Wer Kinder hat, kommt um Eltern-Chat-Gruppen für Klassen, Hobbies oder Geburtstage nicht herum. Doch nicht selten sind sie Zeitfresser und bergen Eskalationspotenzial.
Whatsapp-Gruppen können Eltern an den Rande des Wahnsinns bringen.
Von Sandra Markert
„Elias vermisst sein Mathebuch. Ist das zufälligerweise bei jemandem aufgetaucht?“ Erfahrene Mitglieder elterlicher Whatsapp-Gruppen wissen, was gleich passiert – und warum diverse Elternchats oft nur nervige Zeitfresser sind. Denn Fragen wie diese ziehen in der Regel Folgendes nach sich:
„Bei uns ist es nicht.“
„Finn hat es auch nicht.“
„Lia ist noch nicht zu Hause, aber wir schauen dann in ihrem Schulranzen.“
„Frida ist schon die ganze Woche krank. Ok, vielleicht nicht so aussagekräftig meine Nachricht.“
Dutzende Nachrichten in wenigen Minuten
Die Negativnachrichten summieren sich in den nächsten Minuten auf eine zweistellige Zahl. Geholfen ist dem Mathebuch-Sucher damit nicht. Warum bloß fällt es in Gruppenchats vielen so schwer, einfach mal nicht zu antworten? „Oft wird geschrieben, ohne groß nachzudenken, weil diese Form der Kommunikation so schnelllebig und einfach ist“, sagt Medienpädagogin Andrea Zeisberg, die beim Landesmedienzentrum Baden-Württemberg arbeitet.
Woran Schreibende in dem Moment meist nicht denken: dass sie mit ihrer Nachricht die Zeit einer Vielzahl von Empfängern in Anspruch nehmen. „Ich bekomme eine Frage gestellt, also antworte ich. In dem Moment ist mir nicht bewusst, dass noch 30 andere mitlesen“, sagt Christa Schäfer, die als Schulmediatorin arbeitet.
Um zu entscheiden, ob eine Antwort in einem Gruppenchat wirklich sein muss, hat sie folgenden Tipp: „Würde ich mich bei einem Elternabend melden und etwas zu dem Thema beitragen?“ So habe man die Gruppe vor Augen, an die man seine Botschaft adressiert – und die die Antwort zwangsläufig mitbekommt, ob sie für sie persönlich nun relevant ist oder nicht. Denn ähnlich wie bei einem Elternabend kann man aus einem Gruppenchat ja nicht einfach aussteigen, wenn die Diskussion nur einzelne Teilnehmer betrifft oder ins Sinnlose abdriftet. „Ich sehe die Nachrichten trotzdem und werde sie auch lesen, weil es auch etwas Wichtiges sein könnte“, sagt Andrea Zeisberg. Summieren sich diese auf eine mehrstellige Zahl oder sind darunter gar noch Sprachnachrichten, die man nicht eben überfliegen kann, erzeugt das schnell ein Stressgefühl.
Zeitfresser und Missverständnisse
Das kann man anderen Gruppenmitgliedern ersparen, indem man auf eine Antwort verzichtet – oder nur privat statt in die Gruppe zurückschreibt. „Das kann auch der Fragende ein wenig steuern, indem er entsprechend textet“, meint Christa Schäfer. Im Beispiel mit dem Mathebuch könne dies etwa folgender Zusatz sein: „Wer etwas weiß, meldet sich gern direkt bei mir.“
So schnell und praktisch die Frage in eine digitale Gruppe sein kann: Sie strapaziert nicht nur die Zeit von anderen, sie führt auch häufig zu Missverständnissen. „Denn ich weiß ja gar nicht, wann und in welcher Situation meine Nachricht jemanden erreicht“, sagt Christa Schäfer. Konflikte sind da vorprogrammiert, etwa wenn jemand vielleicht nur deshalb kurz angebunden antwortet, weil er gerade noch bei der Arbeit ist. „Zudem fehlen uns Gestik und Mimik, um richtig einordnen zu können, wie ein Inhalt genau gemeint ist“, sagt Andrea Zeisberg.
Weshalb es Christa Schäfer bei ihrer Arbeit an Schulen schon erlebt hat, dass eine Auseinandersetzung in einem Elternchat so hochgekocht ist, dass die Personen beim nächsten persönlichen Aufeinandertreffen handgreiflich wurden. Immer wieder wenden sich auch Schulen und Kitas an sie, die nicht mehr wissen, wie sie ein Thema aus einem Elternchat ohne die Hilfe einer Mediation lösen sollen.
