Gesundheitsministerin

Warken: „Erst Hausarzt, dann Facharzt“

Gesundheitsministerin Nina Warken will die Finanzierung der Krankenkassen verbessern – und dabei die Versicherten mit in die Pflicht nehmen.

Warken: „Erst Hausarzt, dann Facharzt“

Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) muss vor allem die Kassenfinanzen schnell stabilisieren.

Von Norbert Wallet und Hajo Zenker

Im Gespräch mit unserer Zeitung beschreibt Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) ihre Ziele bei der Finanzierung der Krankenkassen, in der Pflege und bei der Klinikreform. Ihr Appell: Das Problem der versicherungsfremden Leistungen muss bald gelöst werden.

Frau Warken, ihr Staatssekretär Tino Sorge hat für die gesetzliche Krankenversicherung eine Art Modulsystem vorgeschlagen: mit einem Basistarif, der dann mit Zusatzleistungen ergänzt werden kann. Wenn das Geld sparen soll, müsste der Grundtarif weniger Leistungen enthalten als heute. Es wird also teurer für die Versicherten…

Ja, ohne Absenkungen im Basisbereich gäbe es wohl keine Einsparung. Aber ich sage ganz deutlich: Das ist nicht mein Vorschlag. Das ist kein Konzept, das derzeit in unserem Haus erarbeitet wird. Wir haben ja gerade die „Finanzkommission Gesundheit“ eingesetzt, die uns Vorschläge zur mittel- und langfristigen Sicherung der Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung erarbeiten soll.

Oder wollten Sie in Hinblick auf größere Eigenleistungen der Versicherten erst einmal das Terrain sondieren lassen?

Wenn Sie damit meinen, dass das in irgendeiner Form ein geplanter Vorstoß war: Das kann ich nicht bestätigen. Insgesamt würde ich mir dennoch eine unaufgeregtere Debatte wünschen. Das gilt auch für unkonventionelle Vorschläge. Dass sich das System aus sich heraus und ohne Veränderungen heilt und alles gleich bleibt – das wird nicht funktionieren. Eine ehrliche Debatte gehört dazu.

Das heißt im Klartext: Für die Versicherten geht die Reise in Richtung mehr Eigenleistung, mehr Eigenbeteiligung.

Vor allem in Richtung mehr Eigenverantwortung. Unser Ziel ist es, unnötige Arztkontakte zu reduzieren. Wir wollen für eine bessere Steuerung der Patientenströme etwa ein Primärarztsystem etablieren. Auch die Einbeziehung der Beratungsleistungen der Apotheken kann unnötige Arztkontakte schon im Vorfeld vermeiden.

Eigenverantwortung ist stets die Politikerumschreibung höherer Kosten für den Einzelnen…

Es geht nicht nur um Kosten, sondern auch um Effizienz und um die bewusstere Gestaltung eines gesunden Lebensstils, um genug Bewegung, gute Ernährung, eine regelmäßige Wahrnehmung von Vorsorgeuntersuchungen. Aber auch um eine sinnvolle Planung von Arztbesuchen nach dem Prinzip: erst Hausarzt, dann Facharzt. Ziel ist die Effizienzsteigerung bei gleichzeitig hohem Versorgungsniveau.

Was ist die genaue Aufgabe der Experten-Kommission für die Reform?

Sie soll die Einnahmen- und Ausgabensituation auch in langfristiger Perspektive auf den Prüfstand stellen und Vorschläge erarbeiten, wo Reformen ansetzen können. Sie soll auch darauf blicken, wo das Gesundheitssystem zu ineffizient arbeitet. Wo und wie können wir das Geld besser einsetzen, um zu stabilen Finanzen zu kommen? Warum und in welchen Feldern steigen die Leistungsausgaben? Das sind die Grundfragen.

Die Vorschläge der Kommission kämen aber zu spät, um schon für 2026 Wirkung zu entfalten. Wie soll eine neue Welle an Beitragserhöhungen vermieden werden?

Wir wollen diese Entwicklung zu immer höheren Beiträgen stoppen. Die Kommission soll auch kurzfristig wirkende Maßnahmen in den Blick nehmen, die wir schon ab dem Frühjahr 2026 umsetzen können. Natürlich gibt es ein ungelöstes Problem: Jede Reformanstrengung muss über die Lücke hinwegwirken, die durch die versicherungsfremden Leistungen entsteht, die aus den Beitragsmitteln finanziert werden. Da brauchen wir eine ehrliche Debatte. Ganz kurzfristig setze ich zur Stabilisierung der Beiträge im nächsten Jahr auch auf Unterstützung aus dem Bundeshaushalt.

Sie wollen aber die versicherungsfremden Leistungen möglichst schnell aus dem Kassensystem hinausbringen…

Über diesen Punkt müssen wir reden. Auch die Kommission wird sich sicher dieses Themas annehmen. Aber ich sage nicht, dass hier schnelle Lösungen aus dem Hut zu zaubern sind. Die angespannte Haushaltslage ist allen bewusst.

Statt auf mehr Eigenleistungen der Versicherten zu setzen, gäbe es ja auch die Möglichkeit, die Einnahmen zu erweitern – etwa durch die deutliche Erhöhung oder Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze.

Momentan wird durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die standardmäßige jährliche Anpassung vorbereitet, was folgerichtig ist. Jede weitere Erhöhung bedeutet doch auch eine zusätzliche Belastung der Bürger. Dieses Thema wird sicherlich auch diskutiert werden, ist jedoch bestimmt kein Allheilmittel.

Halten Sie eigentlich die Trennung der Kassenwelt in Private und Gesetzliche für langfristig noch tragbar?

