Folgen der Erderwärmung

Stille Killer: Jüngste Hitzewelle durch Klimawandel um 4 Grad heißer

Kürzlich lag Europa unter einer Hitzeglocke. Wie drastisch der Klimawandel die Zahl der Hitzetoten steigert, zeigt nun eine Analyse.

Stille Killer: Jüngste Hitzewelle durch Klimawandel um 4 Grad heißer

„Für Tausende von Menschen kann ein Temperaturanstieg um nur zwei oder vier Grad eine Frage von Leben und Tod sein.“

Von Markus Brauer/AFP/dpa

Die jüngste Hitzewelle in Westeuropa ist laut einer wegen des menschengemachten Klimawandels um bis zu vier Grad heißer ausgefallen. Bei dieser extremen Wärmeentwicklung von Ende Juni bis Anfang Juli hat der Klimawandel die Zahl der Todesopfer in europäischen Großstädten einer Studie zufolge etwa verdreifacht, heißt es in einer am Mittwoch (9. Juli) veröffentlichten Studie des Imperial College London.

Das berichtet ein internationales Forscherteam nach einer Analyse der Entwicklung in zwölf Großstädten im Zeitraum vom 23. Juni bis 2. Juli. Damals kletterten die Temperaturen in vielen Städten auf Extremwerte von teils deutlich über 40 Grad Celsius. Für die 30 Millionen Bewohner der untersuchten Metropolen, darunter Paris, London, Madrid und Frankfurt am Main, habe sich zudem das Gesundheitsrisiko vergrößert.

1,500 more people died across 12 European cities as a consequence of the recent intense heatwave than they would have without the influence of climate change, according to a new study by World Weather Attribution https://t.co/UM1KQitU2Jpic.twitter.com/L5Mja7sHcG — Martina Igini (@Martina_Igini) July 9, 2025

„Eine Frage von Leben und Tod“

Bei der extrem frühen, starken und lang andauernden Hitzewelle waren seit Ende Juni in vielen Ländern Europas die Temperaturen auf über 40 Grad Celsius gestiegen. Die Wissenschaftler schätzen die Zahl der durch die Hitzewelle vorzeitig gestorbenen Menschen in den zwölf untersuchten Städten auf 2300. Ohne den Klimawandel hätte es etwa 1500 Todesfälle weniger gegeben, heißt es in der Analyse.

„Für Tausende von Menschen kann ein Temperaturanstieg um nur zwei oder vier Grad eine Frage von Leben und Tod sein“, sagt Garyfallos Konstantinoudis vom Imperial College London. Deshalb seien Hitzewellen als „stille Killer“ bekannt. „Die meisten Todesfälle ereignen sich zuhause oder in Krankenhäusern fernab der Öffentlichkeit und werden selten gemeldet“, fügt er hinzu.

Simulation unterschiedlicher Hitze-Szenarien

Um den Einfluss des Klimawandels zu beurteilen, simulierten die Wissenschaftler die Intensität der Hitzewelle in einer Welt ohne den massiven Ausstoß von Treibhausgasen, der vor allem durch fossile Brennstoffe verursacht wird.

Die an der Studie beteiligten Wissenschaftler mehrerer europäischer Forschungsinstitute betonten, dass es sich um eine Schätzung handle. Bis zu einer offiziellen Bilanz der jüngsten Hitzewelle wird es voraussichtlich mehrere Wochen dauern. In den vergangenen Sommern hatten Hitzewellen bereits Zehntausende vorzeitiger Todesfälle verursacht.

Heißester Juni seit Menschengedenken

Unterdessen meldete das EU-Erdbeobachtungsprogramm Copernicus, dass der vergangene Monat der heißeste Juni war, der je in Westeuropa gemessen wurde. Weltweit handelt es sich um den drittheißesten Juni überhaupt, wobei die bisherigen Höchstwerte aus den vergangenen beiden Jahren stammen.

Die internationale Gemeinschaft hat im Pariser Klimaabkommen von 2015 vereinbart, die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Dabei gilt der Mittelwert in einem Zeitraum von mehreren Jahrzehnten. Angesichts der anhaltenden Nutzung fossiler Energieträger wie Erdöl scheint diese Grenze nach Einschätzung vieler Fachleute kaum mehr einzuhalten zu sein.

Weitaus meisten Todesfälle entfielen auf Senioren ab 65

Für die sehr zeitnah vorgenommene Analyse habe sich das Team auf eine anerkannte Methodik gestützt, sagt der renommierte Hamburger Klimatologe Jochem Marotzke, der nicht an der Arbeit beteiligt war. Dabei verglich die Gruppe die tatsächlich in den Städten gemessenen Temperaturen in dem Zeitraum anhand eines Modells mit Werten, die ohne den Klimawandel erreicht worden wären. Für beide Szenarien errechnete das Team dann die Zahl der erwarteten Hitzetoten.

