Gymnasiallehrerin Tanja Freiesleben unterrichtet in Großaspach Grundschüler – Programm gegen den Lehrermangel

An baden-württembergischen Grundschulen herrscht akuter Lehrermangel, gleichzeitig warten viele studierte Gymnasiallehrer vergeblich auf eine Anstellung. Das Kultusministerium hat deshalb ein Programm gestartet, das jungen Pädagogen einen Wechsel der Schulart ermöglicht. Tanja Freiesleben hat die Chance genutzt und unterrichtet seit diesem Schuljahr an der Conrad-Weiser-Schule in Großaspach.

Statt Spanisch und Französisch am Gymnasium unterrichtet Tanja Freiesleben jetzt Deutsch in der Klasse 2a der Conrad-Weiser-Schule. Foto: J. Fiedler

Von Kornelius Fritz

ASPACH. Wenn Tanja Freiesleben im Unterricht etwas Wichtiges erklären will, dann hat sie früher zu ihren Schülern gesagt: „Schreibt das bitte mit.“ Heute sagt sie: „Holt bitte das große, rote Heft aus dem Ranzen und nehmt euren Füller aus dem Mäppchen.“ Denn sie hat festgestellt: Grundschüler brauchen genaue Anweisungen, sonst droht Chaos. Das Beispiel zeigt: Es ist ein großer Unterschied, ob man 14-Jährige unterrichtet oder 7-Jährige: „Man muss hier vieles beachten, woran ich am Gymnasium keinen Gedanken verschwendet habe.“

Neu war für sie auch, dass sie am Montagmorgen nicht einfach mit dem Unterricht beginnen kann, sondern die Kinder erst einmal von ihren Erlebnissen am Wochenende erzählen wollen. Doch nach einem halben Jahr findet sich die 27-Jährige in ihrer neuen Rolle immer besser zurecht, auch dank der Hilfe ihrer Lehrerkolleginnen: „Ich habe das große Glück, dass ich an eine Schule gekommen bin, die mich sehr unterstützt.“

Rektorin Heidi Ahlers war zunächst skeptisch

Dass sie Lehrerin werden will, stand für Tanja Freiesleben früh fest: „Das war mir schon in der neunten Klasse klar“, erinnert sich die 27-Jährige, die in Murrhardt aufgewachsen ist. Genauso klar war ihr auch, dass sie an ein Gymnasium möchte, denn sie liebt Sprachen. Schon während ihrer Schulzeit am Heinrich-von-Zügel-Gymnasium ging Tanja Freiesleben für drei Monate nach Argentinien, später studierte sie Französisch und Spanisch und machte ihr Referendariat am Lessing-Gymnasium in Winnenden. Über die Berufsaussichten machte sie sich damals noch wenig Gedanken: „Der Ernst der Lage war mir nicht so klar“, gibt sie zu. Erst als das Referendariat im vergangenen Sommer zu Ende ging, stellte sie fest, dass es mit ihrer Fächerkombination schwierig wird. „Es gab vielleicht fünf freie Stellen in ganz Baden-Württemberg.“ Vor allem Spanischlehrer werden kaum gebraucht, weil nur wenige Gymnasien Spanisch anbieten.

Als feststand, dass es für sie am Gymnasium nicht weitergeht, war guter Rat teuer. An eine Privatschule gehen? Sich mit einer Teilzeitstelle als Krankheitsvertretung durchschlagen? Oder in ein ganz anderes Berufsfeld wechseln? Da entdeckte Tanja Freiesleben auf der Homepage des Kultusministeriums ein neues Programm: Gymnasiallehrer unterrichten an Grundschulen und werden berufsbegleitend qualifiziert. Nach einem Jahr bekommen sie dann offiziell die Laufbahnbefähigung für das Grundschullehramt und werden ins Beamtenverhältnis auf Probe übernommen. Für die 27-Jährige eine interessante Option: „Denn ich wollte ja in dem Beruf arbeiten, den ich gelernt habe.“

So bewarb sie sich an der Conrad-Weiser-Schule und wurde genommen. Rektorin Heidi Ahlers macht aber keinen Hehl daraus, dass sie anfangs skeptisch war: „Ich hatte schon Bedenken“, sagt Ahlers. Denn beim Lehramtsstudium fürs Gymnasium liegt der Schwerpunkt auf dem Fachlichen, an Grundschulen ist hingegen vor allem pädagogisches Wissen gefragt. Wie entwickeln sich Kinder in einem bestimmten Alter? Was kann man von einem Zweitklässler erwarten und was noch nicht? Und wie muss der Unterricht aufgebaut werden, damit die Schüler möglichst viel aufnehmen? Für Tanja Freiesleben war das alles Neuland, als sie nach den Sommerferien zum ersten Mal vor einer Grundschulklasse stand. „Ich wurde ziemlich ins kalte Wasser geworfen“, erinnert sie sich.

