EU-Gipfel in Brüssel

Verzwergung statt Demonstration europäischer Souveränität

Die EU sieht sich existenzbedrohenden Krisen ausgesetzt. Darauf müsste sie konsequent reagieren, verliert sich aber in krämerischen Auseinandersetzungen, kommentiert Knut Krohn.

Verzwergung statt Demonstration europäischer Souveränität

Friedrich Merz ist nach der langen Gipfelnacht in Brüssel müde, aber zufrieden.

Von Knut Krohn

Friedrich Merz hat recht. Europa darf nicht zum Spielball von Großmächten werden. In einer sich ändernden Weltordnung müssen „wir“ eine zentrale Rolle spielen, forderte der Bundeskanzler. Das Wörtchen „wir“ hat er vor dem EU-Gipfel in Brüssel gezielt gesetzt, es erschien allerdings fast wie ein flehentlicher Appell.

Denn anders, als der Kanzler in den frühen Morgenstunden nach den zähen Verhandlungen behauptete, hat Europa nicht verstanden, dass die Stunde geschlagen hat. Und auch in einem zweiten Punkt liegt er daneben: Der Gipfel war alles andere als eine Demonstration europäischer Souveränität.

Die größte Bedrohung in der EU-Geschichte

Recht hat Merz allerdings darin, dass die EU sich mit der größten Bedrohung ihrer Geschichte konfrontiert sieht. Die Gefahr lauert von drei Seiten gleichzeitig: Russland führt seinen imperialen Krieg nicht nur gegen die Ukraine, sondern will mit hybriden Übergriffen auch die EU zerstören. Der massive wirtschaftliche Druck aus China gefährdet unseren Wohlstand und die USA zielen mit ihren ständigen Angriffen auf das politische Fundament der Union. Doch was macht das notorisch zerstrittene Europa? Die Staaten raufen sich nicht zusammen, sondern verlieren sich in kleinstaatlichen, krämerischen Auseinandersetzungen. Kann es da verwundern, dass US-Präsident Donald Trump die Europäische Union längst auf dem Schrotthaufen der Geschichte sieht?

In diesem Sinne war der EU-Gipfel in Brüssel ein Offenbarungseid, ein Beleg dafür, dass wir von einem geeinten Europa weit entfernt sind. Wie tief die nationalen Egoismen sitzen, hat der Streit über die Verwendung des eingefrorenen russischen Staatsvermögens und das EU-Mercosur-Abkommen beim EU-Gipfel in Brüssel gezeigt.

Das Mercosur-Abkommen wird verschoben

Die 27 Staaten haben es nicht geschafft, ein Freihandelsabkommen zu unterzeichnen, das seit über einem Vierteljahrhundert verhandelt wird. Geradezu irrwitzig erscheint der Einwand der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni, die in Brüssel vor einer überstürzten Unterschrift warnte. Mit ihrer Blockade hat sie in letzter Minute erreicht, dass die Unterzeichnung noch einmal verschoben wird.

Dabei war es auch für Europa noch nie so sinnvoll wie jetzt, die Chance zu ergreifen und sich als globale und positiv gestaltende Wirtschaftsmacht zu zeigen. Es entstünde ein Freihandelsraum mit über 700 Millionen Menschen. Nicht nur die Staaten Südamerikas hätten die Möglichkeit, den immer enger werdenden Würgegriff Chinas zu lockern und dem in den USA inzwischen praktizierten, vulgärkapitalistischen Recht des Stärkeren etwas entgegenzusetzen. Doch Giorgia Meloni machte sich im letzten Moment im Schlepptau des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zum Büttel des heimischen Agrarsektors. Wieder einmal schlägt in der EU die kleinteilige Innenpolitik die Weltpolitik.

Eine Lösung mit einigen Buchungstricks

Zumindest im Fall der Ukraine hat die EU Handlungsfähigkeit bewiesen. Allerdings war auch hier nichts von jener Entschlossenheit zu spüren, die Europas Politiker in ihren Reden gerne an den Tag legen. In der Ukraine sterben jeden Tag Menschen, doch in Brüssel wurde krämerisch über Buchungstricks gestritten.

Gut ist, dass Kiew das Geld nun bekommt, denn ohne stabile Finanzierung hält die Ukraine weder im Krieg noch im Frieden durch. Kiew erkauft sich so Zeit im Abwehrkampf gegen Russland. Das ist ein schwerer Schlag für den Kreml, denn Zeit ist in dem seit fast vier Jahren andauernden Krieg inzwischen die wichtigste strategische Ressource Russlands.

Souveränität gibt es nicht gratis

Europa aber muss endlich verstehen, dass es nicht reicht, nur über Souveränität zu schwadronieren, bei jedem konkreten Schritt in diese Richtung dann aber den Mut zu verlieren. Es führt kein Weg daran vorbei, in einer zunehmend feindlichen Umwelt zum strategischen Akteur zu werden. Europa ist zu groß, um dies nicht zu tun. Die Herausforderungen für die Wirtschaft, im Bereich Klimaschutz und auch bei der Verteidigung werden nur gemeinsam gelöst werden können.

Die EU muss sich endlich der Frage stellen, wie sie sich selbst versteht. Ob sie auch bereit ist, die Kosten und das Risiko einer größeren Eigenständigkeit auf sich zu nehmen und als strategischer Akteur zu agieren. Die Signale vom EU-Gipfel in Brüssel sind aber ernüchternd, dort wurde eher an der eigenen Verzwergung gearbeitet.