Virtuelle Spielhallenromantik

Der Leutenbacher Jens Leiensetter baut hobbymäßig Flipperautomaten  –  Hilfe bekommt er aus aller Welt

Jens Leiensetter aus Leutenbach hat einen virtuellen Flipperautomaten gebaut. Auf einem Flachbildschirm flitzt die Kugel über digitale Oberflächen, an denen er selbst mitgebastelt hat. Die Mischung aus Spielhallenromantik und Computersimulation überzeugt sogar Nostalgiker. Das Wichtigste aber: Dank seines Hobbys hat der Leutenbacher heute Freunde auf der ganzen Welt.

Virtuelle Spielhallenromantik

Technik, Technik, Technik. Laut Jens Leiensetter ist das aber alles halb so wild: „Wer einen Computer hochfahren kann, hat schon die Hälfte geschafft.“ Foto: A. Palmizi

Von Alexander Roth

LEUTENBACH. Ein Wohnzimmer in Leutenbach. Im Raum verteilt stehen Jens Leiensetter (31), seine Frau Patricia (29) mit dem sechs Monate alten Kind auf dem Arm, und natürlich Jens’ Baby: der Flipper. Aus der Ecke macht der riesige Automat mit blinkenden Lichtern und lauten Geräuschen auf sich aufmerksam. Auf den ersten Blick wirkt er wie ein Relikt aus einer längst geschlossenen Spielhalle. Dabei ist darin modernste Technik verbaut. In dem orangefarbenen Gehäuse versteckt sich ein High-End-Gaming-PC. Auf vier Flachbildschirmen jagt eine Animation die nächste, immer angepasst an die jeweils ausgewählte Spieloberfläche. Eine Runde „Terminator“ gefällig? „Stranger Things“? Oder doch lieber der gute alte Wilde Westen? Wofür man früher je einen Trümmer von der Größe eines Kleiderschranks gebraucht hätte, reicht heute ein einziges Gerät. Die Auswahl ist riesig. Bei den meisten Spielen hat Jens Leiensetter selbst mitprogrammiert. Das Besondere: Der gelernte Tischler hat sich alles selbst beigebracht.

Als Jens noch klein war, hatten Leiensetters einen Flipper zu Hause stehen. Einen mechanischen. Er wuchs damit auf, für ihn gehörte das dazu. Als er dann irgendwann auszog, wurde ihm schnell klar: Es muss wieder ein Flipper ins Haus. Seine Frau ließ sich davon nicht nur überzeugen, sondern schenkte ihm auch gleich einen. Doch die Freude darüber war nur von kurzer Dauer: Nach einem Blitzschlag war der Flipper defekt. Jens Leiensetter konnte ihn nicht reparieren und musste ihn wieder verkaufen. Aber er gab nicht auf.

Vor drei Jahren kam dem Leutenbacher dann die Idee, es mit einem virtuellen Flipper zu probieren. Er las alles, was er im Internet zu diesem Thema fand. Er stieß auf einen Webshop aus Schorndorf, der die entsprechenden Teile verkauft. Er griff zu. Als Grundgerüst kaufte er sich in Österreich für 200 Euro einen alten, ausgeschlachteten Flipper. Dann ging alles ganz schnell: Innerhalb von zwei Wochen baute Jens Leiensetter mit der Hilfe seines Vaters sein eigenes Gerät. Natürlich lief nicht immer alles glatt.

„Echte Männer spielen
mit Kugeln aus Stahl“

„Einmal habe ich zwölf mit fünf Volt verwechselt und alle Plastikteile geschmolzen“, gibt Jens Leiensetter zu. Doch das Vater-Sohn-Projekt hatte ihn erst richtig angestachelt. Er wusste, dass technisch noch viel mehr möglich war, und machte sich wieder ans Werk. Das Endergebnis füllt heute eine ganze Ecke seines Wohnzimmers.

5000 Euro hat allein die Anschaffung seines aktuellen Flippers gekostet. „Was, so viel Geld für ein so ’n Ding?“ Das bekommt der Leutenbacher ständig zu hören. Doch die Skeptiker seien schnell überzeugt. Einmal war zum Beispiel eine ganze Gruppe Flipperverrückter aus Fellbach zu Gast, die noch ganz klassisch analog flippern. Vor dem Probespielen hieß es laut Jens Leiensetter noch scherzhaft: „Echte Männer spielen mit Kugeln aus Stahl.“ Nach ein, zwei Partien dann: „Wow, das macht ja erstaunlich viel Spaß!“

Das liegt mit Sicherheit auch am realistischen Spielgefühl. „Das Schwierigste ist es, die Physik richtig hinzukriegen“, erklärt Leiensetter. Ein altmodischer Knopf bringt die Kugel ins Spiel, mit zwei weiteren steuert man die digitalen Hebel. Die Kugel verhält sich, als hätte sie Gewicht, und wenn man gegen das Gehäuse schlägt, beeinflusst das ihre Flugbahn. Es gibt sogar einen Münzschlitz. Und dann sind da natürlich auch noch die Geräusche. „Das mechanische Klackern, das Wackeln, die Blinklichter – das kann kein Videospiel einem geben.“

Allein ist das alles nicht zu schaffen. Virtuelles Flippern funktioniert nur, weil alle, die sich weltweit dafür begeistern, mit den anderen teilen. Quellcode, Software, fertige Oberflächen. Alles Open Source. Fünf Leute sitzen im Schnitt 200 Stunden an einem Spiel, schätzt Jens Leiensetter. Sie programmieren und designen für lau. „Die meisten erwarten nicht mehr als ein Dankeschön.“ Das Gehäuse seines Automaten habe ihm beispielsweise ein renommierter Designer für zwei Flaschen Bier entworfen. Die soziale Komponente ist Leiensetter sehr wichtig. Das Wissen, das er sich beim Bau seines Flippers angeeignet hat, gibt er Leuten rund um den Globus weiter, hilft, wo er kann. Er hat Freunde auf der ganzen Welt gefunden, mit denen er sich im Videochat trifft, um gemeinsam an neuen Spielen zu arbeiten. 20 Stunden die Woche und „meistens nachts“, wie seine Frau einwirft. Manche davon hat er im Urlaub auch schon besucht. Aber auch in der Nähe gibt es Flipperenthusiasten: Jens Leiensetter weiß von fünf weiteren Leuten im Rems-Murr-Kreis und etwa 20 im ganzen Bundesland. Mit einigen davon trifft er sich regelmäßig zum Grillen.

Auch der Flipper selbst gehört längst zur Familie und bietet, neben dem Spielspaß, ungeahnte Vorteile. „Wenn das Ding abends an ist, brauchen wir kein Licht“, sagt Ehefrau Patricia. Auch die Nachbarn von gegenüber wundern sich längst nicht mehr über das Discoleuchten von nebenan. Und die ältere Dame, die in der Wohnung darüber wohnt? Wird die nicht kirre von dem Geklacker und den Geräuscheffekten? Jens Leiensetter: „Die hat damit kein Problem. Nur am Sonntagabend ist Schluss, da versteht sie keinen Spaß. Dann kommt der Tatort.“