Verhältnisse wie in Moskau oder Peking? Tories in der Kritik

Von Von Christoph Meyer, dpa

dpa London. Lange schien es so, als könne Boris Johnson kein Skandal etwas anhaben. Doch nun wird es ungemütlich. Der Versuch, einen korrupten Abgeordneten vor Strafe zu schützen, ging nach hinten los.

Verhältnisse wie in Moskau oder Peking? Tories in der Kritik

Der britische Premierminister Boris Johnson. Foto: Stefan Rousseau/PA Wire/dpa

„Schändlich, falsch und unwürdig“ - mit diesen Worten beschrieb der ehemalige konservative Premierminister John Major das Verhalten der aktuellen Regierung in Großbritannien.

Seit vergangener Woche gibt es in britischen Medien fast nur noch ein Thema: Die konservative Tory-Partei und ihr Verhältnis zu den Prinzipien der Demokratie und des Rechtsstaats. Es geht um mehr oder minder offensichtliche Korruption, den Missbrauch der parlamentarischen Mehrheit, um Regeln zum eigenen Vorteil zu ändern und mangelnden Respekt vor dem Gesetz und der Wahrheit.

Unter Boris Johnson hatte man sich an diese Vorwürfe beinahe schon gewöhnt. Nichts schien dem blonden Politiker etwas anhaben zu können. Doch das hat sich nun womöglich geändert.

Das Fass zum Überlaufen brachte Johnsons Versuch, einen korrupten Abgeordneten vor Strafe zu schützen. Owen Paterson sollte wegen bezahltem Lobbyismus zu einer 30-tägigen Suspendierung vom Parlament verdonnert werden. Doch der Premier wollte das nicht hinnehmen und beschloss, stattdessen das gesamte Disziplinarverfahren für Abgeordnete umzuwerfen, um einen Ausweg für Paterson zu schaffen. Die Opposition wurde einfach überstimmt.

Doch der Plan hatte einen Fehler: Die Oppositionsparteien weigerten sich schlicht, einem Gremium mit Tory-Mehrheit beizutreten, das die neuen Regeln ausgestalten sollte. Ganz ohne Feigenblatt ging es dann doch nicht - die Regierung musste eine Kehrtwende hinlegen. Paterson legte sein Mandat nieder. Doch die Debatte nahm an Fahrt auf, auch wenn Umweltminister George Eustice sie als Sturm im Wasserglas abtat.

Major kritisiert Gutsherrenstil

In den Augen von Major ist das Vorgehen der Johnson-Regierung im Fall Paterson kein Einzelfall. Die Konservativen hätten sich einen Gutsherrenstil angeeignet, sagte der Ex-Premier der BBC am Wochenende. „Das muss aufhören, das muss bald aufhören“, so der einstige Nachfolger von Margaret Thatcher. Besonders beunruhigt habe ihn die Missachtung von Recht und Gesetz durch die Regierung, wie zum Beispiel, als das Parlament im Jahr 2019 einfach für mehrere Wochen stillgelegt werden sollte, um unliebsame Gesetzgebung zu verhindern. Auch auf den geplanten Bruch des völkerrechtlich bindenden Nordirland-Protokolls wies Major hin.

Teil des Problems ist, dass es in Großbritannien keine geschriebene Verfassung gibt. Mit einer einfachen Mehrheit könnten prinzipiell die Fundamente von Demokratie und Rechtsstaat ausgehebelt werden. Dass dies nicht geschieht, ist dem Prinzip Hoffnung überlassen - man nennt das auch das „good-chap-Modell“. Dahinter steckt die Annahme, dass sich die Mehrheit der Entscheidungsträger immer für die Prinzipien von Rechtsstaat und Demokratie einsetzen wird. Doch sind Boris Johnson seine Konservativen noch „good chaps“ (gute Kerle)? Daran gibt es inzwischen Zweifel.

„Seine Strategie ist, die Regeln zu entwerten, damit sie für niemanden mehr eine Rolle spielen“, sagte Oppositionschef Keir Starmer bei einer außerordentlichen Debatte zum Fall Paterson am Montag über den Premier. Johnson entzog sich der Kritik, indem er dem Parlament einfach fernblieb.

Tatsächlich bietet der konservative Parteichef auch selbst viel Angriffsfläche, wenn es um die Einhaltung von Regeln und Verhaltensstandards geht. So machte Johnson immer wieder Schlagzeilen mit unwahren Behauptungen. Beispielsweise verkündete er kurz nach dem Abschluss des Brexit-Abkommens, es werde in dessen Folge keine Warenkontrollen zwischen Großbritannien und Nordirland geben - wohl wissend, dass er genau das in dem Vertrag ausgehandelt hatte.

Kostenloser Luxusaufenthalt für Johnson

Auch wenn es darum geht, seinem Hang zu einem luxuriösen Lebensstil auszuleben, geniert sich Johnson nicht. Direkt nach seinem Wahlsieg im Dezember 2019 reiste er mit seiner Partnerin auf die private Karibikinsel Mustique. Organisiert wurde der kostenlose Luxusaufenthalt im Wert von 15.000 Pfund (17.500 Euro) von einem befreundeten Unternehmer. Ein Verstoß gegen die Verhaltensregeln wurde damals nicht festgestellt. Johnson wurde lediglich dafür gerügt, dass er die Details der Abmachung nicht transparenter dargestellt hatte.

Als habe ihn das ermutigt, machte er kürzlich erst kostenlos Urlaub in der Luxusvilla eines Freundes im spanischen Marbella. Den Parteikollegen hatte er zuvor ins Oberhaus gehievt, nachdem der sich vergeblich für einen Sitz im Unterhaus beworben hatte.

Dass die lebenslange Mitgliedschaft im Oberhaus im Gegenzug für Erkenntlichkeiten zu haben sein könnte, legt auch eine Recherche der „Sunday Times“ nahe. Demnach hatten 15 ehemalige Schatzmeister der Konservativen Partei jeweils drei Millionen Pfund (3,5 Millionen Euro) an die Tories gespendet - und auf Betreiben der Regierung einen Sitz im House of Lords erhalten.

Die liberale Abgeordnete Wendy Chamberlain sagte bei der Debatte am Montag zum Vorgehen der Regierung: „Das ist beinahe die Art von Verhalten, die ich von der Duma in Moskau oder dem Volkskongress in Peking erwarten würde, nicht vom britischen Unterhaus.“

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