Von der Arbeit an einer digitalen Stadtkirche

Das Murrhardter Gotteshaus wird dieser Tage begutachtet und eingefangen: Benjamin Schäfer macht Aufnahmen, um einen virtuellen Rundgang zu erstellen. So können besondere Ansichten entstehen und Interessierte auch von außerhalb einen Blick in den Sakralbau werfen.

Von der Arbeit an einer digitalen Stadtkirche

Benjamin Schäfer richtet Kamera und Stativ ein, um von verschiedenen Punkten aus ein Panorama in 360 Grad aufzunehmen. Fotos: J. Fiedler

Von Christine Schick

Murrhardt. Der Altar und Chor der Stadtkirche sind in angenehmes Licht getaucht, auch die Mühleisen-Orgel ist mit einer Reihe von Spots in Szene gesetzt. Pfarrer Hans Joachim Stein und Kantor Gottfried Mayer bereiten aber keinen Gottesdienst vor, sondern haben einen Gast. Benjamin Schäfer ist gekommen, um die Stadtkirche in einem virtuellen Rundgang einzufangen. Darin haben er und sein Team viel Erfahrung.

„Im Prinzip war Google Street View der Vorreiter und mittlerweile wird das in vielen Bereichen genutzt, auch privat“, sagt der Fotograf aus Rheinstetten. Zu seinen Kunden gehören Unternehmen genauso wie Institutionen. Im Auftrag der Badischen Landeskirche hat er für rund 20 Gotteshäuser solche Rundgänge erstellt. Die vielen Einzelaufnahmen wachsen später über die Programmierung einer Homepage zusammen. Je nach Objekt lässt sich an besonders interessanten Punkten in die Tiefe gehen und textlich beziehungsweise mit weiteren Ausschnitten erklären, was der Betrachter da vor sich hat – ob in Schwimmbad, Theater- oder Sakralbau. „In Kirchen steckt ja sehr viel Geschichte und Kultur und das ist für mich natürlich eine schöne Arbeit“, sagt Benjamin Schäfer. Er lässt die Stadtkirche als Raum auf sich wirken. Dann nimmt Pfarrer Stein ihn auf einen kleinen Rundgang inklusive flankierender Erklärungen mit. Das Ziel: „attraktive Standpunkte, die sich für einen Rundumblick oder tieferen Einblick eignen“, so Schäfer. Werden die kompletten 360 Grad beschritten, heißt das für den Fotografen 30 Aufnahmen zu machen und später zusammenzusetzen.

Wie kam die evangelische Kirchengemeinde Murrhardt überhaupt darauf, einen virtuellen Rundgang für die Stadtkirche in Angriff zu nehmen? „Das war ein Vorschlag von Gottfried Mayer“, erzählt Stein. Der Kantor hatte nämlich entdeckt, dass es zurzeit auch ein Förderprogramm unter dem Stichwort „Kirchturmdenken“ gibt, über das verschiedene Projekte rund um Sakralbauten im ländlichen Raum – so auch ein virtueller Rundgang zur Präsentation des Gotteshauses mit größerer Reichweite – unterstützt werden können. „Vielleicht gehen wir das auch noch für die Walterichskirche und die Walterichskapelle an“, sagt Stein.

Letztere ist in der Regel geschlossen (Besucher können sich einen Schlüssel im Gemeindebüro ausleihen), sodass es sich vor diesem Hintergrund sogar besonders anbietet. „Da müssten wir uns aber mit der Landeskirche verständigen.“ In letzter Konsequenz hat Corona mit dazu beigetragen, dass die Stadtkirche nun einen virtuellen Rundgang erhält. Der mit der Pandemie verbundene Digitalisierungsschub hat Stein auf das Projekt setzen lassen. „Schön finde ich, dass man so auch noch stärker ein Gefühl für den Kirchenraum vermitteln beziehungsweise bekommen kann.“

