Transmenschen in Deutschland

„Wachsende Akzeptanz“: dreißig Mal mehr Trans-OPs als 2005

Seit 2005 ist die Zahl geschlechtsangleichender Operationen an Genitalien in Deutschland um 3.000 Prozent gestiegen. Was steckt dahinter?

„Wachsende Akzeptanz“: dreißig Mal mehr Trans-OPs als 2005

 

Von Joel Lev-Tov

Binnen zwanzig Jahren hat sich die Zahl geschlechtsangleichender Operationen mehr als verdreißigfacht, von 111 (2005) auf 3475 im Jahr 2024. Unsere Recherche beleuchtet mögliche Gründe für diese Entwicklung – und das Schweigen der Fachleute.

Worum geht es?

Transmenschen fühlen sich nicht dem Geschlecht zugehörig, in das sie geboren wurden. Bei manchen von ihnen entsteht der Wunsch nach einer Veränderung. Manche wählen eine Entfernung der Körperbehaarung, andere eine Hormontherapie, in deren Folge beispielsweise die Brüste wachsen oder die Stimme tiefer wird. Mehr als 3000 Menschen pro Jahr entscheiden sich für eine geschlechtsumwandelnde Operation, bei der beispielsweise ein Penis in eine Vagina umgewandelt wird.

Anders als bei Hormontherapien gibt es für die Operationen sowie die wegen Transsexualismus-Diagnose in Krankenhäusern behandelten Menschen bundesweite Zahlen. Sie zeigen jeweils einen deutlichen Anstieg, wobei in etwa doppelt so viele Diagnosen wie Operationen gezählt werden.

Seit 2005 wurden insgesamt rund 28.000 Operationen gezählt. Wichtig: Die Zahl der Operationen entspricht nicht der Zahl der operierten Personen, da in vielen Fällen mehrere Eingriffe erforderlich sind.

Was steckt hinter der Entwicklung?

Die Entwicklung ist dennoch eindeutig. Wird es zu einer Art Lifestyle-Trend, das Geschlecht per Operation zu wechseln? Nein, sagt Gabriel Nox Koenig vom Bundesverband Trans*: „Dadurch, dass es mehr Sensibilität und Akzeptanz gibt, verstehen mehr Menschen, wer sie sind, warum sie Dysphorie haben. Sie können dann transitionieren, wenn das ist, was sie brauchen, um glücklich zu leben.“ Unter Dysphorie versteht man das fortdauernde Leiden am Auseinanderfallen von biologischem und gefühltem Geschlecht, als Transition bezeichnet man den Übergang in ein anderes Geschlecht.

Eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie spricht von einem exponentiellen Anstieg der Fälle in Deutschland. Parallel dazu haben sich bundesweit regelrechte Zentren für geschlechtsangleichende Operationen herausgebildet, etwa in Berlin, Frankfurt, Hamburg, Mannheim, München und Münster. Aus dem Trend sprächen eine „wachsende soziale Akzeptanz, eine sich verändernde Rechtslage und generell die Akzeptanz von Transgender-Diversität in westlichen Gesellschaften“.

Neben der gestiegenen Zahl von spezialisierten Krankenhäusern sieht Gabriel Nox Koenig von Trans* im Rückgang von Komplikationen bei Hormontherapien und Operationen einen Grund für den Anstieg.

Mediziner wollen über den deutlichen Anstieg geschlechtsangleichender Operationen scheinbar lieber nicht sprechen. Die Unikliniken Ulm, Heidelberg und Freiburg konnten niemand für ein Interview vermitteln. Die Uniklinik Münster, an der es ein „Center for Transgender Health“ gibt, zog ein bereits gegebenes Interview mit einem Psychiater zurück und lehnte ein weiteres Gespräch mit einem Mediziner ab, nachdem eine Vorabeinsicht in die Berichterstattung nicht gewährt wurde. Oftmals würden „die komplexen Sachverhalte von medizinischen Laien nicht 100 Prozent korrekt verstanden und / oder dargestellt“, schreibt die Pressesprecherin Anja Wengenroth zur Recherche unserer Zeitung „in dieser wichtigen Angelegenheit“.

Wie viele Transmenschen lassen sich operieren?

Mangels offizieller Statistiken zur Zahl der Transmenschen in Deutschland kann das niemand sagen. Es werden lediglich einzelne Krankenhausaufenthalte von Menschen mit entsprechender Diagnose sowie einzelne Operationen gezählt. Die Daten zeigen daher nur die Maximalanzahl der Operierten; tatsächlich liegt deren Zahl mit Sicherheit darunter.

