Es wird ein 12-Stunden-Arbeitstag für das ehrenamtliche Zupersonal des historischen Bahnvereins DBK. Eineinhalb Stunden vor Fahrtbeginn versammeln sie sich am „Schlafplatz“ der zischenden, wuchtigen Dampflok 64/419, genannt „Bubikopf“. Beim Anheizen der schwarzen Lok sind Schaffner, „Saftschubsen“, Zug- und Lokführer selbst unter Volldampf und mit den Vorbereitungen beschäftigt.
Die Waldbahn auf ihrer Fahrt.
Von Heidrun Gehrke
WELZHEIM. Wie Lukas und der Lokomotivführer schauen Heizer Benjamin Schmidt und Lokführer Ebo Möller zum Fenster der Lok heraus. Wangen rußig vom Schippen der Kohle, schwarze Mützen auf dem Kopf – stilgerecht wie im Kinderbuch winken sie mit geschwärzten Händen den Kindern, die vom Bahnsteig zu ihnen aufblicken. Derweil die ersten Blicke von Marcus Pfeiffer und Kevin Mahnkopf zu den Fahrrädern wandern, die ihnen die Eltern der kleinen Jim-Knopf-Fans von unten entgegenhalten. Die erste Tat der zwei Schaffner unmittelbar vor Fahrtbeginn ist das systematische Verstauen der Räder im Gepäckwagen; dafür fragen sie nach dem Ausstiegsort. Von der Mithilfe bei der Vorbereitung des Zugs bis zum freundlichen Verabschieden der Fahrgäste gestalten die Herren in Dienstkleidung das historische Bahnerlebnis mit. Eine Schaffnermütze ist Pflicht, der 19-jährige Kevin trägt die „Lehrlingsmütze“, er ist erst seit dieser Saison an Bord.
Fragen nach dem stillen Örtchen
werden laut
Auch bei Hitze halten sie am hellblauen Hemd und der dunklen langen Hose fest. Den Reisenden macht das Fahren in nicht klimatisierten Waggons da etwas mehr zu schaffen: Kaum setzt sich der Zug mit der Nummer 3530 in Bewegung, beantwortet das Zugpersonal die ersten Fragen: „Kann man das Fenster hier öffnen?“ – Kevin Mahnkopf reißt ein Fenster einen Spalt weit auf und erntet erleichternde „Aaah“-Seufzer der Fahrgäste, die sich auch nach dem Streckenverlauf und dem Alter der Züge erkundigen. „Viele wollen wissen, was sie unterwegs anschauen können und wo sie einkehren können“, schildert Marcus Pfeiffer.
Immer werden Fragen nach dem stillen Örtchen laut. Die Kontrolle der WCs vor der Abfahrt und das Befüllen der Wassertanks mit Frischwasser fällt in den Zuständigkeitsbereich der Schaffner, die auch stets wissen, welche Toiletten benutzbar sind und an welchen die Passagiere neben dem Türgriff auf rotem Untergrund den Hinweis lesen: „Besetzt“. Der Nahverkehrswagen „Silberling“ und der Reisezugwagen „BYL“ mit grünen Sitzen sind über 50 Jahre alt, verfügen aber schon über optische Lichtsignale. Ein rotes Lämpchen hinter geriffeltem Glas zeigt den WC-Besucherstand schon im Abteil an.
