Test mit dem Rollator: Eine kleine Rille, ein großes Hindernis

Im Rahmen des neuen Projekts Klimaschutz inklusiv haben sich mehrere Unterweissacher im Ortskern getroffen, um die Wege auf ihre Barrierefreiheit zu testen. Unterstützt hat sie Elke Tigli aus Murrhardt, die in der Region schon öfters solche Tests durchgeführt hat.

Test mit dem Rollator: Eine kleine Rille, ein großes Hindernis

Die Räder von Elke Tiglis Rollator bleiben in einer unscheinbaren Rille hängen. Es kostet die Murrhardterin viel Kraft, ihre Gehhilfe darüber hinwegzuheben. Tigli testet in Unterweissach die Barrierefreiheit der Gehwege. Foto: Alexander Becher

Von Anja La Roche

Weissach im Tal Rillen, Stufen, Absätze, Kanten – tagtäglich laufen viele Menschen wie selbstverständlich über die kleinen und größeren Unebenheiten im Boden. Ein holpriger Untergrund fällt meistens erst dann auf, wenn man auf eine Gehhilfe angewiesen ist oder einen Kinderwagen mit sich führt. Um dem entgegenzuwirken, luden Silke Müller- Zimmermann und Claudia Fischer kürzlich interessierte Personen mit und ohne Gehhilfen ein, das Zentrum Unterweissachs zu erkunden. Vorweg lässt sich verraten: Unterweissach entpuppte sich als übles Pflaster für alles, was Rollen hat. Am Donnerstag folgt ein weiterer Termin, bei welchem die Umgebung aus der Perspektive von Menschen mit einer Sehbehinderung erkundet werden soll (siehe Anhang).

Die Aktion findet im Rahmen der Initiative Klimaschutz inklusiv statt, dem Nachfolgeprojekt von Prima Klima. Die Initiatorinnen haben Elke Tigli als Inklusionsexpertin eingeladen. Die Murrhardterin kann aufgrund einer angeborenen Behinderung nur mit einem Rollator unterwegs sein. Sie hatte unter anderem auch schon getestet, wie gut das Ein- und Aussteigen am Backnanger Bahnhof klappt.

Tigli ist mit dem Bus nach Unterweissach, Haltestelle Lindenplatz, gekommen und schon da ist ihr ein Problem aufgefallen: „Hier auszusteigen, das ist immer eine Zitterpartie“, sagt sie. Es gebe zu wenig Platz, um trotz Gehhilfe problemlos den Ausstieg zu schaffen. Am Treffpunkt in der Forststraße erscheinen auch drei Weissacherinnen, die ebenfalls eine Gehhilfe nutzen. Schnell offenbart sich, dass der Ortskern nicht unbedingt einladend auf die betagten Frauen wirkt; zwei von ihnen entscheiden sich dazu, lieber sitzen zu bleiben, statt sich dem Rundgang anzuschließen.

Pflastersteine sind für Rollis ein Graus

Der Rest der Gruppe macht sich auf den Weg. Langsam, einen Fuß vor den anderen, bewegen Elke Tigli und ihre Mitstreiterin ihren Rollator nach vorne. „Hier fällt mir das Erste auf: Kopfsteinpflaster mag ich nicht“, sagt die Murrhardterin. Denn an den schmucken Steinchen bleiben oft die Räder hängen – und erschweren somit das Vorwärtskommen enorm. Wer auch immer den Straßenbelag in Unterweissach geplant hatte, hat wohl eine Vorliebe für Pflastersteine. Immer wieder füllen sie einen Streifen oder gleich eine ganze Fläche. Immerhin handelt es sich um eher kleine Exemplare, die leichter zu überrollen sind, sagt Tigli, die konzentriert weitergeht.

Die zweite Spaziergängerin mit Rollator muss nach wenigen Metern von der Route abweichen. Sie braucht dringend eine Pause. Für Müller-Zimmermann zeigt das, wie anstrengend der krumme Boden für gehbehinderte Menschen ist. „Und dann fehlen Bänke“, kritisiert sie. Tigli kann das bestätigen: „Man kommt oft nicht so weit, wie man sich vornimmt“, sagt sie. Deshalb brauche es genügend Sitzmöglichkeiten.

Mit dabei sind auch zwei Frauen, die noch gut zu Fuß sind: Annegret Wilhelmsen und Sigrid Lenz. Die beiden Unterweissacherinnen erleben nun den Weg, den sie normalerweise problemlos bewältigen, mit den Augen von Elke Tigli: Der Boden erscheint schon fast wellenförmig, so uneben ist er, die geparkten Autos lassen kaum Platz zum Vorbeirollen und die Bordsteinkante am Zebrastreifen erscheint viel zu hoch. Auf der Brücke, die über den Brüdenbach führt, macht ihr eine scheinbar kleine Lücke im Asphalt schwer zu schaffen.

Diese Hindernisse seien gerade für die Betroffenen besonders schlimm, sagt Müller-Zimmermann, denn die Leute, die schlecht zu Fuß sind, seien doch am meisten auf eine gute Infrastruktur in ihrer unmittelbaren Umgebung angewiesen.

Dem Rundgang sollen Verbesserungen folgen

Claudia Fischer ergänzt: „Wenn man selber nicht das Problem hat, sieht man die Schwierigkeiten gar nicht.“ Aus diesem Grund haben sich auch Wilhelmsen und Lenz dem Spaziergang angeschlossen, beide über 80 Jahre alt. Sie wollen sich für die Probleme anderer sensibilisieren. Dass ihr Wohnort inklusiv gestaltet ist, könnte die beiden Frauen künftig ebenfalls betreffen, zum Beispiel wenn das Gehen auch ihnen nicht mehr so leichtfällt. „So langsam wird es schon etwas schwieriger“, erzählt Lenz. Die Unebenheiten im Boden seien für sie immer schlechter erkennbar und mit dem Alter lasse der Gleichgewichtssinn zunehmend nach. Viele ihrer Nachbarn im betreuten Wohnen würden nur selten aus dem Haus gehen – eben weil sie schlecht zu Fuß seien, bedauert die Unterweissacherin.

Nach den gesammelten Erfahrungen beim Rundgang wie auch bei den weiteren Aktionen, die folgen sollen, wollen Müller-Zimmermann und Fischer die Problemstellen angehen. Sie wollen sie an die Gemeindeverwaltung melden, darauf aufmerksam machen oder, wenn es möglich ist, selbst Hand anlegen. „Es geht nicht darum, zu meckern, sondern darum, die Leute füreinander zu sensibilisieren“, sagt Fischer.

Für Elke Tigli ist es ein besonderes Anliegen, dass alle Menschen die Freiheit haben, sich so zu bewegen, wie sie es möchten und können. „Ich will zum Beispiel selbst entscheiden, ob ich mit dem Taxi, dem Bus oder dem Zug fahre“, sagt sie. Das Miteinander in der Gesellschaft ist ihr dabei besonders wichtig – also dass sie auch weiterhin auf die Hilfe von anderen Passanten zählen kann, wenn sie nicht weiterkommt.