Vom Weihnachtszauber und Hüpfeligsein

Für Sophie, Dilara, Paul und John, die in der Außengruppe der Philadelphia-Kinderheimat in Murrhardt leben, sind Heiligabend und die Feiertage etwas ganz Besonderes. Dafür, dass dieser Zauber gepflegt wird, sorgt das Betreuungsteam.

Vom Weihnachtszauber und Hüpfeligsein

Im geschmückten Wohn- und Esszimmer spielt sich auch Weihnachten ab. Fotos: A. Becher

Von Christine Schick und Lorena Greppo

Murrhardt. Im Treppenaufgang sind die drei Könige unterwegs. Die aus buntem Karton gestalteten und an der Wand befestigten Figuren streben über die Stufen sozusagen der Krippe zu, die sich auf dem oberen Absatz befindet. Im Wohn- und Esszimmer künden selbst gebastelter Fensterschmuck, Adventskranz und ein Adventskalender mit großen Sternen vom Fest. „Den Baum haben wir zu dritt besorgt“, erzählt Birgit Kronmüller, die die Außengruppe von Anfang an als Erzieherin betreut. „In Sulzbach“, ergänzt die achtjährige Sophie (Namen aller Kinder sind geändert) und die kleine Runde, zu der sich auch Ute Haußmann, Leiterin der Philadelphia-Kinderheimat, gesellt hat, erzählt, dass der schmucke Repräsentant in Bartenbach eingesammelt wurde.

Das Schmücken wird anders als im Hauptstandort in Murrhardt-Alm gemeinsam zelebriert, was auch ein bisschen pragmatische Gründe hat. Das Wohn- und Esszimmer kann nicht über längere Zeit abgeschottet sein. Aufregend und spannend ist das alles trotzdem. „Ich merke, wie es in den Kindern hüpfelt“, sagt Birgit Kronmüller und lächelt. Die innere positive Anspannung wird am Morgen erst mal mit ein paar Spielen im Zaum gehalten und am Nachmittag steht ein fester Termin auf dem Programm: der Besuch des Gottesdiensts mit Krippenspiel in der Murrhardter Stadtkirche. „Vor zwei Jahren hab ich die Maria gespielt“, erzählt Dilara.

Es war die Rolle in einem Singspiel und eine Zeit, die von den Rahmenbedingungen aus heutiger Sicht noch deutlich unbeschwerter war. Die Weihnacht vor einem Jahr war so etwas wie ein Ausnahmefest mit nicht so guten Erinnerungen, weil es einen Coronafall gab und Einzelquarantäne nicht gerade gut zu einem genussvollen Heiligabend passt. Das ist überstanden und vorbei, aber auch sonst könnte es ohne das Virus und die mit ihm verbundenen Veränderungen einfacher sein. „Ich bin bei den Royal Rangers und würde mich gern bei der DLRG engagieren“, sagt die 14-jährige Dilara. Letzteres ist zurzeit nicht machbar. „Und ich tanze gern, aber die Gruppe hat sich aufgelöst.“ Sophie spielt Blockflöte, wünscht sich, in einem Chor zu singen. Mal sehen, wann das wieder gut möglich sein wird. Paul und John, die ebenfalls – Schlagzeug und Gitarre – musikalisch unterwegs sind, können sich bei ihrem Lieblingssport Fußball zumindest auch draußen auspowern.

Gefeiert wird wie in anderen Familien

Und wie sieht es sonst mit der Unbeschwertheit insbesondere jetzt beim Fest aus? Die Frage, wie die Mädchen und Jungen der Philadelphia-Kinderheimat denn Weihnachten feiern, beantwortet Dilara fast schon überrascht: „Na genauso wie andere Familien auch.“ Will heißen, die sechs Kinder und Jugendlichen der Außengruppe inklusive der fünf betreuenden Fachkräfte sind die Familie. Auch die Zugehörigkeit zur Philadelphia-Heimat insgesamt fällt ab und zu im Gespräch. „Wir wollen vor allem, dass sie ein richtig schönes Fest haben, in dem jeder vorkommt und sie auch Freude aneinander haben“, sagt Ute Haußmann. Wohlwissend um das Päckchen, das jedes Kind und jeder Jugendlicher sonst noch zu tragen hat. Dem stehen die festen Anker an Heiligabend entgegen: nach der Rückkehr aus der Stadtkirche ein gutes, gemütliches Abendessen, gemeinsame Lieder, die Weihnachtsgeschichte und die Bescherung. Letztere hat ziemlich großen Anteil an der Hüpfeligkeit. Nach dem Tischdecken müssen die Kinder nämlich noch für etwa 20 Minuten auf ihre Zimmer. „John und Paul waren bei mir mit im Zimmer“, verrät Dilara. Als die drei dann ins Wohn- und Esszimmer zurückkehren, ist der Tisch voller Essen und der Platz unter dem Christbaum voller Geschenke gewesen. Zu Essen gibt es Hähnchen mit verschiedenen Salaten und Bratkartoffeln. Und dann, endlich, geht es an die Geschenke. „Ich hab mir zwei Helis gewünscht“, erzählt John, und dass er ein Lego-Experte und -Fan ist. Auch die anderen haben Wünsche notiert und sind gespannt, wie die Umsetzung gelingt. Ute Haußmann verrät, dass das Budget durch einen Sponsor erfreulicherweise etwas höher ausfallen kann. So bekommt John sein Lego-Set, Sophie packt den Schminkkopf aus, den sie sich gewünscht hatte, und Dilara bekommt unter anderem eine Handtasche, einen Schal und eine Kette.