Unter der jüngsten Hitzewelle litten demnach besonders verletzliche Gruppen wie etwa Menschen mit Vorerkrankungen. 88 Prozent der geschätzten Todesfälle entfielen auf die Altersgruppe ab 65 Jahren, berichtet das Team, dem unter anderem die Attributionsexpertin Friederike Otto vom Imperial College London angehört.

Demnach verursachen Hitzewellen wesentlich mehr Todesfälle als andere Naturkatastrophen. Zum Vergleich: Bei den Überschwemmungen in der spanischen Region Valencia kamen demnach im vergangenen Jahr 224 Menschen ums Leben, bei den Flutkatastrophen 2021, darunter im Ahrtal, starben im nordwestlichen Europa 243 Menschen.

Kleine Differenz kann Unterschied zwischen Leben und Tod machen

Die untersuchten zwölf Städte waren in unterschiedlichem Ausmaß von den Folgen der Hitzewelle betroffen: Demnach entfielen knapp 320 der durch den Klimawandel zusätzlich entstandenen Todesfälle auf Mailand, 286 auf Barcelona, 235 auf Paris und 171 auf London. In Frankfurt liegt die Zahl mit 21 zusätzlichen Todesopfern vergleichsweise niedrig.

„Hitzewellen hinterlassen keine Schneise der Verwüstung wie Flächenbrände oder Stürme», erklärt Co-Autor Ben Clarke vom Imperial College London. „Ihre Folgen sind überwiegend unsichtbar, aber im Stillen verheerend. Eine Differenz von nur 2 bis 3 Grad Celsius kann für Tausende von Menschen den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten.“

Als Folge des Klimawandels ist die globale Temperatur im Vergleich zur vorindustriellen Zeit bereits um 1,3 Grad gestiegen, wobei Europa gerade im Sommer stärker betroffen ist als andere Kontinente. Clarke verweist darauf, dass im Lauf des 21. Jahrhunderts 3 Grad Unterschied erreicht werden könnten, sofern die Nutzung fossiler Brennstoffe wie Öl, Kohle oder Gas nicht ende. Dies würde noch weit heftigere Hitzewellen mit sich bringen.

„Extreme Hitze, die früh eintritt, ist besonders tödlich“

Das Team betont, sich in der Studie auf Todesfälle konzentriert zu haben. Zusätzlich gebe es weitere Folgen: von Krankenhauseinlieferungen, etwa von Menschen mit Asthma oder Lungenerkrankungen, über Schulschließungen bis hin zu Arbeitsausfällen, dem Abschalten von Atomkraftwerken und einer höheren Zahl an Flächenbränden aufgrund der durch die Hitze ausgedörrten Vegetation.

„Der einzige Weg zu verhindern, dass Hitzewellen noch tödlicher werden, besteht darin, das Verbrennen fossiler Kraftstoffe zu stoppen“, fordert Co-Autorin Friedericke Otto. Zudem gelte es, erneuerbare Energien auszubauen, Städte hitzeresistenter zu gestalten und die ärmsten und verletzlichsten Bevölkerungsgruppen zu schützen.

Hitzedom über Europa

Auslöser der jüngsten Hitzewelle war ein Hochdruckgebiet über Westeuropa – ein sogenannter Hitzedom – mit trockener heißer Luft, das sich nach Osten verlagerte und dabei heiße Luft von Nordafrika nach Europa fließen ließ. Solche meteorologischen Konstellationen würden mit dem Klimawandel häufiger und ausgeprägter, schreibt die Gruppe.

Europa sei im Sommer der sich am stärksten erwärmende Kontinent, heißt es weiter. Im Sommer 2022 starben dort demnach mehr als 60.000 Menschen an Hitze - die Hälfte davon ging Studien zufolge auf das Konto des Klimawandels. Im Folgejahr gab es demnach 47.000 Hitzetote.

Eine Besonderheit der jüngsten Hitzewelle war das besonders frühe Auftreten schon im Juni. „Extreme Hitze, die früh in der Jahreszeit eintritt, ist tendenziell besonders tödlich, weil die Menschen noch nicht an die Sommertemperaturen gewöhnt sind“, heißt es.

„Kein Zweifel, dass Hitzewellen häufiger und intensiver werden“

Marotzke spricht von einer „sehr gut gemachten Studie“. Dass eine wissenschaftliche Analyse so schnell auf ein Ereignis folge, sei zwar ungewöhnlich, aber angesichts des Informationsbedürfnisses gut und richtig, erklärt der Direktor am Hamburger Max-Planck-Instituts für Meteorologie.

„Es gibt keinen Zweifel daran, dass Hitzewellen mit dem Klimawandel häufiger und intensiver werden“, warnt der Klimatologe. Darauf seien deutsche Städte unzureichend vorbereitet: Als Beispiele nennt er viele verglaste und nicht abgeschattete Gebäude, zu wenig begrünte und zu viele versiegelte Flächen.