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Was Knaus-Ogino und „Pillen Paule“ mit Sex und Verhütung zu tun haben

Kondom, Pille, Spirale: Das sind die Verhütungsmethoden, die den meisten Menschen ohne großes Nachdenken einfallen. Doch es gibt noch andere Möglichkeiten – wie die von Knaus-Ogino.

Was Knaus-Ogino und „Pillen Paule“ mit Sex und Verhütung zu tun haben

Verschiedene Methoden, ein Ziel: Unter Empfängnisverhütung versteht man die Verhinderung eines Eisprungs, der Befruchtung einer Eizelle durch eine Samenzelle sowie der Einnistung einer befruchteten Eizelle in die Gebärmutterschleimhaut.

Von Markus Brauer/KNA

Am 17. Juli 1929 veröffentlicht die in Österreich erscheinende Zeitung „Abend“ einen Artikel über Empfängnisverhütung, der für großes Aufsehen sorgt. Ein Leserbriefschreiber äußert sich begeistert darüber, dass er mit einer „bestimmten Methode“ sehr gute Erfahrungen gemacht habe.

Erst wenige Tage zuvor hatte der Grazer Gynäkologe Hermann Knaus (1892-1970) seine Forschungsergebnisse über die fruchtbaren und die unfruchtbaren Tage der Frau vorgestellt. Unter Berücksichtigung der Lebensdauer von Ei- und Samenzelle sowie durch genaue Aufzeichnungen des individuellen Zyklus der Frau entwickelte Knaus eine Methode zur Empfängnisverhütung.

Unabhängig davon verfolgte der japanische Arzt Kyusaku Ogino (1882-1975) zur selben Zeit einen ganz ähnlichen Ansatz, den er zunächst in japanischen Fachmagazinen veröffentlichte, mit dem Ziel, die Empfängnischancen bei einem Kinderwunsch zu erhöhen.

Was ist das perfekte Verhütungsmittel?

Es wäre hundertprozentig sicher, verträglich, preiswert, einfach in der Handhabung, hätte keine Auswirkung auf die Fruchtbarkeit, würde beim Sex nicht stören und könnte von allen Menschen verwendet werden. Und: Es müsste erst noch erfunden werden. Stattdessen gibt es eine Vielzahl von Verhütungsmethoden, die mehr oder weniger gut zur jeweiligen Lebenssituation, dem eigenen Körper oder persönlichen Bedürfnissen passen.

Wie zuverlässig und wirksam eine Verhütungsmethode beim Vermeiden unerwünschter Schwangerschaften ist, verrät der Pearl-Index. Auch die Wahrscheinlichkeit von Anwendungsfehlern spielt dabei eine Rolle. Benannt ist diese Bewertungsskala nach dem US-Biologen Raymond Pearl (1879–1940).

Knaus-Ogino und Pearl Index

Der Pearl-Index gibt an, wie hoch der Anteil sexuell aktiver Frauen ist, die trotz Verwendung einer bestimmten Verhütungsmethode innerhalb eines Jahres schwanger werden. Je niedriger der Index ist, desto sicherer ist die Methode. Bei richtiger Anwendung bieten die meisten Verhütungsmittel eine Sicherheit von über 90 Prozent.

Das gilt nicht für die Knaus-Ogino-Verhütungsmethode. Bei dieser Kalendermethode liegt der Index bei 5 bis 9. Hinsichtlich der Empfängnis eines erwünschten Kindes ist sie dennoch immer noch Teil der Basisempfehlungen für Paare.

Ogino, der diese Rhythmus-Methode zur Maximierung der Empfängnischancen bei Kinderwunsch als erster entwickelte, wandte sich wegen der zu geringen Zuverlässigkeit des Verfahrens ausdrücklich gegen einen Gebrauch zur Empfängnisverhütung.

Erst war Ogino, dann Knaus

Ein Ziel, zwei Wege: Kyūsaku Ogino benützte die Gelegenheit, die Eierstöcke im Rahmen gynäkologischer Operationen zu inspizieren. Hermann Knaus erkannte die Gesetzmäßigkeiten durch physiologische Experimente.

Tatsächlich war es Ogino im Jahre 1927, der seine Methode als erster publizierte, jedoch anfangs nur auf Japanisch. Seine Entdeckungen waren daher damals in Europa und Amerika nicht bekannt. Knaus stellte seine Ergebnisse zum ersten Mal beim Gynäkologenkongress am 12. Juli 1928 in Leipzig vor.

