So versucht die PolizeiGefährder zu enttarnen

Von der Uni Konstanz mitentwickelte Rastersoftware hilft – Rückkehrer der Islamisten-Miliz IS im Fokus

Von Rüdiger Bässler

Nicht jeder religiöse Fanatiker ist ein Gefährder. Mit neuen wissenschaftlichen Methoden versucht die Polizei, sogenannten Hochrisikopersonen auf die Spur zu kommen, bevor es zu Anschlägen kommt.

Stuttgart/berlin Was ein Gefährder ist, haben deutsche Polizeien klar definiert. Es ist „eine Person, zu der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird“. So erklärt es ein Sprecher des Landeskriminalamts Baden-Württemberg (LKA). In der Praxis ist die Identifikation solcher Radikaler, die sich meist konspirativ verhalten, aber äußerst schwierig.

Im August 2018 nannte das Bundesamt für Verfassungsschutz die Zahl von 2220 Personen mit Bezug nach Deutschland, die dem islamistisch-terroristischen Spektrum angehören. Unmöglich für die Länderpolizeien, diese Gruppe rund um die Uhr im Auge zu behalten.

In Baden-Württemberg haben die Sicherheitsbehörden ihren Blick klar auf Islamisten gerichtet, die während der vergangenen Jahre in Richtung Syrien oder Irak ausgereist sind, um dort, wie es beim LKA heißt, „für dschihadistische Gruppierungen zu kämpfen oder diese anderweitig zu unterstützen“. Rund 50 solcher ausgereister Kämpfer sind bekannt. „Ein Teil“ sei wieder nach Baden-Württemberg zurückgekehrt, so die Auskunft. Und „bei einigen wenigen“ gebe es Hinweise, dass sie an Kampfhandlungen teilgenommen oder sich in einem terroristischen Ausbildungslager aufgehalten haben. Wie viele Gefährder aktuell erkannt sind, wollen die Sicherheitsbehörden im Südwesten nicht sagen. Noch vor drei Jahren sprach das Innenministerium von zehn bis 15 bekannten Gefährdern im Südwesten. Die Zahl dürfte sich deutlich erhöht haben.

Das hat wiederum nicht nur mit den fanatisierten Kriegsrückkehrern zu tun, sondern auch mit verfeinerten Analysemethoden. Im Februar 2017 präsentierte das Bundeskriminalamt (BKA) eine neue Rastersoftware mit dem sperrigen Namen RADAR-iTE. Das Kürzel steht für „regelbasierte Analyse potenziell destruktiver Täter zur Einschätzung des akuten Risikos – islamistischer Terrorismus“. Mit welchen Personendaten genau das Analyseprogramm gefüttert wird, verriet das BKA vor knapp zwei Jahren nicht. Es handle sich jedoch nicht etwa um Merkmale wie die Gesinnung oder Religiosität einer Person, sondern um „beobachtbares Verhalten“. Solche Erkenntnisse würden dann mit „Informationen zu Ereignissen aus dem Leben der Person“ verknüpft. Verdächtige unterteilt das System in hohes, auffälliges oder moderates Risiko .

Letztlich kommen bei solchen Untersuchungen Psychogramme heraus. Kein Zufall, dass die Arbeitsgruppe Forensische Psychologie der Universität Konstanz an der Entwicklung von „RADAR“ beteiligt war. 2015 begann laut der Universität am Bodensee die Zusammenarbeit mit dem BKA. Das Programm eigne sich auch, um Risikofaktoren für schwere Gewaltdelikte an Schulen oder Gewalt am Arbeitsplatz möglichst rechtzeitig aufzudecken.

Die Verrätselung über den genaueren Charakter der interessanten Personendaten von Islamisten in Deutschland durch das BKA hat ihren Grund. Ohne die Zusammenarbeit mit den Verfassungsschutzämtern – als Hinweise von V-Leuten – ist diese Präventionsarbeit zur Verhinderung von Anschlägen nicht denkbar. Als wichtig gelten zudem Hinweise von Nachrichtendiensten anderer Länder. Beispielsweise reicht es noch nicht aus, eine Person zum Gefährder zu erklären, deren Name auf einer amerikanischen No-Fly-List steht – die also mit einem Einsteigeverbot in Flugzeuge Richtung USA belegt ist. Die Information kann aber Auslöser für weitere Recherchen durch die Polizei sein.

Wer als Gefährder klassifiziert ist, für den wird es ungemütlich. Die Polizei kann zum Mittel einer dauerhaften Überwachung greifen. Das Innenministerium in Stuttgart hat vor einigen Wochen den Sonderstab gefährliche Ausländer gebildet. Ein Expertenkreis soll die Abschiebung von gefährlichen Ausländern und ausländischen Straftätern vorantreiben. Neben gewaltbereiten Islamisten trifft das auch kriminelle Mehrfach- und Intensivstraftäter, Ausländer mit besonderem Gefahrenpotenzial oder solche, die bewusst und gewollt gegen Regeln eines geordneten Zusammenlebens verstoßen, wie es heißt. Wenn eine schnelle Abschiebung nicht möglich ist, stößt der Sonderstab eine Sanktionskette an. Dazu können die Verlegung in eine andere Unterkunft, Leistungskürzungen oder die Ablehnung oder Rücknahme der Einbürgerung gehören.

Das BKA arbeitet längst an der Weiterentwicklung von RADAR. Ein weiteres datenbasiertes System soll eine „individuelle Maßnahmenberatung für Hochrisikopersonen“ liefern. Der Arbeitsname für diese Software lautet „RISKANT“.