Die saarländische Ministerpräsidentin und stellvertretende SPD-Chefin Anke Rehlinger übt harte Kritik an der Union und ihrem Fraktionschef Jens Spahn.
SPD-Vize Anke Rehlinger ist wütend über den Koalitionspartner im Bund, die Union.
Von Tobias Peter
Es sind ungewöhnliche Sätze, die SPD-Vize Anke Rehlinger über den Koalitionspartner ihrer Partei im Bund sagt. Die saarländische Ministerpräsidentin ist erbost über das Verhalten der Union bei Richterwahl und Stromsteuer. Dabei sieht sie Schwarz-Rot vor allem in der Pflicht, Sachprobleme zu lösen.
Frau Rehlinger, schafft es Schwarz-Rot im Bund, Deutschland wieder auf einen wirtschaftlichen Wachstumskurs zu bringen?
Diese Regierung kann und muss den Wirtschaftsaufschwung schaffen. Der Koalitionsvertrag ist dafür eine gute Grundlage. Wir brauchen neues Wachstum und werden so viel investieren wie nie. Das ist ein guter Anfang, es muss aber noch einiges folgen, zum Beispiel beim Bürokratieabbau.
Sie fordern einen Nationalen Stahlgipfel. Was soll der konkret bringen?
Die Stahlindustrie in Deutschland braucht ein starkes Signal, dass die Produktion von grünem Stahl gewollt ist. Die Unternehmen, die den Weg hin zur klimaneutralen Produktion von Stahl gehen wollen, müssen wissen, dass die Bundesregierung an ihrer Seite steht und für wettbewerbsfähige Energiepreise und Wasserstoff sorgt. Und dass sie pragmatisch an der Seite der Unternehmen steht, wenn es unerwartet Hindernisse gibt. Kanzler Friedrich Merz und Wirtschaftsministerin Katherina Reiche sind in der Pflicht, jetzt dieses Zeichen zu geben.
Die Sozialabgaben liegen mittlerweile bei 42 Prozent. Experten warnen, es könnten eher früher als später auch 50 Prozent werden. Was bedeutet das für Industriearbeitsplätze in Deutschland?
Die Sozialabgaben dürfen nicht unendlich steigen. Das belastet die Position deutscher Unternehmen im internationalen Wettbewerb. Aber vor allem nutzen den Menschen alle Steuererleichterungen nichts, wenn die von immer höheren Beiträgen aufgezehrt werden. Die demografische Entwicklung ist aber, wie sie ist. Es gibt keine einfachen Lösungen.
Wir interessieren uns auch für die schwierigen.
Es braucht jedenfalls mehr Kreativität als pauschale Leistungskürzungen. Das Gesundheitssystem muss effizienter werden und die Verwaltungskosten senken. Wir müssen darüber reden, ob die Lasten gerecht verteilt sind oder ob beispielsweise die Beitragsbemessungsgrenze bei der gesetzlichen Krankenversicherung steigen muss. Oder wir Schritte in Richtung einer breiter aufgestellten solidarischen Versicherung gehen, wie es Bärbel Bas auch bei der Rente in die Debatte gebracht hat.
Kanzler Friedrich Merz hat angekündigt, schon im Herbst solle ein Entwurf für eine Reform des Bürgergeldes vorliegen. Was muss aus Ihrer Sicht der Kern einer solchen Reform sein?
Der Grundsatz ist klar. Wer Hilfe braucht, bekommt sie. Wer das Bürgergeld missbraucht, muss aber auch ein klares Stoppsignal bekommen. Hier werden wir gemeinsam mit der Union schauen, welchen zusätzlichen Spielraum es noch gibt. Ich sage aber auch klar: Wir müssen die Rechtsprechung der Gerichte beachten. Da sind Grenzen für jede Reform eingezogen, das muss auch die Union wissen.
Für diejenigen, die arbeiten können, soll wieder der Vermittlungsvorrang gelten: Das bedeutet, es muss jeder zumutbare Job genommen werden – statt auf Qualifizierung zu setzen. Ist das fair gegenüber einem Anfang 50-Jährigen, der jahrzehntelang Steuern gezahlt und seinen Industriejob verloren hat?
