Sturmtief Sabine legt Bahnverkehr lahm

Der Orkan sorgt auch im Rems-Murr-Kreis für zahlreiche Einsätze von Feuerwehr und Polizei – Schäden geringer als bei Lothar

Vor allem den Kräften von Polizei und Feuerwehr bescherte das Sturmtief gestern eine Vielzahl an Einsätzen. Die verursachten Schäden hielten sich noch in Grenzen, auch wenn es für ein Ehepaar in Kaisersbach ganz schön knapp wurde. Den wohl größten Verdruss bescherte Sabine derweil den Pendlern.

Sturmtief Sabine legt Bahnverkehr lahm

Am Backnanger Bahnhof war am Montagmorgen Geduld gefragt. Fotos: A. Becher

Von Bernhard Romanowski und Armin Fechter

BACKNANG. Sabine hat kräftig gewirbelt, aber unterm Strich dürften die Schäden nicht so schlimm ausgefallen sein wie 1999, als der Orkan Lothar über Deutschland hinwegfegte und eine Spur der Verwüstung zog. So die erste Einschätzung von Dagmar Wulfes, der Leiterin des Forstamts in Backnang. Bislang liegen aber nur punktuelle Erkenntnisse vor. So hat der Wind beim Trimm-dich-Pfad in Murrhardt etwa 100 Festmeter Holz umgeworfen. Einen genaueren Überblick gibt es jedoch derzeit noch nicht. Wulfes hat nämlich, weil es bis Mittwoch weiter stürmen soll, angeordnet, dass ihre Leute vorerst noch nicht in den Wald rausgehen. Zu groß wäre die Gefahr. Sorge bereitet der Amtsleiterin vor allem, dass die Bäume durch zwei Jahre Käferfraß stark gelitten haben: „Die Bestände sind angerissen.“

Im Räumungseinsatz: Das Orkantief Sabine erreichte ab etwa 1 Uhr den Bereich des Polizeipräsidiums Aalen, dem auch der Rems-Murr-Kreis angehört. Ab 2 Uhr wurden erwartungsgemäß hauptsächlich umgestürzte Bäume, Bauzäune, Werbeschilder und sonstige umhergeflogene Gegenstände gemeldet, wie die Polizei mitteilte. Zwischen 1 Uhr und 8 Uhr gingen rund 130 Notrufe beim Führungs- und Lagezentrum ein. Mehrere Autos wurden durch umgestürzte Bäume und abgebrochene Äste beschädigt. Teilweise wurden auch Dächer in Mitleidenschaft gezogen. Zu Behinderungen durch querliegende Bäume auf den Straßen kam es mitunter auch. Diese wurden hauptsächlich durch Einsatzkräfte der Feuerwehren, Straßenmeistereien sowie Bauhöfe beiseitegeräumt.

Erhöhte Bereitschaft: Kreisbrandmeister René Wauro und sein Team hatten sich am Sonntag mit Vertretern des Rettungsdiensts und der Integrierten Leitstelle aufgrund der Sturmmeldung zusammengesetzt. Dabei wurde dann eine auf den Rems-Murr-Kreis zugeschnittene Wettereinschätzung vom Deutschen Wetterdienst eingeholt. Daraufhin wurde die Bereitschaft in der Leitstelle erhöht und Kontakt mit den einzelnen Feuerwehren aufgenommen. Gestern um 10 Uhr früh waren bereits 77 Einsatzstellen durch die Feuerwehren abgearbeitet worden. Es waren Wehren aus 25 Städten und Gemeinden beteiligt. Anschließend entspannte sich die Lage, es waren nur noch vereinzelt neue Einsätze zu verzeichnen. Aktuell kann man sagen, dass der Rems-Murr-Kreis insgesamt recht glimpflich davongekommen ist und dass die Lage sich Montagvormittag entspannte. „Die Feuerwehren hatten aber natürlich viel zu tun“, so Martina Keck, die Pressesprecherin des Rems-Murr-Kreises. Die Mitarbeiter im Landratsamt waren Keck zufolge natürlich auch von den Zugausfällen betroffen. Keck: „Manche sind aber auch aufs Auto oder den Bus umgestiegen.“