Die Erkenntnisse der beiden Gynäkologen wurden rasch bekannt und verbreiteten sich. Angesichts der damals begrenzten Verhütungsmittel erlangte die Methode eine recht große Beliebtheit, obwohl ihre Zuverlässigkeit im Vergleich zu modernen Verhütungsmethoden als relativ niedrig angesehen werden muss.

Papst Pius XII. und das „Vatikanische Roulette“

Die Verhütung nach Knaus-Ogino wurde später im Volksmund auch als „Vatikanisches Roulette“ bekannt. Ende Oktober 1951 hielt Papst Pius XII. (1876-1958) zwei bedeutende Ansprachen, eine davon an den italienischen Hebammenverband, in denen er die traditionelle Lehre zu Ehe und Sexualität, Verhütung und Abtreibung noch einmal mit aller Deutlichkeit bestätigte.

Allerdings eröffnete er den Katholiken ein „Schlupfloch“: Der Pontifex erlaubte, dass „die Einhaltung der unfruchtbaren Zeiten“ bei einer gewissen „medizinischen, eugenischen, wirtschaftlichen und sozialen ‚Indikation’“ sittlich erlaubt sei. So ist es bis auf den heutigen Tag: Moralisch erlaubt für Katholiken nur natürliche Methoden der Verhütung wie die Temperatur- oder Zyklusmethode.

Was dachte man damals über die päpstliche Morallehre?

Wie wurden diese päpstliche Reden in Deutschland aufgenommen? Der US-Historiker Michel E. O’Sullivan, Professor an der Ordensuniversität der Maristen in North Carolina-Chapel Hill, hat sich auf Spurensuche begeben. Er beschreibt die Zeit der späten 1940er und frühen 1950er Jahre als eine Zeit der Auflösung traditioneller Familienstrukturen. Katholische Frauen und Männer zeigten sich offen gegenüber Sex vor der Ehe, Verhütungsmitteln und unorthodoxen Familienverbindungen.

Das rief vor allem den Volkswartbund (VWB) auf den Plan, einen katholischen Verein mit Sitz in Köln, der sich dem Kampf gegen Verstöße der öffentlichen Sittlichkeit verpflichtet sah und enge Beziehungen zum damaligen Kölner Erzbischof, Kardinal Josef Frings (1887-1978), unterhielt. Zwar gehörten ihm zahlenmäßig wenige Mitglieder an, aber er hatte dafür überdurchschnittlich großen Einfluss.

Katholische Geistliche rieten zu Knaus-Ogino

Der Volkswartbund hatte sich schon vor der Ansprache des Papstes im Herbst 1951 massiv bei Kardinal Frings beschwert, dass die Knaus-Ogino-Methode in katholischen Kreisen gebräuchlich wäre. Und nicht nur das: Es würden sogar Kalender verkauft und Gläubige besprächen diese Methode mit ihren Priestern.

O’Sullivan sieht darin einen Hinweis, dass in katholischen Kreisen ein Bedürfnis bestand, wenigstens diese Form der Familienplanung zu praktizieren. Und dass das bei Geistlichen bereits durchaus auf Entgegenkommen traf – vorausgesetzt, es wurde nicht öffentlich darüber gesprochen.

Die Rede von Pius XII. vor dem Hebammenverband wurde übersetzt in Pfarrbriefen und in der kirchlichen Zeitschrift „Herder-Korrespondenz“ abgedruckt. Tatsächlich, so O’Sullivan, wurden danach in Köln und anderen großen Städten Fieberthermometer und entsprechende Kalender für den Gebrauch dieser Verhütungsmethode unter Katholiken beworben.

Natürliche Familienplanung und symptothermale Methode

O’Sullivan zufolge hätten die beiden Ansprachen des Papstes von 1951 mit ihrem Zugeständnis in Sachen Familienplanung nicht den gesellschaftlichen Druck vom Vatikan genommen, grundsätzlich seine Haltung zur Verhütung zu ändern.

Doch in der Kirchenzentrale blieb man unbeirrt: Bis heute entspricht allein die Praxis der Natürlichen Familienplanung (NFP) – auf Grundlage der symptothermalen Methode – der Lehre der katholischen Kirche, die in Sachen Sexualität eindeutig ist: Künstliche Verhütung ist verboten, die NFP ist erlaubt.

Zur Info: Die symtothermale Methode wurde 1960 von dem österreichischen Allgemeinmediziners Josef Rötzer (1920-2010) entwickelt, weshalb sie auch unter der Bezeichnung Rötzer-Methode bekannt ist. Ähnlich wie die Billings-Methode des australischen Neurologen John Billings (1918–2007) hilft sie, fruchtbare und unfruchtbare Tage im Verlauf eines Zyklus zu erkennen, indem mehrere Körperzeichen beobachtet beziehungsweise gemessen werden.