An diesem System halte ich fest. Da sollten keine Neiddebatte geführt und die Systeme nicht gegeneinander ausgespielt werden. Der Mix aus Kassen- und Privatpatienten wirkt sich zum Beispiel stabilisierend auf die Einkommen von Arztpraxen, etwa im ländlichen Raum, aus. Auch damit wird ein Beitrag zur flächendeckenden Versorgung geleistet.

Auch für die Pflege gibt es eine Kommission. Die Eigenbeiträge bei der Heimpflege steigen ungebremst. Wie wollen Sie diesen Trend brechen?

Eines möchte ich klar sagen: Vorstellungen eines Ausbaus der Pflegeversicherung zu einer Vollversicherung schließe ich mich nicht an. Die Arbeitsgruppe zur Reform der Pflege legt ja schon zum Jahresende ein Eckpunktepapier vor.

Die SPD würde gerne die Eigenanteile für die reinen Pflegekosten im Heim deckeln. Was halten Sie davon?

Das Thema wird in der Kommission diskutiert. Auf das Ergebnis bin ich sehr gespannt. Ich bin offen für die Idee, wenn sie umsetzbar ist.

Wann werden der Pflegekasse denn die Pandemie-Ausgaben ersetzt?

Die Mittel fehlen zur Stabilisierung der Kassenfinanzen. Aber die Möglichkeiten im Haushalt sind begrenzt. Dennoch wäre es gut, wenn hier eine Lösung gefunden wird.

Sie wollen die Klinikreform Ihres Vorgängers überarbeiten und sind dabei den Wünschen der Länder weit entgegengekommen, so weit, dass nicht nur die Krankenkassen, sondern auch der Koalitionspartner SPD Kritik üben.

Die Reform ist notwendig, aber Änderungen sind es auch. Das ist im Koalitionsvertrag vereinbart. Die Reform soll vor Ort besser umsetzbar sein. Wir geben den Ländern deshalb mehr Zeit, ermöglichen mehr Kooperationen, lassen etwas mehr Raum, um Qualitätsstandards einhalten zu können. Wir hatten dafür einen ambitionierten Zeitplan, den wir nicht ganz einhalten konnten. Aber möglichst zeitnah wird sich das Kabinett mit dem Thema befassen. Übrigens gibt es noch immer viele Bundesländer, die unzufrieden sind und sich weitere Anpassungen wünschen. Insofern glaube ich nicht, dass wir den Ländern zu stark entgegengekommen sind. Ein Miteinander ist nötig, anders bekommt man die Reform nicht gestemmt.

Nehmen Sie damit nicht Reformdruck weg?

Ich war viel in Deutschland unterwegs und habe gesehen: Es gibt in vielen Ländern schon viele strukturelle Veränderungen, Zusammenlegungen, Schließungen, Neubauten. Der Druck zu Veränderungen ist ja da. Und das Ziel ist, durch Spezialisierung mehr Qualität zu ermöglichen, aber auch Personal sinnvoller einzusetzen. Gleichzeitig aber eine gute Grundversorgung in der Fläche zu ermöglichen. Auf längere Sicht kann das auch finanzielle Effekte haben. Aber das Gesetz ist kein Spargesetz.

Die Kliniken bekommen von Ihnen ja vier Milliarden Euro als nachträglichen Inflationsausgleich. Und zwar alle Kliniken, unabhängig davon, wie lange sie noch existieren werden, Gießkannenprinzip also. Ist das sinnvoll?

Wir haben eine Lösung gesucht, die schnell und unbürokratisch umsetzbar ist und unterstützen damit den begonnenen Transformationsprozess der Krankenhäuser. Das Ziel wurde erreicht.

Was wird denn nun eigentlich aus dem Klinik-Atlas? Der sollte den Patienten zeigen, wo es gute Heilungschancen gibt, stand aber häufig in der Kritik. Zuletzt hieß es, er werde eingestellt.

Ich stelle mir die Frage, ob es sinnvoll ist, Doppelstrukturen aufrecht zu erhalten. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat ja ein ähnliches Angebot, andere Anbieter ebenfalls. Und ist solch eine Aufgabe tatsächlich die eines Ministeriums? Wir haben zudem einen Kostenfaktor und gleichzeitig eine eher geringe Inanspruchnahme. Gleichwohl ist es richtig, eine neutrale Informationsquelle anzubieten. Der Klinik-Atlas befindet sich nicht in der Abwicklung, wie dieser Tage getitelt wurde, aber wir müssen ihn überdenken. Ob man ihn mit anderen Angeboten zusammenlegt oder vielleicht jemand anderem überträgt, muss sich noch zeigen.

Der baden-württembergische Sozialminister Manfred Lucha hat in einem Interview scharfe Attacken gegen den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) geritten. Er will ihn am liebsten ganz abschaffen und durch politische Gesetzgebung ersetzen. Teilen Sie seine Kritik?

Der G-BA als höchstes Gremium der Selbstverwaltung ist für viele Dinge zuständig, die nicht vom Gesetzgeber geregelt werden sollten. Ich halte die derzeitige Aufgabenverteilung zwischen Politik und Selbstverwaltung im Prinzip für richtig. Da bin ich inhaltlich schon ein Stück entfernt von der Haltung meines baden-württembergischen Amtskollegen – mit dem ich mir in anderen Punkten aber auch durchaus einig bin.

Brauchen die Patientenvertreter im G-BA künftig ein eigenes Stimmrecht?

Eine immer größere Öffnung macht das Gremium nicht unbedingt handlungsfähiger. Ich halte es derzeit für gut austariert. Die Mitberatung ist gewährleistet.