Auch die Fächer waren neu für sie. Statt Französisch und Spanisch unterrichtet Freiesleben jetzt Deutsch, Englisch, Sachkunde, Musik und Kunst. Klassenlehrerin ist sie aber noch nicht, und Rektorin Ahlers hat bei der Einteilung darauf geachtet, dass ihre Fächer in der jeweiligen Parallelklasse von einer erfahrenen Lehrerin unterrichtet werden. Mit diesen Kolleginnen steht die 27-Jährige in einem engen Austausch: „Wir telefonieren zu allen Tages- und Nachtzeiten“, erzählt sie lachend.

Der Mittwoch ist Fortbildungstag: Dann besucht Tanja Freiesleben einen Kurs am Lehrerseminar in Schwäbisch Gmünd oder hospitiert bei erfahrenen Kolleginnen. So wächst sie langsam in ihre neue Aufgabe hinein und weiß inzwischen auch die Vorzüge der Grundschule zu schätzen: „Das Verhältnis im Kollegium ist hier viel herzlicher und persönlicher.“ Auch die Bindung zu den Kindern sei enger: „Man bekommt von den Schülern mehr Bestätigung als am Gymnasium.“ Auch Heidi Ahlers hat ihre Vorbehalte gegenüber der Quereinsteigerin längst aufgegeben: „Sie ist für uns ein Glücksfall“, sagt sie heute.

Bevor sich die Remshaldenerin offiziell Grundschullehrerin nennen darf, muss sie im Sommer noch zwei Lehrproben und eine mündliche Prüfung überstehen. Eine Rückkehr ans Gymnasium ist für Tanja Freiesleben im Moment kein Thema, obwohl sie als Studienrätin jeden Monat 800 Euro netto mehr verdienen würde. „Das muss ich akzeptieren“, sagt sie. Wichtiger als Geld ist ihr aber das Gefühl, gebraucht zu werden. Und das wird sie in Großaspach: Eltern, Kolleginnen und Schüler sind froh, dass sie da ist. Und weil die Conrad-Weiser-Schule als Gemeinschaftsschule auch eine Sekundarstufe hat, darf sie jetzt sogar eine sechste Klasse in Französisch unterrichten. „Das hat mich natürlich besonders gefreut“, sagt Tanja Freiesleben und hadert nicht mehr mit der Vergangenheit: „Ich habe hier meine Schule gefunden.“

Info
Lehrermangel an Grundschulen

An den Grundschulen in Baden-Württemberg fehlen Lehrer. Zu Beginn des Schuljahrs 2018/19 konnten landesweit 370 Stellen nicht besetzt werden. Grund für den Mangel ist, dass zuletzt mehr Lehrer pensioniert als neue ausgebildet wurden. Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) kritisiert zudem die fehlende Flexibilität vieler Junglehrer, die nicht zu einem Wohnortwechsel bereit seien.

Das Kultusministerium reagiert mit verschiedenen Maßnahmen, unter anderem werden bereits pensionierte Lehrer in den Schuldienst zurückgeholt und die Deputate von Teilzeitkräften erhöht.

Darüber hinaus versucht das Ministerium, Gymnasiallehrern einen Wechsel an die Grundschule schmackhaft zu machen. Die berufsbegleitende Zusatzqualifikation dauert ein Jahr. Wer daran teilnimmt und anschließend mindestens drei Jahre an einer Grundschule unterrichtet, erhält eine Einstellungszusage für eine spätere Übernahme im gymnasialen Lehramt.

Im Rems-Murr-Kreis nehmen 13 Lehrer an dem Programm teil. Die Rückmeldungen sind laut Roland Jeck vom Staatlichen Schulamt unterschiedlich: „In einigen Fällen funktioniert es sehr gut, es gibt aber auch Beispiele, wo es gar nicht passt.“