Ein Thriller des SWR geht der Frage nach, warum die Polizistin im April 2007 in Heilbronn von Rechtsterroristen erschossen wurde – mit großer Nähe der Fiktion zur Realität.
Rebecca Henselmann, dargestellt von Magdalena Laubisch, heißt im SWR-Thriller „Die Nichte des Polizisten“ die 2007 in Heilbronn ermordete Polizistin Michèle Kiesewetter.
Von Franz Feyder
Die Pistolen halten sie in ihren Rechten nahe ihrer Oberschenkel, ihr Schritt ist zielstrebig. Von hinten gehen die beiden Mörder an den Streifenwagen, in dem eine Polizistin und ihr Kollege gerade eine Pause machen, um ihre Vesper zu essen. Die Seitenfenster sind geöffnet, um die Frühlingsluft in das Auto zu lassen. Der trockene Knall zweier Schüsse – Polizeihauptmeisterin Rebecca Henselmann ist tot, ihr Streifenkollege schwer verletzt.
„Die Geschichte ist fiktional – aber nicht nur: Auch das Mögliche, Verlorene und Vergessene wird erzählt“, schreibt der Südwestrundfunk (SWR) nach dieser Anfangsszene des Films „Die Nichte des Polizisten“, den das Erste an diesem Mittwoch um 20.15 Uhr ausstrahlt.
Viele werden nach den ersten 87 Sekunden des Films die Parallele ziehen, die dessen Macher beabsichtigen: Sie werden sich der Ermordung der 22 Jahre alten Polizistin Michèle Kiesewetter am 25. April 2007 in Heilbronn erinnern, an ihren Kollegen Martin A., der den Anschlag schwerst verletzt überlebte. An die Blutspur, die Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe mit der Rechtsterrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) zwischen 2000 und 2007 durch Deutschland zogen. Eine Spur, die mit dem Polizistenmord auf der Heilbronner Theresienwiese endete.
„Während der Tathergang und das Motiv der Terroranschläge des NSU, die neun Männern mit Migrationshintergrund das Leben kosteten, weitgehend aufgeklärt sind, wirft der Heilbronner Anschlag unverändert eine Vielzahl von Fragen auf, die für mich bis heute unbeantwortet sind“, sagt Yavuz Narin. Der Opferanwalt fiel im Prozess gegen die überlebende NSU-Angehörige Beate Zschäpe und ihre Unterstützer durch seine Aktenkenntnis auf, mit der er sich den Respekt selbst der Richter des Münchener Oberlandesgerichts und der Bundesanwälte erarbeitete.
Intensiv mit dem pädophilen Neonazi Tino Brandt beschäftigt
Auch zu Kiesewetters Patenonkel Mike W.. Der war selbst Polizist in Thüringen, wo Kiesewetter aufwuchs. Sie war eng befreundet mit der Tochter ihres Onkels: Freundin eines rechtsradikalen Drogendealers, die selbst Drogen einwarf. W. war, so ergibt sich aus den Ermittlungsakten, die unserer Redaktion vollständig vorliegen, immer wieder intensiv mit der rechtsradikalen sowie Drogenszene und dem pädophilen Neonazi und NSU-Förderer Tino Brandt befasst.
„Unmittelbar nach dem Tod Kiesewetters macht Mike W. in seiner Vernehmung drei Angaben, die zunächst merkwürdig anmuten“, sagt Narin. „Erstens: Er verweist auf den möglichen Zusammenhang zwischen dem Mord seiner Patentochter in Heilbronn und der Mordserie des NSU, er verwendet den damals gebräuchlichen Begriff ‚Türkenmorde’. Er gibt zweitens an, dass dabei Fahrräder eine wichtige Rolle spielten, mit denen die Mörder entkamen. Und drittens weist er auf einen Zusammenhang mit der russisch-georgischen Mafia hin.“
2007 verdächtigt Kiesewetter’s Onkel den NSU
Unklar ist, wie Mike W. auf die Fahrräder kommt. Denn: Beim Mord in Heilbronn spielten Fahrräder keine Rolle, in den anderen Fällen keine gesicherte. Die gesamte Aussage Mike W.s weist darauf hin: Er scheint den Ermittlern Hinweise auf den NSU geben zu wollen – bereits 2007, vier Jahre bevor die Gruppe aufflog. Möglicherweise, weil er sich von Rechtsradikalen und Kriminellen bedroht sah.
Inzwischen ist bekannt, dass Zschäpe Kontakte in Kiesewetters Heimatort Oberweißbach hatte – insbesondere zur rechtsextremen Szene um die Gaststätten Bergbahn und Schwedenschanze – die beide im Film dargestellt werden. Die Bergbahn wurde auch von Kiesewetter besucht. Mutmaßlich auch von Böhnhardt. Kiesewetters Umfeld wurde von Ermittlern unverständlicherweise nicht unter die Lupe genommen. Das aber tut der SWR-Thriller – an manchen Stellen dramaturgisch zugespitzt, jedoch immer durch die Ermittlungsakten gedeckt.
Mehr Täter auf der Heilbronner Theresienwiese
Roland S., inzwischen verstorbener Neonazi und Krimineller, unterhielt enge Kontakte zur Organisierten Kriminalität in Baden-Württemberg und Thüringen. Er kannte Böhnhardt und Mundlos. An S.s Seite oft Erika P., Ex-Freundin Mundlos’, die lange aus dem Südwesten Konzerte rechtsextremistischer Rockbands organisierte. Heute lebt sie in der Schweiz. Der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete und Polizeiführer Clemens Binninger glaubte nie an den im Gericht präsentierten Tatablauf und das -motiv des Heilbronner Anschlags: Die Tat „ist in vieler Weise unerklärlich, sie passt nicht zu den anderen Morden“. Nach seiner Einschätzung gab es in Heilbronn außer Mundlos und Böhnhardt mindestens vier weitere Täter.
Gedeckt durch die Ermittlungsakten sind auch die rechtsextremen Umtriebe einiger Beamter in Kiesewetters Böblinger Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) 523, die in dem Film eine Rolle spielen. Kein Wunder, dass erfolglos versucht wurde, politisch Einfluss auf den Film zu nehmen. „Der Film sollte für die Strafverfolgungsbehörden Anlass genug sein, die Ermittlungen zum Mordanschlag auf Michele Kiesewetter und Martin A. wieder aufzunehmen“, sagt Walter Martinek, Stuttgarter Anwalt des in Heilbronn schwer verletzten Streifenpartners Kiesewetters.