Glück gehabt: Auf den Höhenlagen sorgte Sabine dafür, dass am Mönchhof bei Kaisersbach ein Baum auf einen Wohnwagen fiel. Wie die Polizei weiter mitteilt, war es gegen 5.40 Uhr, als die große Tanne auf den Wohnwagen krachte. Das Vehikel wurde im Heckbereich eingedrückt, wobei auch die Eingangstür verklemmte. Die Feuerwehr befreite das Ehepaar, das sich bis dahin noch im Wohnwagen befunden hatte. Die Ehefrau wurde vom Rettungsdienst vorsorglich vermutlich infolge eines Schocks in ein Krankenhaus gebracht. Der Ehemann blieb unverletzt.

Hohe Fallzahl: „Es hätte schlimmer kommen können, ist es aber glücklicherweise nicht“, bilanziert indessen Michael Meyle. Als Leiter des Strom- und Gasversorgungsunternehmens Syna am Standort Murrhardt hat Meyle ziemlich genau auf dem Schirm, wo der Sturm Sabine zugeschlagen hat und wo er sich dann doch als eher laues Lüftchen entpuppte. Demnach sei seitens der Syna keine besondere Schwere der Schäden an den Stromleitungen in ihrem Einzugsbereich zu verzeichnen, wohl aber eine hohe Anzahl an Fällen. So hatte Syna die personelle Besetzung der Servicestellen entsprechend drastisch erhöht, weil so viele Anrufe von Kunden kamen, die eine Störung melden wollten, die dann entsprechend bearbeitet werden mussten. Im Hochspannungsbereich, also an den Überlandleitungen, sei es kaum zu Schäden gekommen. Das habe auch damit zu tun, dass die Syna in den vergangenen Jahren die Zahl der Freileitungen stark reduziert und stattdessen Erdkabel verlegt habe. Hier und da hätten umgekippte Bäume eine Ortsleitung getroffen. Geografischer Schwerpunkt der Schadensfälle im Rems-Murr-Kreis waren höher gelegene Ortschaften wie Sulzbach an der Murr oder Murrhardt mit seinen Ortsteilen. Meyle: „In Backnang ist weniger passiert.“

Pendlerfrust: Die Geduld der Pendler wurde am Montag indessen arg auf die Probe gestellt. In der Nacht war der Bahnverkehr wegen des Sturms deutschlandweit ausgesetzt. Es hieß jedoch zunächst, dass die Züge im Raum Stuttgart ab 8 Uhr wieder fahren würden. Also kamen um diese Zeit viele an den Backnanger Bahnhof – um dann frustriert sehen zu müssen, dass nach wie vor nichts ging. Auf Gleis fünf stand zwar eine S-Bahn, der Zug war aber dunkel, Einsteigen nicht möglich. Als er sich dann langsam in Bewegung setzte, rollte er in Richtung Abstellgleise. Auch eine Regionalbahn stand in Bahnhofsnähe, in der Verlängerung von Gleis drei in Richtung Maubach – und rührte sich nicht vom Fleck.

Alle paar Minuten gab es eine Durchsage, wonach aktuelle Informationen auf www.bahn.de abrufbar seien. Doch Mobiltelefone waren ohnedies bereits in aller Hände – nicht nur zur Informationsbeschaffung, sondern auch um Arbeitgeber über die Lage zu unterrichten oder Alternativen zu organisieren. Eine Gruppe von Azubis diskutierte, wie sie wohl zur Berufsschule kommen oder ob sie besser gleich in den Betrieb gehen sollen. Dann neue Erkenntnisse: Vor 10 Uhr, so teilte der VVS mit, werde der Betrieb nicht wieder aufgenommen, weil noch Schäden beseitigt werden müssten. Und weil kurz darauf wieder heftige Böen und Regen einsetzten, leerten sich die Bahnsteige rasch: Die Leute suchten Schutz in der Unterführung. Doch alles Warten nutzte nichts, der Betriebsstart wurde später noch einmal verschoben. Wegen Streckenerkundungen und Reparaturen werde im ganzen S-Bahn-Netz vor Mittag kein Zug fahren, kündigte der VVS jetzt an.