Retrodetails wie diese lassen sich in der antiken Umgebung in aller Ruhe mustern. Eile kennt der Zug nicht. Er schenkt Müßiggang auf Schienen. Der entschleunigte Zuckelgang vermittelt ein Fahrgefühl wie vor dem Zweiten Weltkrieg, als mit der Waldbahn Ausflügler aus Stuttgart ins Grüne befördert wurden. Auf den roten Kunstledersitzbänken erleben Feiertags-Sommerfrischler von heute manches Déjà-vu; immer noch bleibt man mit kurzen Hosen an ihnen kleben. Das Problem haben die dreijährige Margarethe und der zweijährige Johannes nicht. Sie stehen sockig auf dem messingfarbenen Alu-Mülleimerchen unter dem Fenster, während die Landschaft aus grünen saftigen Wiesen, eine Kuhherde und allerlei geparkten Traktoren an ihnen vorbeiziehen. „Da halten Autos“, entdeckt Johannes die Schlange hinter einem Andreaskreuz. Margarethe winkt den Dampflokfans und Eisenbahnfotografen, die sich an sehenswerten Punkten entlang der Strecke positioniert haben.
Die Dampflok ist die Hauptattraktion der Nostalgiebahnfahrt, für die man sich wie einst die Fahrkarte beim Zugpersonal kaufen kann. Nur wenige strecken ihnen den nüchternen Ausdruck entgegen, den es beim Fahrkartenkauf übers Internet gibt. Viel hübscher sind die altmodisch wirkenden Karten, die Marcus Pfeiffer und Kevin Mahnkopf direkt im Zug verkaufen. Den Block mit den Familienkarten zücken sie im ersten Zug am häufigsten. Es gibt acht verschiedene Fahrkartentypen, die von der Anmutung her an die früheren Edmondson’schen Fahrkarten aus Pappe erinnern. „Guten Tag, einmal die Fahrkarte bitte“, klinken sie sich in die heitere Stimmung ein. Beide bezeichnen sich als „absolute Eisenbahnfans“. Angefressen von historischen Zügen sind auch die Kollegen, die ihnen auf halber Strecke begegnen. „Wir sind die Getränkeschubsen“, stellen sich Peter Wagner und Hubert Hersel grinsend vor, machen ihre Scherze mit den Gästen und servieren vom Rollwagen herab bestens gekühlte Getränke. Ins Retropuzzlebild passen auch die rote Schärpe und ZP-9-Kelle von Zugführer Markus Müller, der immer wieder durch die Abteile stürmt und an jedem Waldbahnhalt dem Lokführer das Abfahrtszeichen gibt.
Vor allem Kinder fahren gerne
mit dem dampfenden Zug
Ein schriller Pfiff mit der Dampfpfeife lässt die Fahrgäste kurz zusammenzucken. Das Highlight – das Viadukt, das sich nach Klaffenbach in einer eleganten Kurve über das Strümpfelbachtal spannt – ist erreicht. Der Zug nimmt schnaufend die steile Steigung in Angriff, es geht rauf in den Wald. Mit kindlicher Fantasie und Jim-Knopf-Augen besehen gehen die hohen Bäume zwischen Klaffenbach und der Laufenmühle für Margarethe und Johannes gewiss als adäquate Ersatz-„Scheinriesen“ durch. „Die Kinder fahren für ihr Leben gern Zug, am liebsten natürlich mit einem dampfenden“, sagen die Eltern, Julie und François Blievernicht aus Leinfelden-Echterdingen. Kaum sehen sie den Rauch schwadenweise am Fenster vorbeiziehen, treten alle mit schnuppernden Näschen näher an die Scheibe heran. Die Bahntouristen aus Leinfelden machen staunende Augen. „Schöne Kurven, feine Blicke, schön hier.“ Der Zug schnauft, die Schaffner haben eine kurze Verschnaufpause, im Gepäckwagen reicht die Zeit für eine halbe Butterbrezel und eine Apfelschorle. Stress und Hektik kennen auch sie nicht. „Je mehr los ist, desto mehr Spaß macht es uns“, meint Marcus Pfeiffer. „Wir wechseln uns im Team ab, dadurch ist es nie langweilig“, sagt Kevin Mahnkopf.
Kevin Mahnkopf (links) und Marcus Pfeiffer sind als Schaffner nicht nur für das Einladen der Fahrräder zuständig, sondern befüllen unter anderem auch die Wassertanks. Fotos: Archiv/R. Steinemann