Laut einer repräsentativen Umfrage des Robert-Koch-Instituts aus dem Jahr 2019 sind 0,49 Prozent aller Deutschen Transfrauen oder -Männer. Auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet, wären das etwas mehr als 400.000 Menschen. Seit 2005 wurden in deutschen Krankenhäusern rund 52.000 Behandlungen von Menschen im Zusammenhang mit einer Transsexualismus-Diagnose gezählt. Das legt nahe, dass nur ein Bruchteil der Transmenschen sich tatsächlich operieren lässt.

Wer lässt sich operieren?

2005 war die Zahl der Transmänner und -frauen noch gleich. Seither ist der Anteil der Operationen für die Wandlung von Frau zu Mann auf mehr als 60 Prozent gestiegen. Dieser Eindruck könnte allerdings täuschen: der Übergang zum Mann benötigt bis zu fünf Eingriffe, der zur Frau einen oder zwei.

Aus den USA liegen Daten zur Zahl der einzelnen Betroffenen vor. Sie zeigen, dass es mehr Mann-zu-Frau-Übergänge gibt.

Transmänner – als Frauen geborene Menschen, die zum männlichen Geschlecht wechseln – sind bei der Operation im Schnitt deutlich jünger als Transfrauen. Für die USA nennt eine Studie das Durchschnitsalter von etwa 27 Jahren (Transmänner) beziehungsweise 36 Jahren (Transfrauen). Insgesamt sind die Betroffenen heute bei der Operation einige Jahre jünger als noch vor zwanzig Jahren, unabhängig vom Geschlecht.

Laut einer Metastudie aus dem Jahr 2023 bereuen nur wenige Menschen ihre medizinische Transition: knapp zehn Prozent der mit Hormonen Behandelten und bis zu 2,4 Prozent der Operierten. Als häufigster Grund wurde in einer US-Studie von 2021 fehlende Akzeptanz im sozialen Umfeld angegeben.

Wer zahlt für die Behandlung?

Nach einer Transsexualismus-Diagnose durch einen Psychiater oder Psychotherapeuten erstattet die Krankenkasse Transmenschen die Kosten für eine Hormonbehandlung. Erst danach können laut dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen auch die Kosten für geschlechtsumwandelnde Operationen übernommen werden , jedoch nur als „ultima ratio“. Die Kosten betragen laut dem Vergleichsportal Verivox je nach Anzahl der Operationen zwischen 5.000 und 15.000 Euro.

Für gesetzlich Versicherte herrscht seit 2023 trotzdem Unklarheit. Das Bundessozialgericht urteilte damals, eine Geschlechtsanpassung sei eine „neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode“ und damit keine Kassenleistung. Seither herrscht Rechtsunsicherheit.

Derweil erklären große Krankenkassen wie die AOK Baden-Württemberg, dass sie die Kosten weiterhin übernimmt. „Es wird jeweils eine Einzelfallbewertung vorgenommen“, so ein Sprecher. Durch dieses Raster fallen in der Regel nicht-binäre Personen, die sich weder männlich noch weiblich fühlen. Wenn sie diese Geschlechtsidentität per operativer Umwandlung auch ausdrücken wollen, müssen sie dafür wie bisher schon selbst zahlen.

Wie geht es weiter?

Laut dem Gemeinsamen Bundesauschuss aus Ärzten, Kassen und Patienten, der Kassenleistungen festlegt, ist es „derzeit offen, ob die aktuelle Koalitionsregierung eine solche gesetzliche Regelung zeitnah anstrebt.“ Das Bundesgesundheitsministerium erklärt auf Nachfrage, es „prüft aktuell Handlungsnotwendigkeiten und -optionen“ infolge des Urteils von 2023.

Die Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sophie Koch lehnte ein Interview zu der Sache ab und äußerte sich nur schriftlich. In einem schriftlichen Statement erklärt sie, eine Rechtsgrundlage für die Kostenübernahme sei ihr ein „wichtiges Anliegen“, zu dem sie „zahlreiche“ Gespräche führe. Mit welchem Ergebnis, das sei „aktuell leider noch nicht absehbar“. Auch der Bundesverband Trans* äußert sich auf Anfrage nur knapp und fordert Rechtssicherheit für Trans- und nicht-binäre Personen.