„Ein häufiges Problem dieser Elterngruppen ist ja auch, dass darin über Personen gesprochen wird, die gar nicht Teil dieser Gruppe sind“, sagt Christa Schäfer. Oft gehe es dabei um Lehrpersonen oder Erzieher, die angeblich dieses oder jenes getan haben sollen. „Die betreffende Person weiß aber gar nichts von der Diskussion und bekommt keine Möglichkeit, ihre Sichtweise darzustellen. Und die Eltern waren selbst oft noch nicht einmal dabei“, sagt Christa Schäfer.
Nur über Personen sprechen, die Teil der Gruppe sind
Statt miteinander ins Gespräch zu kommen, werde so nur unnötig gegeneinander Stimmung gemacht. „Sitzt man sich dann irgendwann mal direkt gegenüber, sind die Emotionen oft schon so hochgekocht, dass eine sachliche Auseinandersetzung sehr schwierig ist“, so Schäfers Erfahrung.
Oder aber die Eltern diskutieren über ihre Kinder. „Eltern neigen zu Recht natürlich dazu, dem eigenen Kind zu glauben. Aber trotzdem wissen sie einfach nie sicher, ob eine zu Hause erzählte Geschichte sich wirklich so zugetragen hat“, sagt Christa Schäfer. Weshalb sie die Regel empfiehlt: In Elternchats wird nur über die Personen gesprochen, die Teil der Gruppe sind – und das schließt sowohl die Kinder als auch die Lehrer aus.
Klassengruppen machen es Eltern zudem einfach, sich schnell mal um Dinge zu kümmern, die gar nicht unbedingt in ihre Verantwortung fallen. Denn eigentlich haben weder sie das Mathebuch verlegt noch vergessen, sich die Hausaufgaben zu notieren.
Statt sich über das Verhalten solcher Helikopter-Eltern aufzuregen, schlägt Christa Schäfer vor, etwas Positives daraus zu ziehen. „Man kann ja Themen wie Hausaufgaben oder Förderung von Selbstständigkeit durchaus mal beim Elternabend einbringen und sich einen Experten dazu einladen.“ Vielleicht kehre danach im Klassenchat auch wieder mehr Ruhe ein – und die Gruppe kann für Dinge genutzt werden, die allen Eltern das Leben erleichtern.
„Damit eine Elterngruppe für möglichst viele Beteiligte nützlich und nicht lästig ist, lohnt es sich, ein paar Regeln dafür aufzustellen“, sagt Andrea Zeisberg. So könne man festlegen, über welche Themen, in welcher Form und mit welchem Umgangston kommuniziert werde. „Ein solcher Verhaltenskodex lässt sich oben in der Gruppe auch anpinnen, dann haben ihn alle vor Augen“, erläutert Zeisberg.
Darüber hinaus brauche es ein, zwei Personen, die ein Auge darauf haben, dass die Regeln dann auch eingehalten werden. „Das muss nicht immer zwingend die Person sein, die eine Gruppe erstellt. Vielleicht gibt es jemand, der das richtige Gespür für feinfühlige Hinweise hat, wenn eine Diskussion mal aus dem Ruder läuft“, sagt Christa Schäfer.
Wer Anregungen sucht, wie man sich in Gruppenchats so verhält, dass das Miteinander funktioniert, kann als Eltern übrigens auch einfach mal bei den eigenen Kindern nachfragen. „Bevor in der Schule Klassenchats eingerichtet werden, wird so etwas inzwischen häufig besprochen“, sagt Andrea Zeisberg.
Mehr Ruhe im Gruppen-Chat
Wer soll sich überhaupt äußern dürfen? Bevor eine Gruppe eingerichtet wird, lohnt es sich zu überlegen, ob tatsächlich alle Mitglieder die Erlaubnis brauchen, sich darin zu äußern. Manchmal kann es sinnvoll sein, diese Rechte nur wenigen Administratoren zu erteilen, weil nur Informationen darüber verteilt werden sollen, wie etwa die Einladung zum Elternabend oder die Spieltage einer Fußballmannschaft.
Stummschaltung Damit nicht jede eingehende Nachricht einen zum Handy greifen lässt, kann man Gruppenchats stumm schalten – oder Gruppen, die man nicht mehr braucht, auch wieder verlassen.