Städtetag will Verzerrungen bei Kommunalwahl abstellen

dpa/lsw Mannheim/Stuttgart. Kleine Gruppen und einzelne Kandidaten haben bei den Kommunalwahlen im Südwesten besonders gute Chancen auf Sitze in Gemeinderäten. Das ist den Städten ein Dorn im Auge.

Städtetag will Verzerrungen bei Kommunalwahl abstellen

Ein Mann wirft einen Wahlbrief für die Kommunalwahl in Baden-Württemberg in eine Wahlurne. Foto: Sebastian Gollnow/Archivbild

Der Städtetag in Baden-Württemberg dringt auf eine Reform des Kommunalwahlrechts. Die Verteilung der Sitze in den Gemeinderäten bilde die realen Machtverhältnisse nicht angemessen ab, moniert Verbandspräsident Peter Kurz (SPD). „Kleine Gruppierungen und Einzelkandidaten profitieren überproportional von dem Auszählverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers.“

Die seit der Kommunalwahl 2014 geltende Methode erschwere die Mehrheitsbildung und begünstige Sonderinteressen, sagte Kurz, der auch Mannheimer Oberbürgermeister ist, der Deutschen Presse-Agentur. „Wir haben da auch ein ganz direktes demokratisches Problem, denn die Gruppen mit nur einem Sitz sind überrepräsentiert.“ Es müsse verhindert werden, dass ein Sitz an Bewerber geht, die etwa in Mannheim nur wenig mehr als ein Prozent der Stimmen auf sich vereinen könnten, obwohl der Gemeinderat insgesamt nur 48 Sitze umfasst. Das fördere die Zersplitterung. Die Vielfalt der Wahlvorschläge bei der Kommunalwahl 2019 habe gezeigt, wie notwendig eine Korrektur des Verfahrens sei.

Innenstaatssekretär Wilfried Klenk (CDU) betonte am Sonntag: „Am Innenministerium scheitert die Umstellung nicht. Wenn der Gesetzgeber zu d‘Hondt zurückkehren möchte, können wir das praktisch von jetzt auf gleich tun.“

Beim geltenden Berechnungsverfahren Sainte-Laguë/Schepers sei es in der Tat für kleine Parteien und Wählervereinigungen einfacher, einen Sitz zu erlangen als beim früheren Berechnungsverfahren d’Hondt, sagte ein Sprecher von Innenminister Thomas Strobl (CDU). Ungleichgewichtigkeiten gebe es bei jedem Berechnungsverfahren in der einen oder anderen Weise. „Sie sind systembedingt.“ Das Berechnungsverfahren Sainte-Laguë/Schepe garantiere den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gleichheit der Wahl.

Nach einer Städtetagsauswertung in zwölf Städten des Landes lag die Zahl der für die Gemeinderatswahlen 2019 insgesamt eingereichten Wahlvorschläge bei 142. Das ist ein Zuwachs im Vergleich zu 2014 um 17,4 Prozent. Die Zahl der in den zwölf Gemeinderäten vertretenen Wahlvorschläge stieg um 10,4 Prozent auf 127.

Nach der Aufstellung des Verbandes vom Juni dieses Jahres war der Spitzenreiter im Südwesten Freiburg mit 16 Gruppierungen, Fraktionen und Einzelvertretern im 48-köpfigen Gemeinderat, gefolgt von Stuttgart mit 14 im 60-köpfigen Stadtrat. Mannheim und Karlsruhe kommen demnach jeweils auf zehn Wahlvorschläge, die im Gemeinderat vertreten sind. Teils schließen sich die Kleinen den größeren Fraktionen an wie in Mannheim, wo drei Einzelvertreter unter das Dach der Linken und der Freien Wähler schlüpften.

Zum Vergleich: Die Fünf-Prozent-Hürde bei der Bundestagswahl führt dazu, dass im 709-köpfigen Bundestag nur sechs Fraktionen vertreten sind. Dem Parlament gehören überdies vier Fraktionslose an.

Die Forderung des Städtetages entspricht den selbstgesteckten Zielen der grün-schwarzen Koalition. Im Koalitionsvertrag steht: „Um bei Kommunalwahlen zu erreichen, dass die Sitzverteilung möglichst nah am Wahlergebnis liegt und um zu vermeiden, dass Kleinstgruppen bevorteilt werden, werden wir das Auszählverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers weiterentwickeln.“ Diese Methode hatte das Auszählverfahren nach d'Hondt 2014 abgelöst.

Der Versuch, Sainte-Laguë/Schepers noch vor der Kommunalwahl im Mai zu verändern, sei am Innenministerium gescheitert, sagte Verbandsgeschäftsführerin Gudrun Heute-Bluhm. Dieses habe eine aus Sicht des Städtetags mögliche Lösung wegen verfassungsrechtlicher Bedenken abgelehnt.

Der Ruf nach frischem Wind im Gemeinderat sei verständlich, sagte die Städtetagsvertreterin. Aber bei einem Anteil von bis zu 25 Prozent ungebundenen Kandidaten sei auch ein Kompetenzverlust zu befürchten. „Anders als Fraktionen können Einzelgemeinderäte nicht von Arbeitsteilung und gegenseitiger Information profitieren.“

Verbandspräsident Kurz verwies darauf, dass in Skandinavien das Problem bereits erkannt und korrigiert worden sei. Nach Angaben des Innenministeriums erstellt das Statistische Landesamt bis zum Jahresende umfangreiche Berechnungen zu den Auswirkungen beider Systeme. Auf dieser Datenbasis werde nochmals überlegt. Ein Ministeriumssprecher fügte hinzu: „Das Sitzberechnungsverfahren für Kommunalwahlen kann sich jedoch nicht alleine am gewünschten Ergebnis orientieren, sondern muss insbesondere den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen.“