Soforthilfe für Kinder bei häuslicher Gewalt

Kinderkrisendienst im Rems-Murr-Kreis bietet seit zehn Jahren Hilfe in Notsituationen – Sicherer Raum für Kinder, die im häuslichen Umfeld Gewalt erlebt haben

Wenn Kinder in ihrer eigenen Familie Gewalt erleben müssen, dann richtet das großen Schaden bei ihnen an. Sie ziehen sich zurück, entwickeln Ängste und neigen nicht selten später selbst zu Gewalttätigkeiten. Der Kinderkrisendienst kann erste Hilfe leisten, schnell und unbürokratisch, in den eigenen vier Wänden oder an einem neutralen Ort.

Soforthilfe für Kinder bei häuslicher Gewalt

Kinder, die Gewalt in der eigenen Familie erleben müssen, sind oft zerrissen zwischen verschiedenen Bedürfnissen. Sie wollen ihre Mutter beschützen, gleichzeitig den Kontakt zum Vater nicht verlieren. Für die Kleinsten eine schlimme Situation. Foto: Adobe Stock/Romolo Tavani

Von Annette Hohnerlein

BACKNANG. Der Vater hat die Mutter geschlagen, diese hat einen Notruf abgesetzt, die Polizei ist im Haus. Oft ist diese Situation der Höhepunkt einer längeren fatalen Entwicklung. Kinder, die das in der eigenen Familie erleben müssen, sind oft zerrissen zwischen verschiedenen Bedürfnissen. Sie wollen ihre Mutter beschützen, gleichzeitig den Kontakt zum Vater nicht verlieren, sie versuchen, einzugreifen, übernehmen Verantwortung. Das führt zu einer völligen Überforderung der Kinder. Und meist sind sie damit allein gelassen. Denn die Mutter ist dann oftmals nicht mehr in der Lage, sich um sie zu kümmern. Die Folgen für die Kleinen sind dramatisch. Dann, wenn sie Gewalt mit ansehen müssen, und erst recht in den Fällen, in denen sie selbst das Opfer sind. Jacqueline Gerhardt, Diplom-Sozialarbeiterin beim Kinderkrisendienst, nennt einige Symptome: Die Kinder ziehen sich zurück, entwickeln Ängste, fangen an, einzunässen oder sich selbst zu verletzen, werden aggressiv.

Wenn die Polizisten bei einem Einsatz auf Minderjährige treffen, verständigen sie automatisch das Jugendamt. Dort gibt es eine Reihe von Hilfen für das oder die Opfer, aber auch für Täter. Eine dieser Hilfen, die besonders die Kinder in den Blick nimmt, ist der Kinderkrisendienst, der 2009 ins Leben gerufen wurde und eine Art Feuerwehrfunktion hat.

Nach einer polizeilichen Meldung nimmt der Kinderkrisendienst zeitnah mit der Familie Kontakt auf, erläutert Susanne Grießhaber. Die Diplom-Sozialpädagogin ist Leiterin der Beratungsstelle für Familien und Jugendliche am Obstmarkt in Backnang. Dort ist einer der drei Standorte des Kinderkrisendienstes angesiedelt, die es im Rems-Murr-Kreis gibt. Die Mitarbeiterinnen gehen vor Ort und machen sich ein Bild von der Lage: In welcher Verfassung sind die Kinder? Was brauchen sie? Was kann man tun, um die Situation zu beruhigen? Dabei ist es wichtig, einen geschützten Raum zu schaffen, in dem Kinder einer neutralen Person von ihrer Not erzählen können, sagt Jacqueline Gerhardt, „das ist die Voraussetzung dafür, dass etwas heilen kann“. Neben einer intensiven Einzelbegleitung gibt es auch therapeutische Gruppenangebote für Kinder. Auch die Väter und Mütter werden wenn möglich in die Hilfe miteinbezogen. Die Fachleute können auch Kontakt zu weiterführenden Angeboten wie Erziehungsberatung oder Therapieeinrichtungen herstellen.

Übrigens können auch betroffene Kinder selbst Kontakt aufnehmen. „Jugendliche ab 14 Jahren können sich ohne Wissen der Eltern an die Beratungsstelle wenden“, erklärt Susanne Grießhaber. „Jüngere Kinder werden nicht abgewiesen, aber der Kinderkrisendienst wirkt darauf hin, die Eltern einzubeziehen.“

Damit die häusliche Gewalt sofort unterbrochen wird, kann die Polizei für den Täter eine sogenannte Wegweisung anordnen. Das bedeutet, dass er, zum Beispiel befristet auf 48 Stunden, das Haus der Familie nicht mehr betreten darf. Weitergehende Maßnahme kann ein Annäherungsverbot sein, das besagt, dass der Täter sich der Frau nicht mehr als beispielsweise 50 Meter nähern darf. Der nächste Schritt ist die Wohnungszuweisung, bei der der Täter die gemeinsame Wohnung längerfristig räumen muss.

Das Phänomen der häuslichen Gewalt beschränkt sich nicht nur auf Menschen in prekären Verhältnissen, es kommt in allen gesellschaftlichen Schichten vor, erläutert Jacqueline Gerhardt. Zudem gibt es Faktoren, die Gewalt begünstigen, ergänzt Susanne Grießhaber. Alkohol- oder Drogenkonsum und psychische Erkrankungen gehören dazu, oder auch die Vorgeschichte des Täters. Wer selbst Gewalt erfahren hat, werde später eher gewalttätig. Trennung und Scheidung spielten ebenfalls eine wichtige Rolle. Landesweit gab es im vergangenen Jahr über 12000 Fälle von häuslicher Gewalt. Meistens, aber nicht immer, sind Männer die Täter. Laut polizeilicher Kriminalitätsstatistik waren 2018 in gut 18 Prozent der Fälle Männer die Opfer.

Info
Drei Standorte im Kreis

Der Krisen- und Beratungsdienst für Kinder und Jugendliche bei häuslicher Gewalt (Kinderkrisendienst) hat drei Standorte im Rems-Murr-Kreis:

Beratungsstelle für Familien und Jugendliche, Am Obstmarkt 7, in Backnang, Telefon 07191/895-4039.

Beratungsstelle für Familien und Jugendliche, Karlstraße 14, in Schorndorf, Telefon 07181/93889-5039.

Psychologische Familien- und Lebensberatung, Caritas-Zentrum Waiblingen, Talstraße 12, in Waiblingen, Telefon 07151/1724-28.

Das Angebot ist kostenfrei.