Mit ins Boot geholt hat der geschäftsführende Pfarrer auch Martin Pfender, der sich als ehemaliger technischer Beigeordneter der Stadt und Mitausbilder der Murrhardter Kirchenführer mit den Murrhardter Gotteshäusern bestens auskennt. Denn Benjamin Schäfer soll kurze Informationstexte an die Hand bekommen, die an verschiedenen Punkten Hintergründe oder konkrete Objekte erläutern. Der lässt den Blick von der Vierung aus schweifen, geht ein paar Schritte. Da ist beispielsweise die Grabplatte Friedrich Christoph Oetingers. „Er ist so etwas wie der evangelische Stammvater für Murrhardt“, so Stein. Bei dem steinernen Herrn an einer Säule habe sich mittlerweile herauskristallisiert, dass es sich wahrscheinlich nicht um eine Januariusfigur, sondern um eine des Walterich handle. Der Seitenaltar wird genauso wie die inneren Gänge der Orgel in Augenschein genommen. „Es ist auch möglich, Klangdateien zu integrieren“, sagt Schäfer zu Gottfried Mayer. Die Aufnahmen müssen nicht höchsten Qualitätsstandards genügen, wichtig sei nur, dass es keine Störgeräusche gebe. Beim Altar mit Holzkreuz vor dem mittleren Chorfenster stellt der Pfarrer fest: „Den Blick vom Gekreuzigten auf den Auferstandenen finde ich sehr schön“, und schlägt so die inhaltlich-räumliche Verbindung. Schäfer nickt, ihm schwebt vor, auch das Fenster nochmals extra in Szene zu setzen.

Nach Wendeltreppe und etlichen weiteren Holzstufen sind die beiden auf dem Dachstuhl angelangt. Überall in der kunstvollen Konstruktion sind neben den dunklen auch die neuen hellen Holzbalken zu sehen, die bei der Sanierung eingesetzt worden sind. „Das gefällt mir gut, wie man hier noch die aktuellen Arbeiten sehen kann“, sagt Benjamin Schäfer und dass er den Dachstuhl des Gotteshauses integrieren will. Im Glockenturm ist es zwar zu eng, aber der Fachmann hat sich schon eine Reihe von Punkten ausgeguckt.

Schließlich geht es an die Arbeit. Der Fotograf wird nun nach und nach den Rundgang in seiner Grundform erstellen. „Dann kann man sich das anschauen, um zu entscheiden, welche Punkte anklickbar sein und vertieft werden sollen. So können wir uns das schrittweise gemeinsam erarbeiten“, sagt Schäfer zu Hans Joachim Stein und Gottfried Mayer.

Von der Arbeit an einer digitalen Stadtkirche

Pfarrer Hans Joachim Stein führt gut gelaunt durch die Murrhardter Stadtkirche – hier schaut er durch eine schmale Passage an der Mühleisen-Orgel.

Räumen für den Rundgang

Arbeit Wie solche virtuellen Rundgänge funktionieren, lässt sich über verlinkte Beispiele auf der Website www.baden360.de erkunden. Bei der Erstellung in den vergangenen Monaten mussten die Kunden, insbesondere Kirchenverantwortliche, einiges an Zusatzarbeit auf sich nehmen, wie Schäfer erzählt. Eine Reihe der Gotteshäuser hatten ihre Kirchenbänke durch Bestuhlung ersetzt, also hieß es, den Originalzustand und nach den Aufnahmen wieder die coronakonforme Bestuhlung herzustellen.

Unterstützung Das Bundesförderprogramm „Kirchturmdenken. Sakralbauten in ländlichen Räumen: Ankerpunkte lokaler Entwicklung und Knotenpunkte überregionaler Vernetzung“ läuft noch bis Ende des Jahres. Ziel ist, (ehemalige) Sakralbauten und Klosteranlagen als Orte für Kulturangebote auch in strukturarmen ländlichen Regionen zugänglich zu machen, regionale Zugehörigkeit und gesellschaftliche Integration zu stärken und die Lebensqualität vor Ort zu verbessern. Die Maßnahme richtet sich an öffentliche, zivilgesellschaftliche und private Träger von Sakralbauten und Klosteranlagen in Kommunen mit einer Einwohnerzahl bis 20000 Personen.