Mit dem Angriff auf Hamas-Führer in Doha zertrümmert Israel nicht nur die Hoffnung auf eine Feuerpause im Gazakrieg, sondern auch das Vertrauen arabischer Staaten in die USA.
Am Dienstagnachmittag schlugen mehrere Raketen in ein Haus in der katarischen Hauptstadt Doha ein.
Von Thomas Seibert
„Schurkenstaat“ wird Israel nach seinem Angriff in Katar in arabischen Staaten genannt: Der Luftschlag gegen die Hamas-Führung in Doha hat die Verhandlungen über eine neue Gaza-Feuerpause vorerst beendet und das Vertrauen arabischer Golf-Staaten in die Führungsmacht USA in der Region tief erschüttert. Dass selbst ein Vermittler wie Katar nicht vor Angriffen des US-Partners Israel sicher ist, werde Folgen für das Verhältnis zwischen den arabischen Staaten und Amerika haben, sagen Experten.
Katar war schon im Juni zum Opfer von Luftangriffen geworden: Der Iran zielte mit Raketen auf eine große US-Militärbasis in dem Emirat am Persischen Golf, um sich für die amerikanisch-israelischen Bombardements iranischer Atomeinrichtungen zu rächen. Damals aktivierten die US-Militärs am Golf ihre Flugabwehr und schossen nach eigenen Angaben mehr als ein Dutzend iranische Raketen ab, um den Verbündeten Katar zu schützen – diesmal ließen die Amerikaner die israelischen Jets ungehindert durch.
Der Schock sitzt tief
Das wird am Golf als Verrat gesehen. Der Schock darüber sitzt tief, auch weil Israel angriff, während die Hamas-Spitze in Doha über den jüngsten Vorschlag der USA für eine Waffenruhe in Gaza beriet. Auf europäische Verhältnisse übertragen, ist Israels Angriff in Katar vergleichbar mit einem Bombardement von Genf während Vermittlungsbemühungen der Schweiz. Arabische Medien spekulieren, US-Präsident Donald Trump habe sein Angebot mit der Absicht unterbreitet, die Hamas-Chefs zu einer Besprechung eben darüber zusammenkommen zu lassen – und sie so zum Ziel des israelischen Angriffs zu machen.
Katar habe sich bisher als „Brückenbauer, Plattform und Vermittler“ verstanden, sagt Sebastian Sons, Experte für die Golf-Region bei der Bonner Denkfabrik Carpo. Das Emirat hat enge Beziehungen zur Hamas, zum Iran und zu den Taliban in Afghanistan – mit dem Segen des Westens, den der Vermittler braucht, um mit Teheran und mit Terrorgruppen zu reden. Eine ähnliche Rolle spielt der Golf-Staat Oman, der Kontakt mit den Huthi-Rebellen im Jemen hält.
Katar glaubte, unangreifbar zu sein
Katar habe geglaubt, als Vermittler „unangreifbar“ zu sein, sagte Sons unserer Zeitung. Israel hat von der Vermittlerrolle des Emirats profitiert: Bei der ersten Gaza-Feuerpause im November 2023 kamen nicht zuletzt dank der Bemühungen des Emirats mehr als hundert Geiseln der Hamas frei.
Dass Israel militärisch tun und lassen kann, was es will, verunsichert arabische Regierungen. Israelische Jets und Raketen haben in den letzten Jahren den Libanon, den Iran, den Jemen und Syrien bombardiert. Die USA schauten zu oder applaudierten sogar. Jetzt war Katar an der Reihe. Auch Angriffe auf den Oman, auf Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate seien ab sofort denkbar, meint Sons.
Das israelische Verhalten sei „schockierend und empörend“, sagt Omar Rahman von der Denkfabrik Middle East Council in Katar. „Israel ist wirklich ein Schurkenstaat, der sich über die Grenzen der Legitimität hinwegsetzt, und wird damit zur größten Bedrohung für die internationale Ordnung“, sagte Rahman unserer Zeitung. Mit dem Luftschlag in Doha habe Israel zudem die Gespräche über eine Feuerpause in Gaza begraben, meint Rahman.
Hamas wird kaum weiter verhandeln
Nach dem Angriff vom Dienstag ist es unwahrscheinlich, dass sich die Hamas noch einmal zu Verhandlungen bereit erklärt. Katar gab seine Vermittlerrolle zwar nicht offiziell auf, wird aber abwarten, was die USA tun, um das zerstörte Vertrauen wieder herzustellen.
Katar ist nicht nur Standort des größten US-Militärstützpunkts am Golf, sondern auch einer der größten Investoren für die US-Wirtschaft: Bei Trumps Besuch in Doha im Mai schlossen sie nach US-Angaben Verträge im Volumen von mehr als einer Billion Dollar ab – nicht einmal das konnte Katar vor Israel schützen. Der Angriff vom Dienstag habe Trumps Ruf in der Region geschadet, sagt Sons. „Schon vorher wurde seine Verlässlichkeit nicht als die allerbeste eingeschätzt. Jetzt aber hat das Zutrauen in die USA als Sicherheitsgarant noch einmal deutliche Risse erhalten.“
Erste Versuche des US-Präsidenten, den Schaden zu reparieren, wirken hilflos. Seine Regierung behauptete zunächst, sie habe Katar über den bevorstehenden israelischen Angriff unterrichtet, und handelte sich damit ein wütendes Dementi aus Doha ein: Der Anruf der Amerikaner sei erst gekommen, als die Explosionen bereits zu hören gewesen seien. Trump beteuerte, er sei „sehr unglücklich“ darüber, dass Israel in Katar zugeschlagen habe. Für die arabischen Partner der USA ist das zu wenig.