Verbrecherjagd im Labor

Menschen bei der Polizei (6):Kriminaltechniker Ralf Haluk findet am Tatort entscheidende Spuren

„Fasern am Tatort können singen“, hat die Fahnderin aus CSI Vegas letztens im Fernsehen gesagt. Ralf Haluk würde das unterschreiben. Aber bis es so weit ist, dass Tatortspuren eine Geschichte erzählen und letztendlich zum Täter führen, ist viel Fingerspitzengefühl, Wissen, Erfahrung und mitunter auch Glück gefragt.

Verbrecherjagd im Labor

Fingerabdrücke abnehmen: Die Aufgaben eines Kriminaltechnikers wie Ralf Haluk. Foto: Y. Weirauch

Von Yvonne Weirauch

BACKNANG/WAIBLINGEN. Die Arbeit von Kriminaltechniker Ralf Haluk ist spannend, interessant, ungewöhnlich, manchmal erschreckend und mitunter etwas unappetitlich. Die Bilder aus einem Krimi sind bekannt: Wenn sie ganz in Weiß auftauchen, erinnern sie an Außerirdische. Bekleidet mit Spezialoveralls, Kapuze, Handschuhen und Füßlingen durchsuchen Kriminaltechniker im Krimi wie im richtigen Leben Tatorte, um Beweise zu sichern.

„Meine erste Aufgabe ist, danach zu schauen, dass niemand anders den Tatort betritt – das ist nicht immer ganz einfach“, sagt Polizeikommissar Ralf Haluk. Alles werde großräumig abgesperrt, um jede einzelne Spur, und ist sie noch so winzig, sichern zu können. Im ersten Moment seien alle Dinge am Tatort interessant.

Diese Suche an Schauplätzen von Straftaten erfordert akribisches Arbeiten und bleibt Fachleuten wie den Kriminaltechnikern vorbehalten. Warum diese weißen Overalls? „Die Schutzkleidung aus speziellem Material verhindert, dass fremde Spuren an die zu untersuchenden Stellen gelangen, sei es in Form einer Kleiderfaser oder Hautschuppe des Technikers“, erklärt der 44-Jährige. „Allein wenn ich eine Weile am selben Ort stehe, hinterlasse ich da zehntausend Hautpartikel, ohne dass ich es bemerke. Oder wenn ich spreche – ohne, dass ich eine feuchte Aussprache habe – bildet sich immer ein leichter Nebel, der sich irgendwo absetzt.“

Die Einsätze, bei denen die Spurensicherer an den Tatort gerufen werden, reichen von Firmen- oder Wohnungseinbrüchen bis hin zu Raubüberfällen oder Kapitalverbrechen wie Mord. Auch wenn die Todesursache bei einer Leiche nicht eindeutig geklärt werden kann, wenn der Notarzt beispielsweise die Krankengeschichte eines Verstorbenen nicht kennt, rücken die Kriminaltechniker an.

Für die Arbeit an der Stelle eines Verbrechens steht ein speziell ausgerüsteter Tatortbus bereit: Mit an Bord sind die weißen Overalls, Handschuhe, Füßlinge und Mundschutz für die Spurensicherer sowie vielfältiges Werkzeug wie unter anderem digitale Messgeräte, Zollstöcke, Flexgeräte und Stichsägen, für den Fall, dass am Tatort eine Spur aus dem Boden gesägt werden muss. Jeder Mitarbeiter hat zudem sein Spezialköfferchen, das diverse Chemikalien enthält. Mit Ruß- oder Adhäsionspulver und Pinsel werden Spuren sichtbar gemacht. „Bei einem Einbruch werden beispielsweise sofort Fenster oder Türrahmen mit Ruß bepinselt, um Fingerabdrücke sicherzustellen“, erläutert Haluk. Auch kleine Tütchen führt der Ermittler mit sich – um Asservate zu verpacken. Ein Teil der Arbeit der Kriminaltechniker findet immer an den Tatorten statt. Sie machen sich ein Bild von den Vorgängen, stellen sich vor, wie sich der Täter bewegt hat, wie er rein und wieder raus ist. „Es werden Nummern aufgestellt und die Objekte fotografiert.“ Das sei beispielsweise für die Ermittler im Nachhinein wichtig, wenn sie die Tat rekonstruieren müssten und eine Puppe nochmals genau so platzieren müssten, wie die Leiche zuvor auf dem Boden lag.

Nackte Leiche

mit Bisswunden an den Ohren

Es gibt kaum einen Tatort, den die Spurensicherer nicht millimetergenau auseinandernehmen. „Selbst der professionellste Täter hinterlässt am Tatort eine Spur“, so der Polizist. Mal ist es ein hauchfeines Haar, mal ein achtlos weggeworfener Zigarettenstummel, eine vergessene Rechnungsquittung, eine leer getrunkene Flasche, mal ein Abdruck eines Einbruchswerkzeugs oder ein Lackpartikel – nicht selten führen solche Gegenstände am Tatort eines Verbrechens zum Täter. Haluk: „Je präziser wir arbeiten, umso genauer kann ermittelt werden.“ Ein Labor, in dem Gegenstände unter die Lupe genommen werden können, gibt es in Aalen. Ein weiteres wird derzeit im Waiblinger Polizeipräsidium gebaut.

