Die Deutsche Umwelthilfe geht juristische Schritte gegen einen Chemiekonzern, der ein Werk im Kreis Heilbronn betreibt. Das Unternehmen sieht sich im Recht.
Das Solvay-Werk in Bad Wimpfen. Der Neckar ist nur einen Steinwurf entfernt.
Von Michael Bosch
Das Chemie-Unternehmen Solvay „vergiftet den Neckar“. So sieht es die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Derzeit darf das Werk in Bad Wimpfen (Kreis Heilbronn) die Chemikalie Trifluoressigsäure (TFA) in den Fluss leiten, das ist von den Behörden genehmigt. Die Substanz gehört zu den sogenannten Ewigkeitschemikalien, die sich kaum natürlich abbauen und in Gewässern, Trinkwasser und Böden anreichern.
Die Diskussionen über die Praktiken in Bad Wimpfen schwelen schon eine Weile. Dass die Chemikalie jüngst von den zuständigen Bundesbehörden als „fortpflanzungsgefährdend, sehr persistent und sehr mobil“ neu bewertet und in diesem Zuge ein Antrag gestellt wurde, sie in eine neue Gefahrenklasse einzustufen, hat die Umwelthilfe dazu bewogen, rechtliche Schritte zu gehen. Beim zuständigen Regierungspräsidium Stuttgart hat die DUH die sofortige Anpassung der wasserrechtlichen Erlaubnis beantragt, um die weitere Einleitung von TFA in den Neckar zu unterbinden“, teilt der Verein mit.
TFA: Ein Kilogramm pro Stunde fließen in den Neckar
Solvay darf derzeit ein Kilogramm TFA pro Stunde in den Neckar einleiten. DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch spricht von einem „Skandal“. Seit 2016 habe der Konzern „für lächerliche 12.000 Euro die Genehmigung, den Neckar und damit auch das Grund- und Trinkwasser unwiderruflich weiter zu vergiften“. Der Schutz der „lebenswichtigen Wasserressourcen und damit unserer Gesundheit darf nicht weiter aufgeschoben werden“, sagt Resch. Das RP müsse „die Einleitungserlaubnis unverzüglich entziehen und damit die weitere Vergiftung des Neckars stoppen“.
Solvay sieht sich im Recht und erkennt keine Versäumnisse. Man halte sich „an alle geltenden Gesetze und Vorschriften“, heißt es auf Nachfrage. Am Standort in Bad Wimpfen werde nach strengen Vorschriften gearbeitet, das Unternehmen verfüge „über eine gültige wasserrechtliche Genehmigung für die Einleitung von TFA“, teilt ein Unternehmenssprecher mit. Solvay produziert das TFA in Bad Wimpfen nicht, sondern es fällt als Abfall- beziehungsweise Nebenprodukt bei der Herstellung fluorhaltiger Chemikalien an, darunter vor allem Produkte für die Agrochemie und Pharmaindustrie. „Sollten sich die rechtlichen Rahmenbedingungen ändern, werden wir uns entsprechend verhalten“, teilt das Unternehmen mit.
Das wäre auch Sache des Regierungspräsidiums in Stuttgart als Aufsichts- und Genehmigungsbehörde. Das RP teilt mit, dass davon auszugehen sei, dass Solvay bereits seit 1996 TFA-haltiges Abwasser in den Neckar leite. Das Landesumweltamt sei 2016 durch neue Messmethoden und eine Untersuchung des Technologiezentrums Wasser darauf aufmerksam geworden. Seitdem sei die Menge, die Solvay in den Neckar leiten dürfe, mehrfach abgesenkt worden. „Die Konzentration an TFA im Neckar liegt seither deutlich unterhalb der Empfehlung des Umweltbundesamts für die Trinkwassergewinnung“, heißt es. Die Mengen an TFA, die von Solvay in den vergangenen neun Jahren in den Neckar geleitet wurden, seien um rund 90 Prozent reduziert worden.
„Wir können nachvollziehen, dass das Thema die Menschen bewegt und mit Unsicherheiten verbunden ist“, sagt eine Sprecherin des Regierungspräsidiums. Eine Rechtsgrundlage dafür, die Einleitung der Chemikalie komplett zu stoppen, gebe es bislang nicht. Die Neubewertung der Chemikalie durch das Umweltbundesamt und das Bundesinstitut für Risikobewertung sei bekannt. Allerdings müsse erst abgewartet werden, welche rechtlichen Konsequenzen eine Neueinstufung der Substanz habe. Das sei erst einmal Sache der Europäische Chemikalienbehörde (ECHA).
Sollte es „zu neuen oder verschärften Anforderungen kommen, die für die Einleitung von TFA-haltigem Abwasser durch die Firma Solvay anwendbar sind – insbesondere durch einen Überwachungswert für TFA in der Abwasserverordnung oder eines verschärften Trinkwasserleitwerts – wird die wasserrechtliche Erlaubnis entsprechend angepasst oder widerrufen“, heißt es vom Regierungspräsidium. Überdies werde der Antrag der Umwelthilfe derzeit geprüft.
Belgisches Unternehmen mit Milliardenumsatz
Chemikalie Trifluoressigsäure gehört zur Chemikaliengruppe der sogenannten per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, abgekürzt PFAS. Diese Stoffe sind auch als „Ewigkeitschemikalien“ bekannt, da sie extrem langlebig und nicht natürlich abbaubar sind. Experten sehen die Freisetzung der Chemikalien als sehr kritisch an. Martin Scheringer, Professor an der ETH Zürich. „Es ist falsch und dumm, denn die Substanz sammelt sich in der Umwelt an, kann nicht mehr entfernt werden und führt früher oder später zu toxischen Wirkungen“, sagte er dem SWR.
UnternehmenDer Hauptsitz von Solvay befindet sich in Brüssel (Belgien), in Deutschland hat das Chemie-Unternehmen mehrere Produktionsstandorte. In Bad Wimpfen werden vor allem anorganische und organische Fluorprodukte hergestellt, die beispielsweise in Arznei -und Pflanzenschutzmitteln oder als Isolier- und Kühlgas eingesetzt werden. Die Bereiche, in denen die Stoffe benötigt werden, sind mannigfaltig. Solvay erzielte im vergangenen Jahr einen Umsatz von rund 4,7 Milliarden Euro.