Sie posten, um zu gewinnen

Bundestagswahl 2021: Vor der Bundestagswahl präsentieren sich die Kandidatinnen und Kandidaten nicht nur auf Vor-Ort-Veranstaltungen und in klassischen Medien wie Zeitung, Radio oder Fernsehen. Die meisten nutzen auch soziale Medien für ihren Wahlkampf. Eine Analyse.

Sie posten, um zu gewinnen

Auf Facebook sind alle Kandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien präsent – bis auf Annette Keles. Die Kandidatin der Linken stellt sich den Wählerinnen und Wählern nur auf ihrer Website vor. Collage: S. Horn

Von Melanie Maier

Rems-Murr. Soziale Medien wie Facebook, Twitter und Instagram spielen im Wahlkampf eine zunehmend wichtige Rolle. Auf ihnen können sich die Kandidatinnen und Kandidaten so präsentieren, wie sie es möchten, und direkt mit ihren Wählern ins Gespräch kommen. Auch im Wahlkreis 269 Backnang/Schwäbisch Gmünd nutzen fast alle Politiker, die sich um ein Mandat bewerben, Social Media. Aber wie und wie oft?

Inge Gräßle findet man auf Facebook unter ihrem Namen. Die CDU-Politikerin hat 1329 Facebook-Freunde und wird von 73 Personen abonniert (Stand: 19. September). Gräßle postet in der Regel mehrmals am Tag. Inhaltlich geht es vor allem um Wahlkampftermine. Die Zahl der Likes, die sie für ihre Posts bekommt, ist jedoch überschaubar. Meist sind es zwischen 15 und 35, dazu ein bis zwei Kommentare – oft auch von CDU-Gegnern. Eine Antwort erhalten sie jedoch fast nie. Die Politikerin scheint ihre Social-Media-Kanäle eher als Einwegkanal zu begreifen – womit sie nicht allein ist. Auch auf Instagram (@inge.graessle) findet kaum ein Austausch mit ihren aktuell 1248 Abonnenten statt. 159 Beiträge hat sie bisher veröffentlich; fast immer dieselben Fotos wie auf Facebook. Pro Bild oder Video sammelt Gräßle acht bis 80 Likes, Kommentare seltener. Die Politikerin siezt ihre Follower, was auf Instagram sehr unüblich ist. Ihr erstes Bild hat sie vor fast einem Jahr gepostet, es zeigt sie bei der Ernennung zur Bundestagskandidatin und hat 18 Likes. Inzwischen sind es etwa zwei Fotos pro Tag. Privates postet Gräßle so gut wie gar nicht. Aufmerksame Follower wissen aber, dass sie Pferde mag, und kennen ihre neue Büroeinrichtung. Auf Twitter hat sich Gräßle im Dezember 2011 registriert. Dort hat sie 2120 Follower. Dennoch ist sie auf der Plattform kaum aktiv (in diesem Monat erst dreimal). Statt eigene Tweets zu posten retweetet sie vor allem die Tweets anderer CDU-Politiker oder die von Medien wie der FAZ. Auf Twitter teilt sie am meisten aus – vor allem gegenüber Scholz und Baerbock.

Obwohl Tim-Luka Schwab mit seinen 21 Jahren der Social-Media-affinste der sechs Bewerberinnen und Bewerber sein müsste, nutzt der SPD-Kandidat Twitter nicht. Auf Facebook findet man ihn dagegen gleich zweimal. Sein privates Profil, das mittlerweile aber auch im Wahlkampfmodus ist, läuft unter dem Namen „Tim Schwab“, das Kandidatenprofil unter „Tim-Luka Schwab“. Letzteres haben momentan 400 Personen abonniert. Dort postet Schwab fast täglich Fotos und Videos von Wahlkampfveranstaltungen. Darunter stehen teils negative Kommentare, doch auch viele von Unterstützern. Die meisten Kritiken zielen auf Schwabs Alter ab. Darauf kontert er meist nur indirekt mit dem Hashtag #jaichbinjung. Im Vergleich zu den anderen Kandidaten setzt er sich am häufigsten mit Reaktionen auseinander – sowohl mit den positiven als auch negativen. Auf Instagram (@tim_schwab_spd) hat Tim-Luka Schwab 731 Abonnenten. Dort möchte er seinen Wahlkampfalltag zeigen. Den ersten Beitrag setzte er am 8. Januar dieses Jahres ab, er zeigt ihn nach der Ernennung zum Bundestagskandidaten und hat 97 Likes. Die Bilder sind oft dieselben wie bei Facebook, ab und zu ist Schwab aber auch beim Essen, Joggen oder Flyerverteilen zu sehen. Auch er teilt ab und zu aus, es trifft vor allem die AfD.

