Und plötzlich kommt die Spinatschwemme

In der Nähe des Ungeheuerhofs hat Landwirt Jürgen Benignus im Rahmen eines Äckerleprojekts gut 25 Parzellen an Privatleute vermietet. Die Hobbygärtner erproben sich seit Mai für eine Saison im Anbau von Blumen und Gemüse.

Und plötzlich kommt die Spinatschwemme

Blumen und Gemüse in den Gärtchen von Elisabeth Späth und Karsten Maybee gedeihen prächtig. Fotos: J. Fiedler

Von Renate Schweizer

BACKNANG. Der Borretsch brummt. Dicke Hummeln, zartgliedrige Wildbienen, auch ein paar Honigbienen fliegen und krabbeln zwischen den leuchtend blauen Blüten und den sattgrün behaarten Blättern umher und erzeugen das ultimative Sommergeräusch. Daneben protzen Kohlköpfe selbstzufrieden mit ihren Dickbäuchen. Rotstieliger Mangold bildet auf fast allen Parzellen des Äckerleprojekts dichte Horste. An Blumenkohl hingegen trauen sich nur wenige der Freizeitgärtner. Irgendwie ist Blumenkohl wohl etwas für Fortgeschrittene – und die meisten der Äckerlepioniere bewirtschaften zum ersten Mal einen Garten. Tomaten haben alle – noch sind sie grün, doch einige Pflanzen hängen bereits pratzelvoll. Und den hinteren Abschluss der Äckerle bildet für alle ein breites Kartoffel-Zwiebel-Band.

„Kartoffeln und Zwiebeln kann jeder brauchen.“ Jürgen Benignus, Landwirt vom Ungeheuerhof, hat es angelegt und auch die grüne Mauer aus Maispflanzen, die das Projekt vor Wind, neugierigen Blicken und Mundraub im Vorübergehen schützt, hat er angepflanzt. Er ist es, der den großen Wassertank in der Mitte des Gemüse-Blumen-Flickenteppichs immer wieder auffüllt, aus dem die Pächter ihr Gießwasser holen. Das wissen die Hobbygärtner zu schätzen. Elisabeth Späth, die Initiatorin des Projekts, erklärt: Es ist Juli, „er steckt im Erntestress.“

Die Spielregeln sind einfach: Erlaubt ist, was gefällt, aber es muss einjährig sein, denn am Ende der Saison wird das ganze Gelände umgepflügt und Gründüngung eingesät. Kein Kunstdünger, keine Pestizide oder Insektizide, alles öko, das versteht sich fast von selbst. Das Ergebnis ist erstaunlich und jetzt, zu Beginn des Hochsommers, auf dem Höhepunkt seiner Pracht. Alles scheint zu gedeihen, manch einer weiß kaum, wohin mit seinem vielen Gemüse. „Gedüngt hab ich noch nie“ erzählt Karsten Maybee. „Der Boden ist klasse. Ich hatte keine Ahnung von Gartenbau, hab einfach fröhlich ausgesät und abgewartet. Und meine Radieschen waren kugelrund und superzart.“ Elisabeth Späth macht’s anders: „Ich dünge mit ‚Wurmtee‘, den ich daheim aus Küchenabfällen herstelle. Den bekommt der Blumenkohl seit drei Wochen und jetzt hat er schon richtig dicke Blumenkohlköpfe.“ Und schon sind sie mittendrin in der kleingärtnerischen Fachsimpelei und dem Austausch von Erfahrungen – ein schöner Nebeneffekt dieses Projekts.

Jeder kann vor sich hin gärtnern, wie er will, findet aber auch immer wieder Gesprächspartner, um miteinander Freud und Leid, Triumphe und Niederlagen zu teilen, vielleicht die eine oder andere Pflanze zu tauschen und voneinander zu lernen. Die Kürbispflanze breitet sich ungeahnt aus und droht alles andere niederzuwalzen, die Salatköpfe schießen und Anfang Juni gab es plötzlich eine Spinatschwemme und tagelang nichts anderes mehr zu essen: Blattspinat, Rahmspinat, Spinatpizza, Spinatlasagne – unbezahlbare Erfahrungen, die den Parzellennachbarn brennend interessieren, denn im Hinterkopf entstehen ja schon die Pläne fürs nächste Jahr.

Die unterschiedlichen Charaktere der Projektteilnehmer sieht man den Gärtchen an: Beim einen wächst es fröhlich durcheinander, die andere hat mithilfe von gespannten Schnüren akkurate Gemüsemuster angeordnet, auch Familienbeete meint man zu erkennen, in denen lustige, selbst gebastelte Holzfigürchen zwischen den Kohlrabi stecken – alles darf sein, solange man es im kommenden Herbst wieder aus dem Boden ziehen und wegtragen kann. Auch der Zeitaufwand für das Unternehmen ist höchst unterschiedlich. Karsten Maybee kommt jeden Tag für eine bis zwei Stunden: „Für mich ist das der perfekte Abschluss eines Bürotags“ sagt er. „Und zu tun finde ich immer etwas, und wenn es nur Unkrautzupfen ist.“ Elisabeth Späth kommt „nur“ zwei- bis dreimal pro Woche. „Am Anfang hab ich das Unkrautjäten nicht so ernst genommen“, bekennt sie selbstkritisch, „das rächt sich jetzt.“

Sie hat das Projekt ins Leben gerufen und ist sichtbar stolz auf die Gärten mitten im Maisfeld. „Es war eine Silvesteridee, Zeit für was Neues: Gut für die Menschen sollte es sein und gut für die Umwelt, Spaß sollte es machen und was bewegen und Gemeinschaft stiften.“ Das hat geklappt auf der ganzen Linie. Die Hummeln summen ihren Applaus zwischen den Borretschblüten. Wer im nächsten Jahr mitgärtnern will, kann sich im Hofladen der Familie Benignus im Ungeheuerhof auf die Liste setzen lassen. Es gibt viel zu pflanzen.

Und plötzlich kommt die Spinatschwemme

Selbst Peperoni gedeihen auf dem Backnanger Mietacker.