Stahlwerke im Umbruch: Klimaschutz statt Kokskohle

Von Von Helmut Reuter, Andreas Landwehr und Helge Toben, dpa

dpa Bremen/Peking/Essen. Der Abschied vom Hochofen ist längst besiegelt. Er wird vom Hüttengelände genauso verschwinden wie der Kohlestaub. Die Stahlbranche steht vor einem gigantischen Technologiewechsel.

Stahlwerke im Umbruch: Klimaschutz statt Kokskohle

Das Bremer Stahlwerk von ArcelorMittal. Bis zur Mitte dieses Jahrhunderts wollen viele Stahlkonzerne klimaneutral produzieren. Foto: Sina Schuldt/dpa

Für den Klimaschutz müssen deutlich weniger Treibhausgase in die Luft gepustet werden, das ist unbestritten. Insbesondere der Kohlendioxid-Ausstoß (CO2) muss weniger werden - und hier ist vor allem auch die Industrie gefragt.

Die Stahlkonzerne haben die Signale längst verstanden. Ob Thyssenkrupp, Salzgitter oder ArcelorMittal: Alle nehme viele Milliarden Euro in die Hand, um Schritt für Schritt bis spätestens Mitte des Jahrhunderts weitgehend klimaneutral zu produzieren. Sollte das gelingen, würden der Wirtschaftsvereinigung Stahl zufolge immerhin bis zu sieben Prozent der deutschen CO2-Emissionen eingespart.

Noch deutlicher wird das im kleinsten Bundesland Bremen, wo ArcelorMittal in einem Werk Flachstahl produziert. „Das hat eine extrem hohe klimapolitische Bedeutung: rund 50 Prozent der CO2-Emissionen im Land Bremen kommen vom Stahlwerk“, verdeutlicht Bremens Regierungschef Andreas Bovenschulte (SPD) die Dimension. In dem Werk werden jährlich 3,5 Millionen Tonnen Flachstahl produziert. Aus dem Schwesterwerk in Eisenhüttenstadt in Brandenburg kommen zwei Millionen Tonnen pro Jahr hinzu.

Wasserstoff statt Kohle

So weit, so gut - oder aus Umweltsicht so schlecht: Denn pro Tonne Stahl fallen im Schnitt bei der bisherigen Produktionsweise knapp zwei Tonnen CO2 an. Das liegt am Einsatz der Kohle, die deshalb im Herstellungsprozess ersetzt werden soll - zunächst noch teilweise mit Gas, aber langfristig mit Wasserstoff. Dazu werden Hochöfen stillgelegt und durch sogenannte Elektrolichtbogenöfen mit vorgeschalteter Spezialanlage, einer „Direktreduktionsanlage“ (DRI) zur Eisenerzvorbehandlung, ersetzt.

„Der anstehende Technologiewechsel in der Stahlbranche ist vergleichbar mit dem Wechsel vom Verbrennermotor zum Elektroantrieb in der Automobilindustrie“, umreißt Reiner Blaschek die Mammutaufgabe. Der Vorstandschef der beiden ArcelorMittal-Werke in Bremen und Eisenhüttenstadt nennt als Investitionssumme einen Betrag von über einer Milliarde Euro für den Umbau. Das entspreche im Normalbetrieb dem Investitionsvolumen von 20 Jahren an beiden Standorten.

Auch die Konkurrenten Salzgitter und Thyssenkrupp wollen in den kommenden Jahren schrittweise bestimmte Produktionsanteile von Kokskohle auf die Nutzung „grünen“ Wasserstoffs umstellen. Mit Wasserstoff kann das Roheisen aus dem Eisenerz gewonnen werden, ohne dass große Mengen des Treibhausgases CO2 frei werden. Neben elementarem Eisen, das dann für Stahllegierungen weiterverwendet wird, bleibt nur Wasserdampf übrig.

Milliarden für „grüne Transformation“

Deutschlands größter Stahlerzeuger, Thyssenkrupp, will bis 2045 Stahl klimaneutral herstellen und den ersten von vier Hochöfen 2025 durch eine DRI-Anlage ersetzen, die mit Wasserstoff arbeitet. Der Konzern schätzt die Kosten für die erste Gesamtanlage auf bis zu 1,2 Milliarden Euro. 2030 soll eine weitere, größere Anlage den zweiten Ofen ersetzen. Bis dahin wird mit weiteren Investitionskosten in Höhe von 1,1 Milliarden Euro gerechnet. Weitere 4,7 Milliarden Euro für die „grüne Transformation“ werden danach bis 2045 veranschlagt, insgesamt also rund 7 Milliarden Euro.

