Siebenjährigen erwürgt:lange Haft für Pflegeoma

Landgericht Heilbronn verurteilt Elisabeth S. wegen Totschlags zu zehneinhalb Jahren Gefängnis

Von Carola Fuchs

Aus einer Überforderung heraus und um ihre Ruhe zu haben, hat eine 70-jährige frühere Krankenschwester einen kleinen Jungen in Künzelsau umgebracht. Das Gericht spricht von Heimtücke.

Heilbronn Elisabeth S. muss wegen der Tötung des kleinen Ole zehn Jahre und sechs Monate ins Gefängnis. Das Landgericht Heilbronn verurteilte die 70-Jährige am Montag wegen Totschlags und bewegt sich am oberen Strafrahmen für dieses Delikt. Die Schwurgerichtskammer sah es als erwiesen an, dass die ehemalige Krankenschwester den Siebenjährigen, auf den sie von klein auf immer wieder aufgepasst hatte, in der Nacht zum 28. April 2018 in ihrem Haus in Künzelsau erwürgt hat, weil sie ihre Ruhe haben wollte.

Die Kammer sah zwar das Mordmerkmal der Heimtücke als erfüllt an. Weil aber nach der Einschätzung des forensischen Psychiaters Thomas Heinrich nicht auszuschließen sei, dass Elisabeth S. zum Tatzeitpunkt nur eingeschränkt Herrin ihres Handelns war, habe sie als vermindert schuldfähig zu gelten. Ohne die Beharrlichkeit ihrer Verteidigerin, die durchboxte, dass eine Computertomografie vom Kopf ihrer Mandantin gemacht wird, wäre die 70-Jährige wohl wegen Mordes verurteilt worden. Das Bild hatte Veränderungen im Gehirn gezeigt, die auf eine Depression hindeuten.

Dennoch: „Wir haben nicht den geringsten Zweifel: Sie haben Ole bewusst getötet“, so der Richter Roland Kleinschroth in seiner anderthalbstündigen Urteilsbegründung. Sie, die nach außen nie habe eine Schwäche zeigen wollen, neige zum Problemsammeln und Vertuschen. „Es ist viel zusammengekommen in jener Zeit“, sie habe unter Schlaflosigkeit gelitten und unter Einsamkeit, ihr bevorstehender 70. Geburtstag habe sie ebenso belastet wie der zugemüllte Keller, der entrümpelt gehörte. Schließlich habe sie Angst gehabt, dass die Besuche von Ole immer seltener würden.

Elisabeth S. hatte den Buben von klein auf immer wieder betreut. Am 27. April 2018 übernachtete er bei ihr, wie schon öfter zuvor, weil die Eltern ein Konzert besuchten. Die Angeklagte habe das Kind geliebt – und das Kind die Oma Elisabeth, wie Ole sie nannte. Sie verbrachten einen harmonischen Abend, davon ist das Gericht überzeugt. Ole schlief friedlich ein.

Elisabeth S. habe sich neben ihn gelegt. Aber sie habe nicht schlafen können, mal wieder nicht, stattdessen habe sie ihre Probleme gewälzt und sich immer weiter reingesteigert in ihre Überzeugung, nichts mehr zuwege zu bringen. „Vielleicht hat Ole sich irgendwann hin- und hergeworfen“, so Kleinschroth, vielleicht habe er auch nur geschnarcht – für Elisabeth S. sei das zu viel gewesen: Sie habe den arg- und wehrlosen Buben im Schlaf erwürgt, weil sie einfach nur ihre Ruhe haben wollte.

Elisabeth S. hat im Verlauf des Prozesses zwar die Verantwortung übernommen für die Tat. Was genau passiert ist, hat sie aber nicht erzählt – nach Überzeugung des Gerichts, weil sie die Tat verdrängt hat. Die Angeklagte sei wie ein Kind, das einfach die Augen verschließe vor dem, was es nicht sehen möchte. „Sie haben schwere Schuld auf sich geladen“, so Kleinschroth. Dieser Schuld solle sie sich jetzt stellen. Das Urteil hat die 70-Jährige so vernommen, wie sie dem gesamten Prozess gefolgt ist: mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern.

Der Staatsanwalt hatte 13 Jahre Haft wegen Mordes gefordert. Der Vertreter der Eltern, die den Prozess als Nebenkläger verfolgt haben, hatte auf lebenslang wegen Mordes plädiert. Die Verteidigung hatte für eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung geworben, weil Elisabeth S. krank und die Tat nicht vorsätzlich gewesen sei. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, noch kann dagegen Revision eingelegt worden.

Dennoch ist am Montag ein außergewöhnliches Verfahren zu Ende gegangen. Gleich zu Beginn im November musste die Verhandlung unterbrochen werden, weil nach der erschütternden Aussage von Oles Mutter fast alle im Gerichtssaal am Weinen waren. Um Elisabeth S. zum Reden zu bringen, genehmigte das Gericht ein Gespräch der Angeklagten mit ihrem Sohn und der Verteidigerin unter sechs Augen, ohne Aufsicht durch Beamte. Schließlich hatte die MRT-Aufnahme noch dazu geführt, dass der Psychiater seine Einschätzung,Elisabeth S. sei voll schuldfähig, revidieren musste.https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.prozess-gegen-kuenzelsauer-pflegeoma-das-raetsel-um-oles-tod-bleibt-wohl-ungeloest.8c824998-fc81-484f-b9f5-8520a7284307.html?reduced=truehttps://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.heilbronn-enkel-erwuergt-plegeoma-sagt-vor-gericht-kein-wort.f51426c2-b236-410a-aec0-3f976e0b6484.html