Kirche: Sex dient der Zeugung von Nachkommen

Nur wer die Natürliche Methode bei der Familienplanung anwendet, handelt entsprechend der kirchlichen Morallehre. Demnach sind Ehe und eheliche Liebe „in ihrem Wesen nach auf die Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft ausgerichtet“, heißt es in der Enzyklika „Humanae Vitae“ von Papst Paul VI. (1897-1978).

Wer mit Pille oder Kondom verhütet, widersetzt sich explizite dieser Aussage. „Ebenso ist jede Handlung verwerflich, die entweder in Voraussicht oder während des Vollzugs des ehelichen Aktes oder im Anschluss an ihn beim Ablauf seiner natürlichen Auswirkungen darauf abstellt, die Fortpflanzung zu verhindern, sei es als Ziel, sei als Mittel zum Ziel“, heißt es in dem päpstlichen Lehrschreiben weiter. Stattdessen gilt allein die „erlaubte Inanspruchnahme unfruchtbarer Perioden“.

Papst Franziskus: „Nicht wie die Karnickel vermehren“

Genau auf diesen Satz spielte auch Papst Franziskus (1936-2025) an, als er bei einer seiner „fliegenden“ Pressekonferenzen im Jahr 2015 im Anschluss an seine Asienreise mahnte: Katholisch zu sein bedeute nicht, sich unkontrolliert fortzupflanzen. „Manche Menschen glauben – entschuldigen Sie den Ausdruck –, dass sich gute Katholiken wie Karnickel vermehren müssen.“

Franziskus plädierte vielmehr für eine „verantwortete Elternschaft“. Damit erlaubte er nicht etwa künstliche Verhütung, wie mancher Zeitgenosse zu hören glaubte, sondern führte vielmehr das fort, was schon Paul VI. in „Humanae Vitae“ festgeschrieben hatte.

Info: Katholische Kirche und Verhütung

Liebe und Laster Das „Corpus Delicti“ ist eine unscheinbare kleine Pille und eine dünne Latexhülle. Für die Katholische Kirche sind Antibabypille und Kondom verdammenswerte Lustinstrumente. Dass „jeder eheliche Akt von sich aus auf die Erzeugung menschlichen Lebens ausgerichtet bleiben“ müsse, steht für die Glaubenshüter im Vatikan so fest wie das Amen in der Kirche. Wenn aber Pille und Kondom ins Spiel kommen, wird Liebe zum Laster und Sex zur Sünde. „Es dürfte kaum einen Bereich menschlichen Handelns geben, mit dem sich kirchliches Amt, Theologie und Gläubige so schwertun wie mit der Sexualität“, urteilt der katholische Moraltheologe Konrad Hilpert.

Kirche und Verhütungsmittel In das bunte Treiben der Studenten-Kommunen und Hippie-Zirkeln mit ihrem „Make love, not war“-Slogan schlug am 25. Juli 1968 das päpstliche Donnerwetter ein. Mit „Humanae Vitae“ versuchte Papst Paul VI. einen Damm gegen jede Form künstlicher Empfängnisverhütung zu errichten. Nach der in der Enzyklika zementierten kirchlichen Sexuallehre ist jede Handlung verwerflich, welche die Fortpflanzung vor, während und nach dem ehelichen Akt verhindert. Lediglich die Enthaltsamkeit während der fruchtbaren Tage der Frau ist erlaubt, weil „die Eheleute von einer naturgegebenen Möglichkeit rechtmäßig Gebrauch“ machen.

„Pillen-Enzyklika“ Die „Pillen-Enzyklika“ von Paul VI („Pillen Paule“) führte zur tiefen Kluft zwischen Amtskirche und Gläubigen, die bis heute nicht überwunden ist. Die Distanz zur kirchlichen Sexualethik sei seitdem ständig gewachsen, stellte der Moraltheologe Eberhard Schockenhoff (1953-2020) einmal fest. Was die Kirche endlich brauche, sei ein angstfreier Blick auf Sexualität, mahnt die Reformbewegung „Wir sind Kirche“. Sie dürfe sich nicht länger „hinter jahrhundertealten Mauern verbarrikadieren“. Doch auf eine moderne Sexualmoral, welche die Fragen und Nöte der Menschen und die globalen Herausforderungen ernst nimmt, wartet man trotz Weltbischofssynode und Reformpapstes vergebens.