Und es gibt einen Trick, um den Genuss der Bescherung und des Beschenktwerdens möglichst zu intensivieren und zu einem gemeinsamen zu machen. „Es wird zusammen ausgepackt, damit wirklich Zeit ist, das zu genießen“, sagt die Heimleiterin. Und John und Paul, beide übrigens zehn Jahre alt, erklären, wie das geht: Beispielsweise lassen sich Rätselfragen stellen und derjenige, der die Antwort weiß, darf sich seine Gaben holen, oder es wird gewürfelt. „Wer die höchste Zahl hat, kann dann entscheiden, wem aus der Gruppe er das Geschenk bringt“, sagt John. Dieses Mal haben sich die Kinder im Kreis auf den Teppich gesetzt und Flaschendrehen gespielt. Auf wen die Flasche zeigt, der darf sein Geschenk öffnen, erklärt Dilara. Klar, dass, wenn dann schließlich alle vor den ausgepackten Präsenten sitzen, erst mal alles ausprobiert werden muss. Birgit Kronmüller hat außerdem zwei Veeh-Harfen mitgebracht, die Älteste der Gruppe kann auf dem Klavier begleiten. Gegen 22 Uhr heißt es dann aber schlafen gehen.

„Es war genau so, wie wir es uns gewünscht haben: schön und friedlich“, zieht Birgit Kronmüller Bilanz. Am nächsten Tag gehen alle es dann etwas ruhiger an: Es wird mit den Geschenken gespielt, zudem gibt es einige Gruppenspiele. Dilara macht Popcorn und die Kinder schauen auf dem Sofa „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“.

Dass Birgit Kronmüller an Weihnachten Dienst hat und zumindest nur zwischendurch bei ihrer Familie sein kann, passt für die Erzieherin. „Meine beiden Söhne sind schon erwachen, sie und mein Mann wissen ja Bescheid und ein bisschen Zeit bleibt schon“, sagt sie. An den Feiertagen leisten Birgit Kronmüller und das Team 24-Stunden-Schichten, zum einen, um möglichst viel Kontinuität für die Kinder und Jugendlichen zu garantieren, zum anderen hat das den Vorteil, über die drei Feiertage auch zumindest eine kurze Zu-Hause-Phase zu haben. Nicht trotzdem immer noch ungewohnt? „Ich muss sagen, dass ich es sogar genieße, Weihnachten auch hier mit den Kindern und Jugendlichen zu verbringen, inklusive der Aufregung, der Freude und den leuchtenden Augen“, sagt sie. Weihnachten mit kleinen Wesen zu entdecken und zu genießen, sei einfach etwas Besonderes.

Geschützter Lebensraum

Die Einrichtung Die Philadelphia-Kinderheimat ist eine staatlich anerkannte Jugendhilfeeinrichtung unter dem Dach des Diakonischen Werks. Der Basler Missionar Christian Röckle gründete sie 1956, um die Not der Kinder in der Nachkriegszeit zu lindern. Damals wie heute ist es das Ziel, die jungen Menschen in einem geschützten Lebensraum individuell zu fördern, bis sie in ihre Herkunftsfamilien zurückkehren können oder eine Berufsausbildung abgeschlossen haben. Im Hauptstandort in Murrhardt-Alm leben 14 Kinder und Jugendliche. Die Außengruppe kam vor rund zwei Jahren dazu. Im Vorfeld gab es nicht nur eine ganze Reihe von Anfragen für Kinder und Jugendliche, sondern Ute Haußmann flatterten auch einige Bewerbungen pädagogischer Fachkräfte ins Haus, sodass die Leiterin das Projekt angehen wollte. Heute leben sechs junge Menschen dort. Ute Haußmann leitet die Einrichtung schon seit 29 Jahren.