Streik: Ärzteschaft im Kreis benötigt dringend Entlastung

Dass sich kaum Praxen im Rems-Murr-Kreis am Streik beteiligen, liegt in ihrer Solidarität begründet. In der Sache sind sie sich einig.

Streik: Ärzteschaft im Kreis benötigt dringend Entlastung

Nicht geschlossen, aber kämpferisch zeigt sich die Praxis Delic-Bikic. Foto: Alexander Becher

Von Lorena Greppo

Rems-Murr. Bereits am 5. Oktober setzten rund 300 Ärztinnen und Ärzte mit Praxisschließungen ein Zeichen forderten spürbare Verbesserungen. Auch am gestrigen Mittwoch war wieder zum Protesttag aufgerufen worden. Im nördlichen Rems-Murr-Kreis wisse er nur von einer Facharztpraxis, welche mitgemacht hat, berichtet Jens Steinat, Sprecher der hiesigen Ärzteschaft. Dass er und viele andere nicht streiken, liege aber nicht etwa daran, dass sie die Sache nicht unterstützen. „Wir würden sehr gerne ein Zeichen setzen. Aber wir wollen die Kollegen, die arbeiten, auch nicht völlig ins Nirwana stürzen.“ Er kreide der Politik an, dass sie das sehr gut wisse und auf die Solidarität der Ärzteschaft setze. „Das wird gnadenlos ausgenutzt“, so Steinat.

Aktuell verzeichnen die Ärzte viele Infekte, außerdem gehe es bei den Hausärzten auch darum, die Kinderärzte zu entlasten, welche unter anderem durch die RSV-Welle mit einem großen Ansturm zu kämpfen haben. Zu ihnen zählt Kinderärztin Sabina Delic-Bikic. Aus Verantwortungsgefühl gegenüber ihren Patientinnen und Patienten hat sie von einer Schließung am Protesttag abgesehen und machte stattdessen mit bunten Zetteln in ihrer Praxis darauf aufmerksam. Sie wolle aber nicht ausschließen, dass sie in Zukunft auch mit streike.

Bürokratie ist nicht mehr zu schultern

Denn klar ist: Es muss sich einiges ändern. Die Stimmung unter den Ärztinnen und Ärzten im Rems-Murr-Kreis sei nicht gut, so Steinat. Schwer wiege dabei die mangelnde Wertschätzung, „dabei geht es mir nicht in erster Linie um das Geld“, führt der Arzt aus Oppenweiler aus. Die Arbeitsbelastung der Ärzteschaft werde nicht gesehen und folglich würden auch keine ernst zu nehmenden Entlastungen erfolgen. „Die Bürokratie ist nicht mehr schulterbar“, sagt Steinat. Er bekomme etwa reihenweise Kassenanfragen zu Krankmeldungen, welche zum großen Teil überflüssig seien. Anfragen von Ämtern seien nur mit sehr langer Wartezeit zu beantworten – und das nicht aus bösem Willen. Es sei einfach nicht besser machbar. „Auch wir Ärzte müssen nach unserer Gesundheit schauen.“ Geholfen wäre ihnen, wenn jene Regularien zurückgefahren würden, die nicht der Patientensicherheit dienen, und das seien die meisten. „Ich zweifle aber sehr daran, dass unser Verwaltungswesen es schafft, sich zu entrümpeln“, äußert sich Steinat. „Vermutlich wird es sich erst dann ändern, wenn das System von unten kollabiert.“

Die Perspektive für die Region sei nicht rosig. Schon jetzt fehlen Ärztinnen und Ärzte und aufgrund der Altersstruktur werden es in den kommenden Jahren voraussichtlich immer weniger. „Und jeder Kollege, der zumacht, fehlt in der Versorgung.“ Schon jetzt verspüre man eine zusätzliche Belastung etwa durch die Übernahme des Notfalldienstes.