Bundestagspräsidentin Julia Klöckner drängt darauf, das Wahlrecht erneut zu überarbeiten. Damit setzt sich ein alter Streit fort – bei dem unklar ist, wie er gelöst werden könnte.
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner hält das Wahlrecht nach der Reform für ungerecht.
Von Rebekka Wiese
Sie sprach es schon bei ihrer ersten Rede als Bundestagspräsidentin an. „Es muss doch möglich sein, das Ziel der Wahlrechtsreform - eine deutliche Verkleinerung des Bundestages - mit einem verständlichen und gerechten Wahlrecht zu verbinden“, sagte Julia Klöckner bei der konstituierenden Sitzung des neuen Parlaments Ende März. Und sie betonte: „Lassen Sie uns ruhig in dieser neuen Legislaturperiode noch einmal gründlich darüber nachdenken.“
Nun hat Klöckner erneut darauf gedrängt, das Wahlrecht zu überarbeiten. „Ich habe die Fraktionen gebeten, sich des Themas anzunehmen“, sagte die Bundestagspräsidentin. Klöckner erinnerte auch daran, dass das Vorhaben im Koalitionsvertrag festgelegt sei.
Ein alter Streit in neuer Runde
Dort steht, dass eine Kommission die Wahlrechtsreform überprüfen soll, die von der Ampelkoalition beschlossen worden war. Das eingesetzte Gremium soll laut Koalitionsvertrag außerdem neue Vorschläge erarbeiten, wie man das Wahlrecht verbessern könnte – insbesondere in Bezug auf die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass jeder Wahlkreisgewinner auch wirklich in den Bundestag einziehen kann. Es ist die Fortsetzung eines alten Streits, der bald in eine neue Runde gehen könnte.
Vor zwei Jahren verabschiedete die Ampelkoalition die Reform des Wahlrechts. In seiner alten Form hatte es dazu geführt, dass der Bundestag immer größer wurde. Vor der Überarbeitung saßen zeitweise bis zu 736 Abgeordnete im Parlament, obwohl die Regelgröße des Bundestags eigentlich mal auf 598 festgelegt worden war. Die neue Regelung sorgt dafür, dass das Parlament künftig nicht mehr als 630 Mitglieder haben kann.
Der Preis der Reform
Doch den Bundestag zu verkleinern, hat seinen Preis. In der alten Form des Wahlrechts war es so, dass der Kandidat, der die meisten Erststimmen in seinem Wahlkreis gewann, einen Platz im Bundestag sicher hatte. Doch manche Parteien gewannen mehr Direktmandate, als ihnen im Verhältnis zu ihrem Zweitstimmenanteil zugestanden hätte. Um das auszugleichen, wurden so viele zusätzliche Mandate an andere Partei vergeben, dass die Verhältnisse der Sitze wieder stimmten – was den Bundestag deutlich anwachsen ließ.
Die Ampelregierung löste dieses Problem, indem der feste Anspruch auf das Direktmandat wegfällt. Gewinnt eine Partei mehr Wahlkreise, als ihr laut Zweitstimmen zustehen, können jetzt nur noch so viele ihrer Erststimmensieger einziehen, wie es dem Verhältnis der Zweitstimmen entspricht. Drei Wahlkreise aus Baden-Württemberg und einer aus Hessen sind aus diesem Grund nach der Bundestagswahl 2025 nun gar nicht im Parlament vertreten.
Klagen vor dem Verfassungsgericht
An der Reform gab es von Anfang an Kritik – vor allem von der CSU, deren Kandidaten fast immer über Direktmandate einziehen. Es gab auch mehrere Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht. Das entschied aber, dass die Reform grundsätzlich verfassungsgemäß sei. Bis auf einen Teil: Die Richter monierten, dass die Ampelkoalition auch die Grundmandatsklausel abschaffen wollte. Die stellt sicher, dass eine Partei, die mindestens drei Wahlkreise direkt gewinnt, sicher in den Bundestag einziehen darf. Wegen der Entscheidung des Gerichts blieb diese Regelung nun doch bestehen.
Klöckner befürchtet, dass die Erststimme durch die Reform entwertet wird. Dass der Bundestag nun weniger Abgeordnete habe, sei gut. „Aber so, wie das Wahlrecht jetzt ist, haben wir ein Legitimierungsproblem gegenüber der Bevölkerung und ein Repräsentationsproblem.“
Anders sieht es der Grünen-Rechtspolitiker Till Steffen, der die Wahlrechtsreform zu Zeiten der Ampelkoalition mitverhandelte. Er verteidigt die Reform. „Das neue Wahlrecht hat sich bewährt. Der Bundestag wurde effektiv verkleinert“, sagte Steffen dieser Redaktion. Er sei offen für Verbesserungen, habe aber bisher keinen besseren Vorschlag gehört. Es sei bezeichnend, dass Klöckner selbst keinen gemacht habe. Steffen erinnerte daran, dass das Verfassungsgericht die Reform bestätigt habe und betonte: „Jede neue Änderung birgt neue Unsicherheit.“