Haluks Arbeitsplatz wurde vorerst nach Gmünd verlegt. „In den Laboren können wir zum Beispiel harte Gegenstände etwa mit Cyanacrylat bedampfen, das sich silbern auf die Oberfläche niederschlägt. Fingerabdrücke kommen so zum Vorschein. Um den Kontrast besser sichtbar zu machen, werden danach Färbemittel eingesetzt.“

Ralf Haluk mag an seinem Job die Abwechslung. Der 44-Jährige ist gelernter Industriemechaniker: „Ich habe die Lehre abgeschlossen. Aber irgendwie hat mir das keinen Spaß gemacht“, gibt er zu. Durch eine Bekannte seines Bruders, die bei der Polizei arbeitet, sei er auf diesen Job aufmerksam geworden. 1995 sei er dann in den Polizeidienst eingestiegen. Er landete bei der Einsatzhundertschaft in Göppingen, war ein Jahr in Stuttgart im Streifendienst, anschließend war er zwei Jahre im Ermittlungsdienst in Ludwigsburg tätig.

Dann ging es in der Ermittlungsgruppe Eigentum in Waiblingen weiter – bis diese mit der Reform 2014 aufgelöst wurde. Seitdem arbeitet Haluk in der rund 30-köpfigen Mannschaft der Kriminaltechnik, die für den Bereich Rems-Murr-Kreis, Landkreis Schwäbisch Hall und Ostalbkreis zuständig ist. Die Kriminaltechnik – ein Feld, das ihn schon immer interessiert habe, sagt Haluk.

Zu einem seiner spektakulärsten Ermittlungsfälle zählt er den Mord im Backnanger Restaurant Asien-Perle 2016. Der Kriminalbeamte war einer der ersten am Tatort. Die Bilder sind im Kopf geblieben: eine blutüberströmte Frauenleiche, gefesselt und geknebelt. Verletzungen, die von Abwehrspuren stammten. An mehreren Stellen des Auffindeorts und am Opfer fanden die Ermittler Abdrücke und DNA-Spuren.

Ein kurioser Fall, der im Kopf hängen geblieben ist, ereignete sich ebenfalls 2016 in Crailsheim. „Als mich der Polizeiführer vom Dienst anrief und sagte, auf dem Friedhof in Crailsheim liege eine Leiche, musste ich zuerst lachen“, erzählt der Kommissar, und er kann sich auch jetzt noch ein Lächeln nicht verkneifen. Aber die Aussage entsprach den Tatsachen: Nahe eines Friedhofs in einem Crailsheimer Teilort wurde eine Leiche gefunden. Das Kuriose daran: Sie war nackt und die „Ohren wiesen schwere Bisswunden auf“. Letztendlich handelte es sich wohl um einen Raubmord.

Erschreckend war für Ralf Haluk auch der Fall, bei dem in der Nacht auf 15. Juli ein 53-Jähriger in Plüderhausen im Zimmer seiner Tochter von deren Ex-Freund mit einem Messer niedergestochen wurde (wir berichteten). „Die Spur führte dank eines DNA-Treffers schnell zu dem 20-jährigen Afghanen, der festgenommen werden konnte.“ Auch wenn Haluk noch mehr Einzelheiten vom Tatort berichten könnte – da der Fall noch nicht abgeschlossen ist, wird Stillschweigen bewahrt.

Die Ermittlungsarbeit kann manchmal belastend sein, das gibt Haluk zu. Häufig werde er im Freundeskreis gefragt, wie er das aushalte. „Zum Glück habe ich keine Albträume. Es beschäftigt mich schon. Aber ich kann den nötigen Abstand dadurch gewinnen, dass ich zu diesem Tatort fahre und nichts anderes will, als denjenigen zu finden, der das angerichtet hat.“

Ob die Arbeit eines Kriminaltechnikers mit der zu vergleichen ist, die in einem ARD-Tatort gezeigt wird? „Es wird alles sehr vereinfacht dargestellt – aber das ist klar, wenn der Täter in 90 Minuten gefasst sein muss“, sagt Haluk amüsiert. Selten schaut er sich einen Krimi an, aber wenn doch, gibt es zwei Szenen, bei denen er regelmäßig schmunzeln muss: Zum einen, wenn Streifenbeamte das Absperrband hochhalten, und die Kriminalbeamten darunter durchlaufen und wenn an einem Tatort ein Beamter kurz vorher noch einen Zigarettenstummel wegwirft.