Serie rechtsextremer „NSU 2.0“-Drohmails reißt nicht ab

dpa Wiesbaden/Berlin. Immer wieder tauchen weitere rechtsextreme Drohmails auf. Wer steckt hinter „NSU 2.0“? Und was hat die hessische Polizei damit zu tun? Noch gibt es viele offene Fragen.

Serie rechtsextremer „NSU 2.0“-Drohmails reißt nicht ab

Hessens Innenminister Peter Beuth spricht in Wiesbaden. Foto: Arne Dedert/dpa

Die Serie rechtsextremer Drohmails mit der Unterschrift „NSU 2.0“ reißt nicht ab. Ein anonymer Verfasser habe am Freitag mindestens zwei E-Mails mit identischem Inhalt an insgesamt 15 Adressaten geschickt, berichtete die „Welt am Sonntag“.

Zu den Empfängern sollen demnach neben Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) auch die Linken-Politikerin Janine Wissler und die Kabarettistin Idil Baydar gehören. Die beiden Frauen hatten schon früher Drohschreiben erhalten. Auch nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur ging eine neue derartige E-Mail an eine Reihe von in der Öffentlichkeit bekannten Empfängern.

Nach Ansicht der FDP sollte der Generalbundesanwalt die Ermittlungen zu den Drohmails übernehmen. „Die Bedrohungen zeigen, dass es dem Täter darum geht, Personen mit wichtigen Funktionen in unserer pluralistischen Gesellschaft einzuschüchtern“, sagte der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle der „Welt“ (Montag). „Um dem Staatsschutz-Charakter der Vorfälle Rechnung zu tragen, sollte deshalb der Generalbundesanwalt (GBA) die Ermittlungen übernehmen.“

Das fordert auch die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner. „Man wird nicht darum herum kommen, dass man bundesweit eine ermittlungsführende Behörde hat“, sagte Renner der „Frankfurter Rundschau“ (Montag). „Das kann nur der GBA sein.“ Sie ergänzte: „Mein Eindruck ist, dass die Kommunikation, der Informationsaustausch und die Ermittlungsstrategie zwischen dem LKA Hessen, dem LKA Berlin und dem BKA nicht wirklich abgestimmt ist.“ Dadurch seien „Querbezüge zu anderen Komplexen“ nicht ausreichend im Fokus der Ermittler. Renner war ebenfalls unter den Empfängerinnen rechtsextremer Drohmails.

Die „Welt am Sonntag“ berichtete, in dem ihr vorliegenden Schreiben tauche erstmals der Name des „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel auf. Nach Informationen der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ sind neben den bislang bekannten Fällen auch zwei weitere Frauen Ziel von Drohschreiben gewesen. Eine Berliner Kolumnistin sowie eine Strafverteidigerin aus München hätten der Zeitung gesagt, die hessische Polizei habe sie im vergangenen Jahr informiert, dass Briefe abgefangen worden seien, die derselben Quelle zugerechnet würden. Beide Frauen wollten zu ihrem Schutz anonym bleiben.

Ein Sprecher des hessischen Innenministeriums in Wiesbaden sagte, bei solchen Drohmails entscheide die zuständige Staatsanwaltschaft, was der Öffentlichkeit mitgeteilt werden könne. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Frankfurt sagte am Sonntag auf Anfrage, die Ermittlungsbehörde könne frühestens am Montag Auskunft zu diesen Informationen erteilen.

Der Journalist Yücel sagte der „Welt am Sonntag“: „Ich finde es verstörend, dass ich erst durch die Recherchen meiner Welt-Kollegen von diesem Drohschreiben erfahren habe.“ Weder die Polizei in Hessen noch in Berlin, wo Yücel lebt, habe sich bislang mit ihm in Verbindung gesetzt. Der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Frank Überall, sagte dazu: „Wenn einzelne Betroffene, darunter „Welt“- Korrespondent Deniz Yücel, von der Polizei nicht über eine gegen sie gerichtete Morddrohung informiert werden, stimmt etwas nicht mit der Sorgfalt der Ermittlungen.“

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer mahnt angesichts der Serie rechtsextremer Drohmails und steigender Gewaltbereitschaft besseren Schutz für ehrenamtliche Politiker an. „Es ist notwendig, dass ein Zeichen gesetzt wird, dass Gewalt nicht akzeptabel ist. Nicht gegen Menschen, nicht gegen Sachen. Und egal gegen welche Gruppe sie sich richtet“, sagte Kramp-Karrenbauer der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Ich möchte vor allem diejenigen auch in die Solidarität aufnehmen, die ehrenamtlich Politik machen. Etwa die vielen Kommunalpolitiker, die oft auch gefährdet sind. Auch sie müssen Schutz erfahren.“

Die Staatsanwaltschaft ermittelt in Deutschland bereits wegen mehrerer Fälle von rechtsextremen Drohschreiben. Einige der Mails waren mit „NSU 2.0“ unterzeichnet. In mindestens drei Fällen waren zuvor persönliche Daten der Betroffenen von hessischen Polizeicomputern abgefragt worden. Landesinnenminister Beuth schließt nicht aus, dass es ein rechtes Netzwerk in der hessischen Polizei geben könnte. Ein Sonderermittler wurde eingesetzt.

„Offensichtlich gibt es in Hessen erhebliche Probleme im Zuständigkeitsbereich des Innenministers“, sagte SPD-Chefin Saskia Esken dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND, Samstag). Kritik an Beuth kam auch vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK): „Der BDK Hessen hält die von Herrn Minister Beuth am 9. Juli öffentlich geäußerte Kritik gegenüber dem LKA für verfrüht und vor allem in der Sache und auch im Ton nicht angebracht“, sagte der hessische BDK-Chef Dirk Peglow der „Welt“. Beuth hatte damals kritisiert, dass das LKA Informationen nicht weitergegeben habe.

Die Bezeichnung „NSU 2.0“ bezieht sich auf die Terrorgruppe NSU („Nationalsozialistischer Untergrund“), die zwischen 2000 und 2007 in Deutschland zehn Menschen ermordete. Bei den Opfern handelte es sich um acht türkischstämmige und einen griechischstämmigen Kleinunternehmer sowie eine Polizistin.

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