Sicherheitspolitik wurde 35 Jahren lang so gemacht, als gebe es keine Bedrohungen. Heute ist Deutschland kaum einer Herausforderung gewachsen.
Deutschland ist vielfach bedroht: drohender Krieg, Terrorismus, organisierte Kriminalität, Cyberspionage und -angriffe. Fit ist das Land für diese Herausforderung nicht.
Von Franz Feyder
Drohnen über dem Münchener Flughafen, Sabotage auf Steuerungssysteme der Deutschen Bahn, virtuelle Angriffe auf die digitalen Netzwerke kritischer Infrastruktur wie Kraftwerke oder Krankenhäuser – nahezu täglich wird Deutschland angegriffen: von staatlichen Akteuren ebenso wie von Kriminellen und Terroristen. Wie sicher ist das Land? Wo sind die Herausforderungen? Wie nimmt Deutschland sie an?
Welchen sicherheitspolitischen Herausforderungen hat Deutschland?
Sicherheitspolitik ist im 21. Jahrhundert nicht mehr in innere und äußere Sicherheit zu unterteilen: Cyberangriffe und -spionage staatlicher Akteure wie China, Iran, Nordkorea oder Russland machen eine Unterscheidung ebenso unmöglich wie Drohnenüberflüge, die Nationen initiieren. Aktuell wird Deutschland in fünf sich überlagernden Bereichen bedroht: Russlands Krieg gegen die Ukraine und seine ständig zunehmende, aggressiv-hybrid geführte Bedrohung Westeuropas. Zunehmend gewalttätig werdende Straftaten im Bereich der politisch motivierten Kriminalität. Islamistischer, rechts- und linksextremistischer Terrorismus. Cyberoperationen mit kriminellem wie hybridem Charakter. Organisierte, grenzüberschreitende Kriminalität im Bereich von Drogen, Schleusung von Menschen und Geldwäsche. Alle Kriminalitätsfelder werden dabei teilweise auch durch staatliche Akteure initiiert und finanziert.
Wie ist Deutschland auf diese Herausforderungen eingestellt?
Schlecht bis gar nicht. Beispiel Drohnen: Bereits 2014 berichtete unsere Zeitung erstmals darüber, dass islamistische Terroristen bei Anschlägen im Irak handelsübliche Drohnen verwendeten, die sie zu Trägern für Hand- und Mörsergranaten umgebaut hatten. Seitdem hat sich die Technik rasant weiterentwickelt: Drohnen, die mit Funkfrequenzen geflogen werden, werden in der Ukraine immer weniger. Stattdessen steuern die Piloten ihre Flugobjekte dort mit Hilfe von abgespulten Glasfaserkabeln. Erst seit diesem Jahr gehen deutsche Politiker das Problem ernsthaft an. Und setzen gerade im Inneren Deutschlands auf die Bekämpfung funkgesteuerter Drohnen – und auf die Bundeswehr. Die aber hinkt der Entwicklung selbst hinterher: Sie könne Drohnen, sagte gerade ein Soldat eines Abwehrtrupps während der Übung „Red Storm Bravo“ in Hamburg der Reservistenzeitschrift „Loyal“, schon recht gut bekämpfen – zumindest, wenn es handelsübliche Quadrokopter sind.
Wo liegen die Probleme vor allem?
Die Probleme liegen zum einen in der Bürokratie. So verzögert und verteuert sich der Ausbau des Luftwaffen Fliegerhorstes im rheinland-pfälzischen Büchel, auf dem ab 2027 in den USA gekaufte F-35-Kampfjets stationiert werden sollen durch Bauvorschriften und -auflagen. Es gibt kein Bundesland, in dem flächendeckend die Polizei die Bevölkerung gegen Angriffe mit Drohnen schützen kann. Von einer Bekämpfung von Glasfaserkabel gelenkten Drohnen, ganz zu schweigen. Zu viele Politiker sind im Modus von Wir-sind-so-gut-Botschaften, statt den Bürgern die Probleme klar zu benennen: So feiert sich Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) seit Jahren für die größte Einstellungsoffensive bei der Polizei. Tatsächlich ersetzt er aber im Wesentlichen nur die Polizisten, die pensioniert werden oder kündigen. Das Land belegt seit Jahren den vor- oder letzten Platz im Ländervergleich der Versorgung mit Polizisten.
Wie konnte es so weit kommen?
Nach der deutschen Wiedervereinigung und dem Zerfall des Warschauer Paktes zum Beginn der 1990er Jahre wurden in den Haushalten die Gelder für innere und äußere Sicherheit gestrichen, für andere politische Projekte ausgegeben. Zudem wurde Ausrüstung der Bundeswehr verkauft. So verfügte die Bundeswehr 1990 über 39 Flugabwehrsysteme des Typs Patriot. Heute noch über acht. Dieselben Systeme werden jetzt wieder gekauft. Investiert wurde in Sicherheit nur, wenn ein Ereignis wie die Terroranschläge in Paris 2015 dies forderten. Hinweise, dass sich die Welt sicherheitspolitisch dramatisch veränderte, gab es seit Beginn der 2000er Jahre zuhauf: Terrorismus, Aufrüstung in Russland und China, eine sich modern und vor allem digital entwickelnde Kriminalität. Die Anzeichen wurden mehr als 20 Jahre konsequent ignoriert oder kleingeredet.
Was ist das Fazit dieser Lage?
Sicherheitspolitisch wird Deutschland mit den im Winter beschlossen Sondervermögen von 400 Milliarden Euro allenfalls die Löcher stopfen können, die in den vergangenen 35 Jahren entstanden. Damit kann vielleicht der Bedrohung durch Russland begegnet werden, von der gerade erst die US-Denkfabrik „The Institute for the Study of War“ (ISW) schrieb, dass es in die „Phase 0“eingetreten sei: „Russland hat längerfristige Pläne auf den Weg gebracht, die Teil der Vorbereitungen für einen künftigen Krieg zwischen Russland und der Nato sein könnten.“ Fit für die sicherheitspolitischen Herausforderung ist Deutschland derzeit nicht.