Mitbewerber Salzgitter setzt auf sein Projekt „Salcos“. Vor einem Jahr überreichte die damalige Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) einen Förderscheck von fünf Millionen Euro, die in den Bau einer mit Wasserstoff und Erdgas betriebenen DRI-Anlage fließen. Bis 2050 soll nach Unternehmensangaben die komplette Transformation der konventionellen hin zu einer wasserstoffbasierten Stahlerzeugung bei Salzgitter in mehreren Stufen umgesetzt werden. Damit könne die Entstehung von CO2 in der Stahlproduktion um bis zu 95 Prozent reduziert werden, heißt es.

Doch schon vor einem Jahr sah Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) zwei zentrale Fragen: „Wie geht es und wer bezahlt es?“ Die erste Frage ist geklärt, die zweite beantwortet der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Hans Jürgen Kerkhoff, heute so: „Damit der Einstieg in die Transformation gelingt, braucht es einen Paradigmenwechsel in der Energie- und Klimapolitik. Weg von immer höheren Kostenbelastungen, hin zu einem politischen Rahmen, der die Bemühungen der Stahlunternehmen zur Dekarbonisierung sinnvoll unterstützt.“

Böses Erwachen verhindern

Im Klartext: Wenn die Stahlbranche bei dem Umbau nicht ausreichend gefördert und entlastet wird und sich die hohen Investitionen nicht rechnen, dann kann es auf dem Markt ein böses Erwachen geben. Blaschek von ArcelorMittal formuliert das so: „Wenn wir diese Investitionen nicht zum Fliegen bringen, das heißt wettbewerbsfähig gestalten, besteht die Gefahr, dass wir auf der Strecke bleiben. Dann droht der europäischen und deutschen Stahlindustrie ein Ausbluten auf Raten.“

Und das liegt auch an China. Das Land ist der größte Stahlhersteller und -Exporteur der Welt. Seine Produktion überstieg im vergangenen Jahr eine Milliarde Tonnen - ein Anteil von 56 Prozent an der Weltproduktion. 2020 exportierte China 51,4 Millionen Tonnen Stahl, importierte 37,9 Millionen. Der Großteil seines Stahls mit 58 Prozent wird in der chinesischen Bauindustrie verbraucht. Zum Vergleich: Europa produziert etwa 160 Millionen Tonnen im Jahr, Deutschland etwa 40 Millionen Tonnen.

China ist auch der größte Kohlendioxidproduzent der Welt. Der Stahlsektor trägt zu 17 Prozent zu seinen Emissionen bei - mehr noch als die Energieproduktion. Um das erklärte Ziel Chinas zu erreichen, bis 2060 kohlendioxidneutral zu werden, spielt die Stahlindustrie deswegen eine Schlüsselrolle.

Pochen auf faire Handelsbedingungen

Bis es soweit ist, drängen die deutschen und europäischen Stahlhersteller, die bereits mit den stetig steigenden CO2-Preisen im Emissionshandel kämpfen, auf faire Handelsbedingungen, die auch eine „Green Border Tax“ beinhaltet. Die würde auf Stahlimporte erhoben, die etwa aus China kommen und bislang mit keinem Cent CO2-Abgabe belastet werden.

Allerdings ist das in der Gesamtbilanz auch politisch ein heikles Unterfangen, denn China ist unter anderem einer der Hauptabsatzmärkte etwa für deutsche Autos. Kann also sein, dass die Wettbewerbsfähigkeit des grünen Stahls erstmal lange Zeit auch vom deutschen und europäischen Steuerzahler zum Schutz des Klimas gesichert werden muss.

„Ein Teil der Fördergelder muss vom Bund und von der europäischen Ebene kommen, einen Teil wird das Land kofinanzieren. Und dazu sind wir absolut bereit“, sagt etwa Bremens Bürgermeister, der in seinem Stadtstaat „keinen Moment“ an einer politischen Mehrheit dafür zweifelt: „Die Hütte gehört zu Bremen und Bremen zur Hütte.“

Wie zum Beweis erhalten ArcelorMittal und die beiden Energiekonzerne swb und EWE an diesem Mittwoch in Bremen schon mal einen Förderscheck von zehn Millionen Euro an Landesmitteln aus dem Bremen Fonds. Das Geld ist für das größte industrielle Wasserstoffprojekt in Bremen bestimmt, das den Einstieg in die Dekarbonisierung der Stahlproduktion markiere, hieß es zur Begründung.

© dpa-infocom, dpa:211221-99-460924/2