Schülerschwund: Wegen der Unwetterwarnung des Deutschen Wetterdiensts hatte das Kultusministerium Baden-Württemberg am Wochenende einen besonderen Hinweis an Eltern und Schulen herausgegeben: „Eltern beziehungsweise Erziehungsberechtigte können entscheiden, ob der Schulweg für ihre Kinder zumutbar ist.“ Falls der Weg zur Schule aufgrund extremer Wetterlagen nicht zumutbar sei, konnten Eltern ihr Kind vom Unterricht befreien lassen. In der Freien Waldorfschule in Backnang erschienen am Montag „mehr als die Hälfte der Schüler“ nicht, wie die BKZ auf Nachfrage erfuhr. Das lag aber auch daran, dass viele der Waldorfschüler von außerhalb kommen und somit die Entscheidung, ob man sein Kind zur Schule schickt, noch einmal eine andere Sache ist, als wenn die Schule nur um die Ecke liegt. Manche kamen auch nur einfach später. In der Backnanger Plaisirschule sah das schon etwas anders aus. Dort fehlten eher die Schüler, die in der Nähe wohnen. Insgesamt waren 138 von insgesamt 280 Schülern erschienen, wie aus dem Sekretariat der Schule zu erfahren war. Darunter waren einige als krank gemeldet. „90 Prozent fehlen aber wegen Sabine.“ In der Max-Eyth-Realschule in Backnang wurden deutlich weniger Schüler als sonst verzeichnet, wie Schulleiter Heinz Harter unserer Zeitung mitteilte. Er schätzte, dass rund ein Drittel am Montag nicht erschienen war. „Schüler, die mit der S3 oder S4 zu uns kommen, hatten natürlich ein Problem“, so Harters Kommentierung des Umstands, dass die S-Bahnen gestern Morgen nicht fuhren.

Gefahr im Wald: Stadt- und Forstverwaltung raten dringend, Waldgebiete zu meiden. Die Behörden warnen die Bevölkerung vor Waldspaziergängen und bitten, auf jegliche anderen Aktivitäten in den Wäldern rund um Murrhardt zu verzichten, bis Entwarnung gegeben wird. Die beiden Revierförster Dieter Seitz und Andreas Schlär sind aktuell – soweit es die Sturmlage erlaubt – dabei, die Schäden zu erheben. Doch schon jetzt zeichnet sich ab, dass auch der Murrhardter Wald nicht verschont blieb. Aktuell ist ein Großteil der Waldwege, so etwa auch der Trimm-dich-Pfad, durch umgestürzte Bäume und herabfallende Äste nicht passierbar. Wer den Wald trotzdem betritt, begibt sich in Gefahr. Teilweise gesperrt werden mussten auch einige Gemeindeverbindungsstraßen. Die Beseitigung der Schäden wird voraussichtlich die ganze Woche in Anspruch nehmen.

Entsorgung gesichert: Laut Stefanie Baudy von der Pressestelle der Abfallwirtschaft Rems-Murr ist die reguläre Entsorgung in Backnang und Murrhardt nicht grundsätzlich vom Sturmtief Sabine beeinträchtigt worden. Gegebenenfalls könne es mit der Müllentsorgung etwas länger dauern als sonst. Die Firma Schäf Städtereinigung habe aber nicht vor, die Fahrten ganz auszusetzen, wie es am Montag etwa in Waiblingen der Fall war. Wegen starker Sturmböen waren die Abfuhren von Rest- und Biomüll in Fellbach, Kernen im Remstal, Korb, Waiblingen und Weinstadt abgesagt worden. Ebenso die Sperrmüllabfuhren sowie die Abholungen von Elektroaltgeräten und Metallschrott. Die gestrigen Planungen sahen vor, dass die Fahrzeuge ab dem heutigen Dienstag wieder unterwegs sein werden. „Die Abfuhren verschieben sich um einen Tag nach hinten, werden aber auf alle Fälle durchgeführt“, hieß es gestern dazu.

Sturmtief Sabine legt Bahnverkehr lahm

In Kaisersbach stürzte eine Tanne auf einen Wohnwagen. Das Ehepaar im Inneren wurde von der Feuerwehr befreit. Foto: 7aktuell/Kevin Lermer

Sturmtief Sabine legt Bahnverkehr lahm

Die Deckenverkleidung am neuen Lidl in Backnang ist Sabine zum Opfer gefallen.