Twitter oder Instagram nutzt Andreas Wörner nicht. Der AfD-Politiker ist nur auf Facebook aktiv (Andreas Woerner). Dort hat er 370 Freunde; zum Großteil wohl private Freunde und Bekannte. Wörner postet meist mehrmals täglich, manchmal fast im Minutentakt. Am 12. September etwa hat er um 10.09, 10.17, 10.19, 10.28 und 19.51 Uhr Beiträge veröffentlicht. Den Großteil postet er kommentarlos. Oft sind es die Tweets von anderen, die gegen andere Parteien oder Politikerinnen wie Angela Merkel oder Annalena Baerbock wettern oder sich für die Inhalte der AfD aussprechen. Er teilt auch Fotos von Wahlkampfveranstaltungen von Parteikollegen. Eigene Beiträge sind selten – genau wie Likes oder Kommentare. Die wenigen, die er bekommt, sind meist auf seiner Linie. Einige kritische Aussagen sowie Kommentare von offensichtlich gefakten Profilen sind auch dabei. Einen Einblick in sein Privatleben bekommt man vor allem durch seine Fotos. Im Laufe der Jahre hat Wörner unter anderem viele Landschaftsbilder (ein blühender Baum, schneebedeckte Äcker) und Urlaubsfotos gepostet.

Ricarda Lang ist die Politikerin, die sich von den genannten am öftesten mit Hasskommentaren auseinandersetzen muss. In der Regel richten sich diese gegen ihr Aussehen statt ihre Inhalte. Am geballtesten kommen sie bei Facebook, wo die Grünen-Kandidatin mit ihrem Namen zu finden ist. Aber auch auf Twitter (@Ricarda_Lang) und Instagram (@ricardalong) bleibt sie nicht davon verschont – wobei sie auch viele Kommentare von Unterstützern bekommt. Auf Facebook hat Lang 1482 Abonnenten, bei Instagram sind es rund 175000, auf Twitter 53337. Ihre große Reichweite liegt wohl zum einen daran, dass Lang weiß, wie man Social Media sinnvoll einsetzt, zum anderen daran, dass sie sehr oft postet. Auf Twitter ist sie in der Regel mehrmals täglich aktiv. Angemeldet hat sie sich im Mai 2013. Seither hat sie rund 13800 Tweets abgesetzt. Meist handelt es sich um politische Aussagen, aber auch Fotos von Wahlkampfterminen und Seitenhiebe – vor allem gegenüber CDU und CSU – kommen vor. Ihre Posts bekommen in der Regel viel Resonanz, und das durchgängig auf allen Plattformen. Mehrere Hundert (Facebook) beziehungsweise Tausend Likes (Twitter) sind es meistens. Wer hinter die Kulissen schauen möchte, scrollt durch Instagram. Dort kann man nachvollziehen, wie Lang seit ihrem ersten Foto – das sie vor mehr als sechs Jahren veröffentlicht hat – zur Vollzeitpolitikerin wurde. Man erfährt zudem, dass sie eine Katze hat und seit mehreren Jahren vergeben ist.

Auf seinen drei Social-Media-Profilen ist David-Sebastian Hamm noch nicht sehr lang aktiv. Das erste Bild auf Instagram (@davidhammfdp) hat er am 9. März dieses Jahres veröffentlicht. Es stammt aus dem Wahlkampf für seinen FDP-Parteikollegen Jochen Haußmann. Seither haben seine 168 Abonnenten insgesamt 40 Bilder zu sehen bekommen; fast alle von Wahlkampfveranstaltungen oder Plakatieraktionen. Nur alle paar Tage postet Hamm auf Instagram, die Likes (meist zwischen 15 und 35) und die Kommentare halten sich wohl auch deshalb in Grenzen. Auf Facebook findet man David-Sebastian Hamm unter seinem vollen Namen. Dort hat er 299 Freunde, von 37 Personen wird er abonniert. Trotz Wahlkampfs stammt der letzte Facebook-Eintrag vom 28. August. Die Posts sind meist dieselben wie auf Instagram, die Likes und Kommentare ähnlich häufig. Für seine Einträge erhält Hamm meist Zustimmung, die Kommentare lassen darauf schließen, dass er die meisten Verfasser persönlich kennt. Twitter ist der FDP-Kandidat im Juni 2020 beigetreten (@FdpHamm). Er hat nur 25 Follower, was vermutlich daran liegt, dass er die Plattform kaum nutzt. Im September hat er gerade einmal einen Tweet abgesetzt, im August einen Tweet verfasst, zwei von Parteikollegen geretweetet. Auf seine Beiträge folgt in der Regel keinerlei Resonanz. Wenn er austeilt, dann meist gegen die Grünen.

Die Einzige, die kein Social-Media-Profil pflegt, ist Annette Keles, die für die Linke kandidiert. Wer gezielt sucht, findet zwar ein privates Facebook-Profil von ihr. Das habe sie aber nur aus Forschungszwecken für ihre Doktorarbeit angelegt, nie genutzt, erklärt sie auf Nachfrage. Annette Keles hat 2017 an der Universität Jena in Soziologie promoviert – über die Folgen der Social-Media-Nutzung. „Das ist ein riesiges Problem, das von der Gesellschaft noch nicht erkannt wird“, betont sie. „Die Bedrohung durch den Verfall der Sitten ist enorm.“ Schuld daran ist ihr zufolge die (oft nur vermeintliche) Anonymität im Internet, die manche dazu verleite, Dinge zu schreiben, die sie auf offener Straße nie sagen würden. „Ich lehne Social Media ab“, ist Keles’ Fazit. Man könne sie aber per E-Mail erreichen.