Spielerisch Demokratie lernen

Fachstelle Derex im Kreis baut auf sozialpädagogische Ansätze – Jugendliche machen praktische Erfahrungen mit Freiheitswerten

„Oberstes Ziel ist es, demokratische Haltungen von Jugendlichen zu fördern.“ So beschreibt Sonja Großhans die Arbeit der Fachstelle Demokratieförderung und Rechtsextremismusprävention (Derex). In ihren Workshops mit Jugendlichen in Schulklassen kommen sozialpädagogische Methoden zum Tragen. Die Schüler sollen spielerisch Demokratieerfahrungen machen.

Spielerisch Demokratie lernen

Mit sozialpädagogischen Methoden ist Sonja Großhans in Sachen Demokratieförderung unterwegs. Symbolfoto: Gesicht zeigen!

Von Armin Fechter

BACKNANG/WAIBLINGEN. „Wir sind keine Polizei und kein Verfassungsschutz, sondern das Jugendamt“, unterstreicht Holger Gläss, Leiter des Kreisjugendamts in Waiblingen: „Wir handeln im Rahmen der Jugendhilfe.“ Bei der Arbeit der Fachstelle gehe es um Bildungs- und Präventionsarbeit. Man wolle die Schüler in ihrer Grundhaltung ansprechen und erreichen und dabei Effekte erzielen.

Wissensvermittlung stehe dabei weniger im Fokus als vielmehr konkrete Erfahrungen, erläutert Sonja Großhans, die seit 2015 die Fachstelle leitet und jedes Jahr mehrere Dutzend Workshops in Schulklassen hält. Im vergangenen Jahr waren es 35, im Jahr davor sogar 48 und im ersten Halbjahr 2019 schon 22 – wobei neun weitere angefragt wurden, aber nicht bedient werden konnten.

„Die Schüler müssen überlegen und ihre Meinung begründen“

Aber wie geht Demokratieförderung dann in der Praxis? Sonja Großhans nimmt ein Beispiel: „Ich stelle eine Frage, und die Jugendlichen haben Ja- und Nein-Kärtchen, um ihre Meinung zu zeigen.“ Die Fragen können dabei durchaus provokativ sein, etwa: Ist es okay, wenn die Lehrerin Kopftuch trägt? „Die Schüler müssen überlegen, sich entscheiden, ihre eigene Meinung ausdrücken und begründen“, erläutert sie den Ansatz, der die Bedeutung von Meinungsfreiheit unterstreichen und die Diskussionskultur stärken soll.

Zugleich wird, wie Großhans erläutert, bei solchen Aktionen deutlich, dass Demokratie viel mit dem eigenen Leben zu tun hat und sich nicht nur darin erschöpft, ab und zu wählen zu gehen. Daran anschließen kann sich auch das Gespräch über mögliche Störfaktoren und Beeinträchtigungen von Freiheit. Oder es kann um die Erkenntnis gehen, dass es in einer bunt zusammengewürfelten Klasse dennoch mehr Verbindendes als Trennendes gibt. Oder es werden Spiele gemacht, bei denen es darauf ankommt, dass jeder sich einbringt – eine Methode, um den Zusammenhalt einer Gruppe zu stärken und deren Kommunikationsfähigkeit zu fördern.

Solche Vorgehensweisen lassen andere antidemokratische Formen neben dem Rechtsextremismus nicht außen vor, unterstreicht Gläss mit Blick auf die erneut aufgekommene Diskussion um den Namen der Fachstelle – sei es, dass sich an einer Schule eine islamistische Szene ausbreitet oder in einem Betrieb Linksextreme das Heft in die Hand nehmen.

Dennoch will Gläss nicht auf die ausdrückliche Benennung des Rechtsextremismus verzichten. Ganz abgesehen davon, dass der Kurzname Derex inzwischen eingeführt sei, habe dies auch mit den tatsächlich eingehenden Anfragen nach Workshops zu tun. Häufig gebe es konkrete Anlässe dafür, beispielsweise wenn fremdenfeindliche Haltungen in einer Schule vermehrt auffallen oder in Klassenchats volksverhetzende Inhalte geteilt werden. Da gehe es dann sogar um Straftaten. In solchen Fällen hat Großhans die Polizei an ihrer Seite: „Das gab’s mehrfach letztes Jahr.“