Die Unternehmen brauchen qualifizierte Mitarbeiter. Diejenigen, die sich in den Jobcentern um arbeitslose Menschen kümmern, werden also auch weiter schauen, wo eine Qualifizierung sinnvoll ist. Das wird da pragmatisch gehandhabt. Das muss auch weiter möglich sein.
Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit von Union und SPD in der Koalition im Bund?
Die Koalition ist im Grunde vernünftig gestartet. Die Debatte über die Stromsteuer hätte man sich aber besser gespart. Obwohl es eine mit dem Bundeskanzler abgestimmte Entscheidung gab, haben Jens Spahn und andere alles wieder in Frage gestellt. Das sind Fehler, die es in der Ampel viel zu oft gegeben hatte, das darf sich so nicht fortsetzen. Wenn etwas abgesprochen ist, muss das auch gelten und man muss es gemeinsam vertreten.
Bei der Wahl von Verfassungsrichtern gibt die Koalition schon wieder ein chaotisches Bild ab. Was sagen Sie zu den Vorgängen im Bundestag?
Ich bin entsetzt. Es scheint ein Führungsproblem in der Union zu geben. Die Personalien waren seit Wochen bekannt, die Union hat Zustimmung signalisiert und konnte dann überraschend keine eigene Mehrheit dafür sichern. Und dann wird eine hoch qualifizierte Kandidatin mit persönlichen Angriffen diskreditiert. Die Reputation des Bundesverfassungsgerichts wird durch diese Kampagne auf unverantwortliche Weise beschädigt.
Lars Klingbeil ist nur mit einem historisch schlechten Ergebnis zum Parteichef gewählt worden. Fehlt ihm der Rückhalt in der SPD?
Das ist nicht mein Eindruck. Die Bundestagswahl ist frustrierend für die SPD ausgegangen. Dieser Frust hat sich nun im Ergebnis für Lars Klingbeil auf dem Parteitag Bahn gebrochen. Das ist nicht fair, aber wird auch nicht von Dauer sein. Klingbeil hat in einer schwierigen Situation Verantwortung übernommen. Gemeinsam mit Bärbel Bas wird er alles tun, um die SPD wieder nach vorn zu bringen.
Die SPD hatte vor Bas nur zwei weibliche Vorsitzende: Andrea Nahles, die nach rund einem Jahr faktisch gestürzt wurde. Und Saskia Esken, an deren Stuhl gegen Ende auch laut gesägt wurde. Kommt die SPD nicht klar damit, wenn der Boss eine Frau ist?
Glaub ich nicht. Fragen Sie doch mal die Mitglieder meiner Saar-SPD.
Wir sprechen über die Bundespartei.
Frauen in Führungsrollen werden oft anders betrachtet als Männer. Manchmal auch ungerecht. Die SPD muss eins aus allem lernen: Öffentliche Selbstdemontage im Umgang miteinander ist menschlich nicht in Ordnung. Und sie schadet der Partei.
Sie sind, vom Bierbrauerbund ernannt, neue Botschafterin des Bieres. Welches Bier mögen Sie selbst besonders gern?
Ich trinke gern mal ein Pils oder Radler. Oder auch ein dunkles Weizenbier oder Zitronenweizen. Vor allem weiß ich – auch beim Bier – gutes Handwerk zu schätzen.
Die Frau mit absoluter Mehrheit
Amt Anke Rehlinger (49) ist seit dem April des Jahres 2022 Ministerpräsidentin des Saarlandes. Davor war die SPD-Politikerin acht Jahre lang stellvertretende Ministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin in einer Unions-geführten großen Koalition. Jetzt regiert sie mit der SPD das Saarland in absoluter Mehrheit. Damit kommt Rehlinger als einzige von 16 Männern und Frauen an der Spitze einer Landesregierung ohne Koalitionspartner aus. Sie amtiert aktuell zudem als Bundesratspräsidentin.
Partei Rehlinger ist stellvertretende SPD-Vorsitzende und wurde beim Parteitag Ende Juni in Berlin mit 97,2 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Es war das besten Ergebnis aller dort gewählten Parteivizes.