Es ist kein Zufall, dass eine Gruppe von Wissenschaftlern beim Nobelpreis besonders häufig leer ausgegangen ist: die Theoretiker. Selbst wenn ihre Erkenntnisse noch so bahnbrechend und fundamental waren – in der Regel reichte das allein nicht.
Ohne seine Theorien ist die moderne Astrophysik nicht vorstellbar. Und doch hatte Stephen Hawking nie einen Nobelpreis für Physik erhalten.
Von Markus Brauer
Stephen Hawking (1942-2018) hatte ein Faible für das Fantastische. Ideen, die andere für wirre Science-Fiction-Fantastereien halten, waren für ihn nur ein zwangsläufiger Schritt in der Entdeckungsgeschichte der Wissenschaft.
Der Grenzüberschreiter
Der im Jahr 2018 verstorbene britische Astrophysiker, Mathematiker und Kosmologe war allerdings kein Fantast, sondern ein Visionär. Er dachte weit über die Grenzen des Denkbaren hinaus. Sein eigentliches Metier war die Meta-Physik – also all das, was das Erkennbare, Denkbare und Nachprüfbare unendlich transzendiert (überschreitet).
Stephen Hawking war kein Grenzgänger, sondern ein genialer Grenzen-Überschreiter, der die Grenzen des menschlichen Verstandes weit hinter sich ließ.
Grenzen sind dazu da, sie zu überschreiten und nicht in Ehrfurcht vor ihnen zu erstarren. Es kommt nicht darauf an, bis an die Grenzen des Möglichen zu gehen, sondern in das Unbekannte des Unmöglichen aufzubrechen. Christoph Columbus tat es, Fernando de Magallan und James Cook ebenso. Und Stephen Hawking.
Warum Einstein keinen Nobelpreis für seine Relativitätstheorie bekam
Was er vor Jahrzehnte schon dachte und theoretisch für möglich hielt, hat sich in der Wissenschaftspraxis oft als korrekt herausgestellt. Immer wieder haben sich Hawkings Visionen als real erwiesen. Und doch hat der theoretische Physiker, der zweifelsohne ein Genie war, ie den Nobelpreis erhalten. Warum eigentlich nicht?
Sogar Albert Einstein (1879-1955), der als Jahrtausend-Genie gilt, bekam nie einen Nobelpreis für seine Relativitätstheorie. Stattdessen erhielt er im Jahr 1921 die Auszeichnung für seine Entdeckung und Beschreibung des photoelektrischen Effekts – die Interaktion von Licht mit Materie.
Hawkings Ideen werden die Zeiten überstehen
Der 2018 gestorbene britische Wissenschaftler gilt als einer der herausragenden Kosmologen und Physiker der jüngsten Zeit. Neben bedeutenden Überlegungen zur quantenphysikalischen Basis des Urknalls und der kosmischen Inflation verdankt die Wissenschaftswelt ihm entscheidende Einblicke in das Verhalten und Wesen Schwarzer Löcher.
Hawking postulierte unter anderem, dass auch Schwarze Löcher eine Art Strahlung aussenden. Diese Hawking-Strahlung entsteht, weil Quantenfluktuationen ständig Paare aus virtuellen Teilchen und Antiteilchen erzeugen. Diese löschen sich im All normalerweise aus, wenn aber einer dieser Partner hinter dem Ereignishorizont liegt, wird das außen liegende Teilchen angestrahlt.
Hawkings Theorie zufolge kann diese Strahlung sogar dazu führten, dass sehr kleine Schwarze Löcher mit der Zeit schrumpfen und sich komplett in Strahlung auflösen.
Hawkings Theorien haben den Realitätscheck bestanden
Im Jahr 1971 stellte Stephen Hawking eine seiner genialen Theorien auf. Demnach wird die vom Ereignishorizont umschlossene Fläche bei einer Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher nur größer, aber niemals kleiner werden kann.
Als Ereignishorizont (englisch: event horizon) bezeichnen Physiker die Grenze um ein Schwarzes Loch, hinter die sich nicht blicken lässt, weil aus dem Bereich dahinter nichts, nicht einmal Licht, entkommen kann.
Dieses sogenannte Flächentheorem Hawkings besagt zweierlei: Die Oberfläche eines Schwarzen Lochs kann niemals schrumpfen. Und: Wenn zwei Schwarze Löcher miteinander verschmelzen, werden ihre Massen und damit auch die Fläche ihres gemeinsamen Ereignishorizonts größer.
Mit dem Tod enden alle Nobelpreis-Chancen
Obwohl Hawkings Erkenntnisse heute fester Teil des kosmologischen und astrophysikalischen Weltbilds sind, hat auch er keinen Nobelpreis bekommen. Zwar haben Forscher kürzlich die Hawking-Strahlung indirekt nachgewiesen, dennoch fehlt für viele seiner Theorien der astronomische oder experimentelle Beweis. Mit seinem Tod hat Hawking endgültig alle Chancen auf den Preis verloren.
Ein ähnliches Schicksal teilten übrigens weitere Pioniere der theoretischen Physik wie – man glaubt es kaum – der französische Physiker Henri Poincaré (1854-1912) und der indische Physiker Satyendra Nath Bose (1894-1974), nach dem heute die Bosonen bekannt sind. Auch der deutsche Mathematiker und Physiker Arnold Sommerfeld (1868-1951), einer der Väter der Quantentheorie, gibt zeitlebens leer aus. Er wurde 74 Mal (!) nominiert, bekam den höchsten Wissenschaftspreis aber nie.