Bundesverfassungsgericht

So tickt Frauke Brosius-Gersdorf

Parteiengezerre um die Richterposten am Bundesverfassungsgericht: Eignen sich die Kandidaten - und funktioniert das Verfahren noch?

So tickt Frauke Brosius-Gersdorf

Gegen Brosius-Gersdorf gibt es Vorbehalte.

Von Michael Maier

Die Kandidatur der Potsdamer Rechtsprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf als Verfassungsrichterin sorgt weiter für Diskussionen in der deutschen Politik. Am Montagabend hat der Wahlausschuss des Bundestags drei Persönlichkeiten für Richterämter am Bundesverfassungsgericht nominiert – neben Brosius-Gersdorf auch die Rechtsprofessorin Ann-Katrin Kaufhold (beide auf Vorschlag der SPD) sowie Bundesarbeitsrichter Günter Spinner (auf Vorschlag der Union).

Die 54-jährige Juraprofessorin Brosius-Gersdorf hat in den vergangenen Jahren immer wieder gesellschaftspolitische Positionen vertreten, die teilweise von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts oder anderer Obergerichte abweichen. Dies hatte dazu geführt, dass mehrere CDU/CSU-Bundestagsabgeordnete und Landesminister der Union ihre Eignung für das Amt der Verfassungsrichterin infrage stellen.

Inzwischen ist bekannt geworden, dass die SPD darauf verzichten will, Brosius-Gersdorf für das Amt des Gerichtsvizepräsidenten vorzuschlagen – wohl ein Zugeständnis angesichts der Debatte um ihre Neutralität.

Brosius-Gersdorf zu Corona-Impfpflicht und AfD-Verbot

Während der Corona-Pandemie argumentierte Brosius-Gersdorf in einem gemeinsam mit ihrem Ehemann verfassten Text, dass eine Corona-Impfpflicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Sie ging sogar so weit zu fragen, „ob mittlerweile eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Einführung einer Impfpflicht besteht“. Zudem äußerte sie sich in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ zu einem möglichen AfD-Verbot: Ein Verbotsverfahren sei ein „ganz starkes Signal unserer wehrhaften Demokratie“. Allerdings gab sie zu bedenken, „dass damit nicht die Anhängerschaft beseitigt“ werden könne.

Brosius-Gersdorf zum Kopftuchverbot

Im Gegensatz zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vertritt Brosius-Gersdorf die Ansicht, dass das muslimische Kopftuch bei Rechtsreferendarinnen „nicht gegen das Neutralitätsgebot des Staates“ verstoße. Sie kritisiert, dass Karlsruhe mit seinem Urteil, das ein Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen als zulässig erachtet, das verfassungsrechtliche Neutralitätsgebot „verkennt“. Ein Kopftuchverbot für Richterinnen und Staatsanwältinnen würde laut Brosius-Gersdorf auf ein „Berufsverbot“ hinauslaufen.

Frauenquoten im Wahlrecht

Die Potsdamer Professorin befürwortet „gesetzliche Quoten zur Steigerung des Frauenanteils in Parlamenten“. Sie schlägt vor, die Parteien zu verpflichten, „in den Wahlkreisen Bewerber-Tandems aus Mann und Frau“ aufzustellen. Landesverfassungsgerichte von Brandenburg und Thüringen haben allerdings sogenannte „Paritätsgesetze“ verworfen, die vorsahen, dass Parteien auf ihren Kandidatenlisten abwechselnd Männer und Frauen platzieren müssen.

Abtreibung und Bundesverfassungsgericht

In ihrer Arbeit für die Regierungskommission der Ampelkoalition zu einer möglichen Reform des Schwangerschaftsabbruchs vertrat Brosius-Gersdorf die Position, für die Geltung der Menschenwürde „erst für den Menschen ab Geburt“ sprächen „gute Gründe“. Diese Auffassung steht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das in seinem Abtreibungsurteil von 1993 feststellte, die Menschenwürde komme „schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu“.

Die frühere Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) betonte dagegen: „Für mich als Sozialdemokratin und Bundesvorsitzende der Lebenshilfe ist es wichtig, dass wir niemals zwischen lebenswertem und nicht lebenswertem Leben unterscheiden. Jedes Leben ist lebenswert – und hat Menschenwürde auch schon im Mutterleib.“

Steht die CDU/CSU hinter Brosius-Gersdorf?

Ungeachtet aller Kontroversen hat CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann die Unionsfraktion aufgefordert, die von der SPD vorgeschlagene Juristin zu unterstützen. „Bei den Richterwahlen für das Bundesverfassungsgericht geht es um die Handlungsfähigkeit unserer Demokratie“, sagte Hoffmann. Er fürchtet, dass bei einer Ablehnung von Brosius-Gersdorf auch der Unionskandidat scheitern würde.

Zweidrittelmehrheit für Brosius-Gersdorf?

Bei der Richterwahl im Plenum am Freitag ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Da die Regierungsparteien Union und SPD eine Abhängigkeit von der AfD vermeiden wollen, wären sie auf die Unterstützung von Grünen und Linkspartei angewiesen. Die Spitze der AfD-Fraktion hat ihren Abgeordneten bereits die Wahl des CDU-Kandidaten empfohlen, lehnt aber eine Unterstützung der beiden SPD-Kandidatinnen ab.

Lebenslauf von Frauke Brosius-Gersdof

Linke fordert Richter am Bundesverfassungsgericht

Die Haltung der Linken zu Frauke Brosius-Gersdorf ist noch offen. Sie fordert im Gegenzug zur möglichen Unterstützung in Zukunft ein eigenes Vorschlagsrecht für einen Richterposten am Bundesverfassungsgericht. Bislang haben CDU/CSU, SPD, Grüne und die Splitterpartei FDP die „Quote“ allein unter sich aufgeteilt. Einer Zusammenarbeit mit der Linken stand auf Seiten der Union bislang jedoch ein Unvereinbarkeitsbeschluss entgegen.

Alternativ wäre es auch denkbar, das Verfassungsgericht künftig stärker zu entpolitisieren und dem direkten Zugriff der Parteipolitik zu entziehen. Manchen ist es da nicht genug, dass der derzeitige Präsident Stephan Harbarth, der vor der Berufung nie als Richter gearbeitet hatte, seine CDU-Mitgliedschaft ruhen lässt. Die Unterlagen zu seiner eiligen Berufung als Honorarprofessor werden von der Uni Heidelberg übrigens unter Verschluss gehalten – über eine förmliche Habilitation als Hochschullehrer verfügt Harbarth im Gegensatz zu Brosius-Gersdorf nicht.

Sollte die Richterwahl im Bundestag wiederholt scheitern, ginge die Entscheidung an den Bundesrat über. Diese Klausel wurde erst vor Kurzem ins Grundgesetz eingeführt, um eine mögliche Abhängigkeit von der AfD zu vermeiden.