Gleichzeitig verweisen Gläss und Großhans auf die Polizeistatistiken, die rechtsextremistisch motivierten Delikten ein starkes Übergewicht zuweisen. So wurden im vergangenen Jahr im Rems-Murr-Kreis insgesamt 127 politisch motivierte Straftaten registriert, davon gingen allein 102 aufs Konto von Rechtsextremisten. 21 Fälle wurden dem linken Spektrum zugeordnet, vier waren religiös motiviert. Noch krasser die Zahlen für 2017: Da gab es 120 rechtsextremistisch motivierte Straftaten, 17 kamen aus der linken und vier aus der religiösen Ecke. Von daher gebe es also keinerlei Veranlassung, an der Konzeption irgendetwas zu verändern. Nicht gelten lässt Gläss dabei die relativierende Argumentation, bei rechtsextremistischen Straftaten handle es sich häufig um eher harmlose Propagandadelikte, also beispielsweise das Verwenden verbotener Symbole. Das aufgesprühte Hakenkreuz aber steht, so Großhans, für eine menschenverachtende Ideologie: „Solche Parolen sagen etwas aus“, unterstreicht sie. „Und wenn Asylbewerberheime brennen, gibt es nichts zu beschönigen“, ergänzt Gläss. „Der Schwerpunkt ist rechts, alles andere wäre Augenwischerei.“ Davon unbenommen dürfe man auch Angriffe auf Wahlkampfstände oder das Zerstören von Plakaten nicht herunterspielen – das seien ebenfalls Anlässe, die im Kontext Demokratieförderung thematisiert würden.

Adressaten der Derex sind, so Großhans, Jugendliche, die mit rechtsextremen Ansichten liebäugeln, die aber noch kein fest gefügtes Weltbild haben. Oftmals bekommen entsprechende Straftäter die gerichtliche Auflage, sich zur Beratung bei Sonja Großhans einzufinden – und das seien ganz überwiegend Rechte.

Die Konzeption und der Name der Fachstelle seien jedenfalls „ein super Ergebnis“, fasst Gläss zusammen. Welche Bedeutung der Landrat und die Jugendamtsleitung der Stelle beimessen, zeigt sich auch darin, dass die Elternzeitvertretung für Großhans entgegen den Gepflogenheiten bei der Kreisverwaltung schon in den nächsten Tagen ausgeschrieben werden soll, obwohl die Elternzeit erst nächstes Frühjahr beginnt.

Die Fachstelle Demokratieförderung und Rechtsextremismusprävention (Derex) hat ihren Sitz im Landratsamt in Backnang, Erbstetter Straße 58. Die Leiterin Sonja Großhans ist unter 07191/895-4458, mobil unter 01590/4409757 oder per E-Mail an s.grosshans@rems-murr-kreis.de erreichbar.

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Holger Gläss

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Sonja Großhans

Info
Die Fachstelle und ihr Name von 2000 bis 2019

Die Fachstelle wurde im Jahr 2000 auf Initiative des damaligen Landrats Horst Lässing als Koordinierungs- und Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus ins Leben gerufen. Auslöser waren ein Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim in Waiblingen und ein Angriff auf einen griechischen Mitbürger in Schorndorf.

Im Jahr 2003 wurde ein Fachbeirat gebildet, um die Arbeit der Stelle zu begleiten.

Im Jahr 2015 wurde im Zuge einer Neubesetzung der Stelle beschlossen, die Konzeption und die Bezeichnung für die Fachstelle zu überprüfen. Daraufhin wurde das Thema zwei Jahre lang im Fachbeirat und in einer Unterarbeitsgruppe, in den Fraktionen und schließlich im Jugendhilfeausschuss beraten. Im Fachbeirat einigte man sich auf eine Konzeption und den Namen Fachstelle Demokratieförderung und Rechtsextremismusprävention.

Überraschend beantragte dann die CDU-Kreistagsfraktion, im Namen eine Änderung in „Extremismusprävention“ vorzunehmen, weil man den Blick nicht auf Rechtsextremismus begrenzen dürfe, sondern auch andere Formen des Extremismus im Auge behalten müsse – religiösen/islamistischen und linken Extremismus sowie die Reichsbürgerszene. Nach leidenschaftlicher Diskussion im Kreistag wurde dieser Antrag mit den Stimmen von SPD, Grünen und Freien Wählern am 24. April 2017 mehrheitlich abgelehnt. Die Konzeption an sich war zuvor nahezu einstimmig verabschiedet worden.

Im September 2019 beantragte die AfD-Fraktion erneut die Änderung im Namen in „Extremismusprävention“. Begründet wurde dies unter anderem mit den Angriffen linksgerichteter Aktivisten auf Infostände der Partei im vorangegangenen Wahlkampf. Im Jugendhilfeausschuss sprach sich jedoch eine große Mehrheit gegen eine erneute Namensdebatte aus.

Im Kreistag sollte am Montag über den AfD-Antrag beraten werden, der Punkt wurde vom Landrat jedoch abgesetzt mit dem Hinweis, dass sich zunächst der neu formierte Fachbeirat damit befassen solle.