Tiny Houses: Wie wenig Platz reicht, um gut zu leben?

Minihaus-Verein sucht Flächen für eine Siedlung auch im Rems-Murr-Kreis – Regionalgruppe Stuttgart hofft auf Platz in geplantem Winnender Baugebiet

Tiny Houses: Wie wenig Platz reicht, um gut zu leben?

Dieses Minihaus (Tiny House) war im Sommer 2019 während der Remstal Gartenschau in Weinstadt-Endersbach ausgestellt. Archivfoto: G. Schneider

Von Andrea Wüstholz

WINNENDEN. Immer mehr Menschen sind fasziniert vom Leben in einem Minihaus. Der Verein „Tiny Houses Region Stuttgart“ will nun eine eigene Siedlung aufbauen, doch einen Stellplatz zu finden, erweist sich als schwierig. Was klein ist, finden Menschen süß. Hunde- und Katzenbabys entzücken selbst emotionsarme Menschen. Modelleisenbahnen animieren Erwachsene wie Kinder zu Begeisterungsstürmen. Der Hype um Minihäuser, neudeutsch Tiny Houses, hat bestimmt mit Liebe fürs Kleine zu tun – aber nicht nur. „Wie viel brauche ich wirklich?“ – Diese Frage stellt sich Jonas Kolb nicht allein in Bezug auf Wohnfläche. Der 31-jährige Erzieher bezeichnet sich als „Tiny-House-begeistert“, engagiert sich als Zweiter Vorsitzender im Verein „Tiny Houses Region Stuttgart“ und sucht mit Gleichgesinnten nach einem Grundstück für eine Tiny-House-Siedlung. Gerne im Rems-Murr-Kreis. Oder im Landkreis Ludwigsburg, in Böblingen, in Stuttgart – der Verein nimmt die gesamte Region in den Blick.

In Winnenden können sich Stadtentwickler durchaus vorstellen, in einem neuen Baugebiet Platz für Minihäuser zu reservieren. Im Entwurf fürs Baugebiet Adelsbach II sind Flächen dafür vorgesehen. Allerdings wünscht sich die Stadt – Stand jetzt – Minihäuser mit festem Fundament. Minihäuser mit Rädern, die wie ein Wohnwagen den Standort wechseln können, sind im Gebiet Adelsbach II momentan nicht erwünscht, hieß es jüngst im Gemeinderat in Winnenden. Denkbar wäre aber, ein Gemeinschaftsgebäude für die Minihaus-Bewohner zu bauen. Dort könnte eine Waschmaschine platziert sein, ein Raum für Zusammenkünfte offen stehen – und, und, und.

Das passt zur Minihaus-Dorf-Idee des Vereins Tiny Houses Region Stuttgart, wie sie Jonas Kolb beschreibt. Es geht um Gemeinschaft, um Begegnung und ums Teilen. Wieso sollte jeder einen Akkuschrauber anschaffen, der dann fast immer ungenutzt herumliegt? Warum organisiert man nicht einen Tiefkühlschrank für alle, und was spricht gegen eine Bücherei im Gemeinschaftshaus? Jonas Kolb kennt und respektiert die Einwände gegen Minihäuser. Sie belegen mehr Baugrund je Mensch als ein 17-stöckiges Wohngebäude. Die Mischung macht’s, findet Jonas Kolb: „In einer pluralistischen Gesellschaft muss es auch alternative Wohnformen geben.“ Der 31-Jährige bewohnt zurzeit eine 30-Quadratmeter-Einzimmerwohnung in Esslingen. Probeweise hat er schon mal getestet, wie es sich anfühlt, in einem Minihaus zu leben. Auf weniger als 20 Quadratmetern fehlte ihm – nichts.

Testwohnen bietet beispielsweise das Hofgut Hopfenburg in Münsingen an oder die Gemeinschaft „Am Sternberg“ in Gomadingen im Landkreis Reutlingen. Vergleichsweise wenig Platz zu haben, mag manchen Menschen als Verlust erscheinen, als Einschränkung. Oder es fühlt sich befreiend an, weil man sich von Dingen trennt – trennen muss. Beim Ausmisten stößt man unverhofft auf Zeug, ohne das man jahrelang schon leben konnte, weil man sich an die Existenz der Dinge eh nicht mehr erinnerte. „Ausmisten macht Spaß“, so fasst es Jonas Kolb zusammen. Noch mehr Spaß macht’s, Menschen zu finden, die dies oder das noch gebrauchen können. Was Tiny-House-begeisterte Menschen am dringendsten brauchen, sind Stellplätze, oder, präzise ausgedrückt: möglichst erschlossene Bauplätze. Denn ein Minihaus, egal ob mit oder ohne Räder, darf nicht einfach so irgendwo parken. Eine Baugenehmigung ist nötig, erklärt Jonas Kolb, und die Häuser müssen an die Wasserversorgung angeschlossen sein – auch dann, wenn sie mit einer eigenen Grauwasserreinigung und einem Trockenklo ausgestattet sind.

Geplant ist nun, mit Gemeinden in Kontakt zu treten und fürs Ausweisen von Flächen für Minihäuser zu werben. Für Jonas Kolb geht’s dabei um viel mehr als um Quadratmeter: „Wir wollen ein Gewinn sein für einen Standort. Wir wollen Gemeinden anregen, darüber nachzudenken, ist es mir das wert, Platz zu schaffen für solche Ideen.“

„Solche Ideen“ finden immer mehr Anhänger. Zur Tiny-House-Ausstellung in Endersbach anlässlich der Gartenschau im Sommer strömten Zehntausende Besucher. Madeleine Krenzlin aus Winterbach erhielt viel Zuspruch, als sie vor zwei Jahren Richtfest für ihr selbst gebautes Tiny House feierte. Sie berät Interessierte, gibt in Vorträgen unumwunden zu, wie oft sie am Verzweifeln war und an welchen Punkten sie scheiterte. Im Tiny-House-Netzwerk der Region Stuttgart verfolgen unterdessen verschiedene Generationen dieselben Ziele. Zurzeit sind vor allem Menschen Mitte/Ende 20 im Netzwerk engagiert – und viele Leute im Alter um 60plus.

Die Regionalgruppe Stuttgart hat sich Ende 2018 zusammengefunden; natürlich befindet sich manches noch im Entwicklungsstadium. „Wir schärfen unser Profil“, sagt Jonas Kolb. Er selbst baut noch nicht an einem Tiny House. Andere aus dem Netzwerk haben schon mit einem konkreten Bau begonnen, obwohl sie noch nicht wissen, wo das Häusle später stehen könnte. „Gemeinsam ist uns der Gedanke“, heißt es auf der Homepage des Netzwerks, „dass wir naturnah und in minimalistischer Weise nachhaltig wohnen möchten.“

Info

Das nächste Treffen des Vereins „Tiny Houses Region Stuttgart“ findet am Freitag, 15. Mai, statt. Beginn wird voraussichtlich um 19 Uhr sein. Der Ort des Treffens ist noch offen; Infos dazu veröffentlicht der Verein rechtzeitig hier: www.tinyhouses-stuttgart.de.