen.
Der Kern des Problems liegt ohnehin woanders. So wie Digitalisierung in Deutschland oft gestaltet ist, überfordert sie möglicherweise einen 82-Jährigen – aber dessen 22-jährige Enkelin ebenso. Prozesse sind zu kompliziert, nicht nutzerfreundlich. Einen schlechten analogen Vorgang zu einem schlechten digitalen zu machen, darf nicht das Ziel sein. Warum man bei vielen Formularen erneut Namen, Adresse und Geburtsdatum angeben muss, obwohl diese dem Staat bekannt sind, erschließt sich nicht.
Angesichts solcher Erfahrungen kann man manche ältere Menschen verstehen, die sich nicht mit unverständlichen digitalen Prozessen auseinandersetzen wollen. Umgekehrt steigt die Akzeptanz von digitalen Angeboten, wenn sie leicht zu benutzen sind und der Mehrwert sofort erkennbar ist – etwa wenn man für den Behördengang auf dem Sofa sitzen bleiben kann.
Dass der Staat seine Hausaufgaben machen muss, entbindet den Einzelnen nicht davon, sich weiterzubilden. Man muss mit der Zeit gehen. Schließlich besteht heute niemand mehr darauf, dass man sein Formular in Sütterlin ausfüllen darf. Es ist keine Schande, wenn der Umgang mit Computer und Co. einem nicht zufliegt. Unterstützung gibt es nicht nur durch Freunde und Familie, sondern auch in kostenlosen Kursen, oftmals geleitet von anderen Senioren. Der Staat sollte dafür sorgen, dass diese bekannter und auskömmlich finanziert werden.
Es wird immer Menschen geben, die Hilfe bei Amtsvorgängen brauchen, Menschen mit bestimmten Einschränkungen etwa. Estland und Dänemark haben auf solche Gruppen zugeschnittene Angebote längst eingeführt. Stärker digitalisierte Gesellschaften sind nicht automatisch weniger inklusiv.
Unsere heutige Welt wird immer digitaler. Was im Kleinen anfängt, wird immer mehr zur Regel werden. Die Gesellschaft und der Staat müssen darauf achten, dass alle mitgenommen werden. Aber die ältere Generation darf sich auch nicht selbst abhängen.