Studie: Absprachen in Prozessen verstoßen oft gegen Vorgaben

dpa/lsw Tübingen/Berlin. Der Angeklagte legt ein Geständnis ab und erhält im Gegenzug eine abgesprochene Strafe. An Gerichten gehören Deals zum Alltag. Doch sie unterliegen Regeln. Gegen diese wird aber immer noch zu oft verstoßen, analysiert eine Studie.

Studie: Absprachen in Prozessen verstoßen oft gegen Vorgaben

Justitia mit Holzhammer und Aktenstapel. Foto: Volker Hartmann/dpa/Symbolbild

Absprachen vor Gericht, sogenannte Deals, verstoßen einer Studie zufolge immer noch häufig gegen gesetzliche Vorgaben. Von 1500 Fachleuten gaben in der Untersuchung rund 58 Prozent an, dass allen Beteiligten bereits mit der Verständigung klar sei, welche Strafe am Ende der Verhandlung steht. Das ist aber unzulässig: Das genaue Strafmaß darf nicht von vorneherein feststehen. Das teilte das Tübinger Institut für Kriminologie am Freitag mit. Nicht einmal die Hälfte aller befragten Richter, Staatsanwälte und Strafverteidiger gab an, auf informelle Absprachen vollständig zu verzichten.

Deals gab es laut Studie vor allem bei Betrugsdelikten (29 Prozent), Wirtschaftsstrafsachen (27 Prozent), Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz (22 Prozent) und Steuerstrafsachen (20 Prozent). Nach den Angaben der Teilnehmer fanden am Amtsgericht häufiger informelle Absprachen statt als am Landgericht. „Wenn vor allem an Amtsgerichten „gedealt“ wird, ist das auch ein Hinweis darauf, dass es an den nötigen personellen Ressourcen fehlt“, sagte Jörg Kinzig, Professor am Institut für Kriminologie, zum Ergebnis der Studie.

Wer die Zahl der Verständigungen in Strafverfahren spürbar senken wolle, müsse die Strafjustiz in erster Linie deutlich besser ausstatten, sagte der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn. „Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit der Prozessbeendigung durch Absprachen auch deshalb eröffnet, um die vielfach überlasteten Staatsanwaltschaften und Strafgerichte teilweise zu entlasten. Insofern kann es niemanden überraschen, dass die Gerichte diese Möglichkeiten auch nutzen.“ Insbesondere Wirtschafts- oder Steuerprozesse würden häufiger durch Verständigungen beendet, weil es sich in diesen Fällen oft um langwierige Verfahren mit einem sehr hohen Ermittlungsaufwand handle.

Verständigungen im Strafverfahren seien seit mehr als 30 Jahren Teil des gerichtlichen Alltags, sagte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD). Mit der Studie sei man dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts, die Einhaltung dieser verfassungsrechtlich notwendigen Regeln zu überprüfen, nachgekommen. „Jetzt wird geprüft, ob weitere gesetzliche Regelungen erforderlich sind, um Defiziten in der gerichtlichen Verständigungspraxis wirksam zu begegnen“, erklärte Lambrecht.

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Jahr 2013 die Absprachen zwar abgesegnet, aber den Zeigefinger erhoben: Die Prozessbeteiligten dürften die gesetzlichen Vorgaben für Deals nicht aus den Augen verlieren. Die Verfassungsrichter kritisierten damals, dass sich die gerichtliche Praxis „in erheblichem Umfang“ über die Regelungen hinwegsetze. Sollte sich das nicht ändern, drohe ein „verfassungswidriger Zustand“. Informelle Absprachen seien unzulässig. Urteile, die auf diesem Wege zustande gekommen sind, könnten angefochten werden. Der damalige Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Max Stadler, sagte, es dürfe künftig keine Absprachen in der Kantine mehr geben.

Verständigungen in Strafverfahren unterliegen seit 2009 festen gesetzlichen Regeln: Eine solche Übereinkunft muss der Transparenz wegen dokumentiert werden. Geständnisse müssen überprüft werden. Auch darf das genaue Strafmaß nicht von vorneherein feststehen. Möglich ist vorab nur die Festlegung eines Korridors, in dem die Strafe liegen soll.

Im Auftrag des Bundesjustizministeriums hatte das Forschungsprojekt der Universitäten Tübingen, Düsseldorf und Frankfurt am Main zwei Jahre lang untersucht, wie Verständigungen im deutschen Gerichtsalltag ablaufen.