„Waldläufer von Oppenau“: Über drei Jahre Haft gefordert

Von Von Violetta Heise, dpa

dpa Offenburg. Ist der „Waldläufer von Oppenau“, der mit gestohlenen Polizeiwaffen in den Schwarzwald flüchtete, ein Geiselnehmer? Oder ist er „unverhofft in die Situation geschlittert“? Verteidigung und Anklage werten die Taten völlig unterschiedlich.

„Waldläufer von Oppenau“: Über drei Jahre Haft gefordert

Das Gebäude des Amts- und Landgerichts in Ulm. Foto: Sina Schuldt/dpa/Archivbild

Hunderte Polizisten durchkämmen den Schwarzwald, Hubschrauber kreisen, Hundestaffeln sind unterwegs: Wer die Bilder des massiven Einsatzes gegen den „Waldläufer von Oppenau“ noch im Kopf hat, der mag über das Strafmaß etwas erstaunt sein, das nun in seinem Fall im Raum steht. Die Staatsanwaltschaft hat gegen Yves R. vor dem Landgericht Offenburg am Dienstag drei Jahre und neun Monate Haft gefordert - wegen Geiselnahme im minderschweren Fall und anderer Delikte. Entscheidend bei der Bewertung des Falls sei nicht die medienwirksame Fahndung gewesen, sagte Staatsanwältin Raffaela Sinz. „Entscheidend ist, was sich tatsächlich zugetragen hat.“

Und darüber herrschte vor Gericht weitgehend Einigkeit, weil R. ein Geständnis abgelegt hat, das sich in den großen Linien mit den Zeugenaussagen deckt. Am Freitag soll das Urteil gegen den 32-Jährigen fallen. Neben Geiselnahme werden ihm auch tätliche Angriffe gegen Vollstreckungsbeamte und Verstöße gegen das Waffengesetz vorgeworfen.

Rückblick: Am 12. Juli 2020 kontrollieren vier Polizisten eine Gartenhütte an einem waldigen Steilhang oberhalb des Schwarzwald-Städtchens Oppenau. Der Besitzer des Häuschens hatte dort den schlafenden R. gesehen - und diverse Waffen. Die Durchsuchung gerät außer Kontrolle: R. richtet eine Schreckschusswaffe, die aussieht wie eine echte Pistole, auf einen der Beamten und erreicht so, dass alle Polizisten ihre Waffen ablegen und sich entfernen. R. selbst flieht mit den Pistolen in den Wald. Erst fünf Tage später wird er in einem Gebüsch nahe Oppenau gestellt, wobei er einen SEK-Beamten mit einem Beil am Fuß verletzt.

Es sei eine eher untypische Geiselnahme gewesen, sagte Staatsanwältin Sinz zur Erklärung, warum es sich aus ihrer Sicht um einen minderschweren Fall handele. Für den Angeklagten spreche zudem, dass er früh ein Geständnis abgelegt und sich im Verfahren entschuldigt habe. Während der Kontrolle in der Hütte habe sich der vorbestrafte R. absolut überfordert gefühlt, er habe eine erneute Haft gefürchtet. Statt planvoll habe er in einer Kurzschlussreaktion gehandelt. Gegen ihn sprächen aber unter anderem die vielen Vorstrafen.

Gar keine Geiselnahme sieht die Verteidigung von Yves R. Der Tatbestand sei nicht erfüllt, sagte Verteidigerin Melanie Mast. R. habe nie vorgehabt, sich der Beamten zu ermächtigen. „Was sollte er auch mit den Beamten im Wald?“ Ihr Mandant sei „unverhofft in die Situation geschlittert“. Mast und ihr Co-Verteidiger Yorck Fratzky plädierten für eine Freiheitsstrafe von eineinhalb Jahren auf Bewährung. Die Prognose für R. sei günstig, auch weil er während seiner U-Haft über Briefe eine neue Lebensgefährtin gefunden habe.

Ein Gutachter hatte dem Beschuldigten am Dienstag zuvor eine zumindest teilweise verminderte Schuldfähigkeit attestiert. Yves R. leide an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung, sagte der Psychiater Dr. Stephan Bork. Für die Festnahmesituation, als R. einen Beamten mit einem Beil verletzte, stellte der Gutachter eine verminderte Schuldfähigkeit fest, nicht jedoch für die vorangegangene Entwaffnung der Polizisten.

Vor seiner Festnahme habe sich der hungrige, durstige und übernächtigte Mann in einer affektiven Ausnahmesituation befunden - und in einer für ihn ausweglosen Pattsituation. Sein Verständnis von Ehre habe es ihm unmöglich gemacht aufzugeben. Sein Lebenswille sei jedoch so stark gewesen, dass er keine der gestohlenen Waffen habe ziehen wollen. Dann habe ihn ein Taser getroffen, woraufhin er mit einem Beil in Richtung des Schmerzreizes geschlagen und den SEK-Beamten getroffen habe. Keine affektive Ausnahmesituation habe jedoch für R. geherrscht, als er in der Hütte von den Polizisten kontrolliert worden sei.

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„Waldläufer von Oppenau“: Über drei Jahre Haft gefordert

Eine Statue der Justitia hält eine Waage in ihrer Hand. Foto: David-Wolfgang Ebener/dpa/Symbolbild