Mordprozess: Freispruch wegen Schuldunfähigkeit

Von Von Anika von Greve-Dierfeld, dpa

dpa/lsw Karlsruhe. Die Verzweiflung muss unermesslich gewesen sein, die Ausweglosigkeit grenzenlos. Weil er unter Wahnvorstellungen und schwerer Depression leidet, löscht ein Mann fast seine ganze Familie aus. Ins Gefängnis muss er nicht. Mit seiner Tat weiterleben schon.

Mordprozess: Freispruch wegen Schuldunfähigkeit

Ein Modell der Justitia steht auf einem Tisch. Foto: Volker Hartmann/dpa/Archivbild

Was genau ihn dazu trieb, Frau und Kind zu töten, konnte letztlich nicht ganz entschlüsselt werden - im Mordprozess von Tiefenbronn ist ein Familienvater wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen worden. Wegen einer schweren Depression mit wahnhaften Zügen sei der Angeklagte steuerungsunfähig gewesen, sagte der Vorsitzende Richter des Landgerichts Karlsruhe, Leonhard Schmidt. „Damit ist er gesetzlich zwingend freizusprechen.“ Gleichzeitig ordnete Schmidt am Dienstag die Unterbringung in die Psychiatrie an. Der 61-Jährige sei wegen seiner gravierenden seelischen Erkrankung eine Gefahr für die Allgemeinheit und das Risiko weiterer Taten mit schwerwiegenden Folgen hoch.

Der Mann hatte Ende Mai vergangenen Jahres in dem gemeinsamen Haus im Enzkreis seine 38 Jahre alte Frau und den achtjährigen Sohn mit Messerstichen in Hals und Lunge getötet. Dessen elfjähriger Bruder schleppte sich mit schwersten Verletzungen nach draußen und überlebte nur knapp. Vergeblich hatten sein jüngerer Bruder und er den Vater angefleht, von der Mutter und ihnen abzulassen. Vergeblich hatte die Frau um Hilfe geschrien. Der Angeklagte, ein äußerst erfolgreicher Geschäftsmann, hatte vor dem Angriff die Familie mit Schlaftabletten zu betäuben versucht. Danach wollte er sich das Leben nehmen.

Selten sei der Hergang eines so furchtbaren Geschehens so zweifelsfrei festgehalten, sagte Schmidt: Über die Kamera im Wohnhaus seien die Vorbereitungen zu sehen gewesen ebenso wie die tödlichen Attacken selbst. „Es ist eine ganz schreckliche Video- und Audiodokumentation, wie ich es in meiner über 30-jährigen Tätigkeit noch nie erlebt habe“, sagte der Richter.

Der Angeklagte, graugesichtig und in sich zusammengesunken, weinte während der Urteilsbegründung immer wieder bitterlich und schlug die Hände vor sein Gesicht. „Ich kann nicht ausdrücken, wie traurig ich bin“, hatte er in seinem Schlusswort gesagt. Das Urteil nahm er noch im Gerichtssaal an und ließ über seine Anwältin mitteilen, dass er auf Rechtsmittel verzichten werde. Auch die Staatsanwaltschaft, die ebenso wie die Verteidigung auf Schuldunfähigkeit plädiert hatte, wollte auf Revision verzichten. Damit ist das Urteil rechtskräftig.

Die Gemütsverfassung des Mannes, die in der Bluttat gegen seine Liebsten mündete, dürfe man sich nicht wie eine einfache Melancholie vorstellen, sagte Schmidt. „Er stand am Rande eines Höllenschlunds“, für ihn sei die ganze Welt ein Desaster und eine Katastrophe gewesen, aus der es kein Entrinnen gab. Trotz glänzender Vermögensverhältnisse und eines an sich intakten Familienlebens habe sich der mehrfache Millionär in völlig unbegründete Ängste hineingesteigert, den wirtschaftlichen Bankrott befürchtet und schließlich das Gefühl gehabt, er müsse seine Frau und die beiden gemeinsamen Söhne vor den vermeintlichen Folgen schützen. Er beschloss, seine Familie mit in den Tod zu nehmen. „Das schien ihm unausweichlich.“

In seiner seelischen Not hatte der studierte Biomedizintechniker und Strahlenphysiker wenige Tage vor der Tat auf den Rat seiner Frau hin sogar einen Geistheiler kontaktiert. „Schon die Tatsache, dass er sich als wissenschaftlich ausgebildeter Mann auf diesen Unsinn eingelassen hat, macht deutlich, in welch verzweifelter Lage er war“, betonte Schmidt.

„Es ist für mich kaum vorstellbar, mit der Tat weiterzuleben“, hatte der Familienvater am ersten Prozesstag über seine Anwältin mitteilen lassen. Doch auch der überlebende Sohn muss mit den Geschehnissen fertig werden, erinnerte Schmidt: ein schwer traumatisiertes Kind, dem der Vater unaussprechliches Leid zugefügt habe.

Direkt nach dem Urteilsspruch wurde der 61-Jährige in die Psychiatrie nach Emmendingen gebracht. Ob und wann er wieder in die Freiheit entlassen wird, ist offen.

Mordprozess: Freispruch wegen Schuldunfähigkeit

Ein Richterhammer liegt auf einer Richterbank. Foto: Uli Deck/dpa/Symbolbild