Steinmeier: Nürnberger Prozesse schufen neue Rechtsordnung

dpa Nürnberg. Der Bundespräsident würdigt die Bedeutung der Nürnberger Prozesse gegen führende Nationalsozialisten, die vor 75 Jahren begannen. Zugleich wirbt er auch mit Blick auf die USA für den Internationalen Strafgerichtshof.

Steinmeier: Nürnberger Prozesse schufen neue Rechtsordnung

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (M) spricht beim Festakt zum 75. Jahrestag des Beginns der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse. Foto: Daniel Karmann/dpa-POOL/dpa

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Nürnberger Prozesse gegen führende Nazis als konstitutiv für die heutige internationale Strafgerichtsbarkeit gewürdigt.

Ohne diese vor 75 Jahren begonnenen Verfahren gäbe es den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag nicht, sagte er in Nürnberg bei einem Festakt. Zugleich äußerte er laut vorab veröffentlichtem Redemanuskript die Hoffnung, dass die neue US-Regierung von Joe Biden „zurückkehrt zu einer Zusammenarbeit, die auch den Wert internationaler Strafgerichtsbarkeit anerkennt“.

Vom 20. November 1945 an mussten sich führende Nationalsozialisten und damit erstmals in der Geschichte Vertreter eines Unrechtsregimes vor Gericht verantworten. Die alliierten Siegermächte stellten 21 ranghohe Kriegsverbrecher wie Adolf Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß und Reichsmarschall Hermann Göring vor ein internationales Gericht. Der Prozess endete nach fast einem Jahr mit zwölf Todesurteilen.

Heute sei der Internationale Strafgerichtshof eine Institution, sagte Steinmeier. „Schwerste Verbrechen nicht zu bestrafen, wäre fatal - diese Botschaft von Nürnberg ist nicht folgenlos geblieben, betonte er. „Ohne Nürnberg wären Kriegsherren aus Serbien, Kroatien oder aus Ruanda wegen Massenmord, Folter und Vergewaltigung nicht bestraft worden, würde auch Völkermord heute nicht als Straftat geahndet.“ Ohne Nürnberg gäbe es kein Weltrechtsprinzip und könnten nationale Gerichte nicht gegen Völkerrechtsverbrechen vorgehen.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hätten sich die Hoffnungen auf eine weitergehende Verrechtlichung der internationalen Beziehungen nicht erfüllt, sagte Steinmeier. „Alte und neue Mächte treten in Konkurrenz zueinander. Weltweit verpflichtende Normen werden als Einschränkung der eigenen Macht empfunden. Die internationale Strafgerichtsbarkeit ist immer häufiger Anfechtungen ausgesetzt, auch bei uns in Europa.“

Der Bundespräsident erinnerte daran, dass die USA, Russland, China, Indien und einige Dutzend andere Staaten dem Internationalen Strafgerichtshof nicht beigetreten sind. „Die USA, die maßgeblich zur Einrichtung des Internationalen Militärgerichtshofes in Nürnberg beigetragen hatten, und deren Völkerrechtler damit auch Ideengeber für den Internationalen Strafgerichtshof waren, arbeiteten unter der noch amtierenden Administration aktiv gegen das Haager Gericht“, kritisierte Steinmeier.

Zugleich äußerte er die Hoffnung, „dass der Strafgerichtshof durch sein Wirken das Vertrauen in seine Unparteilichkeit und völkerrechtliche Unbestechlichkeit stärken kann, die er braucht, um die Skeptiker zu überzeugen“.

Wegen der Corona-Krise war die Veranstaltung am Freitagabend in Nürnberg nicht öffentlich, sondern wurde im Internet übertragen. Neben dem Bundespräsidenten war auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zu Gast. Der frühere Chefankläger eines der Nachfolgeprozesse, Benjamin Ferencz, sowie die Außenminister der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Russlands schickten Videobotschaften.

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