Wegducken geht nicht mehr

Als Mitglied im UN-Sicherheitsrat muss Deutschland die Stimme außenpolitischer Vernunft bleiben

Von Rainer PörtnerRainer Pörtner

Stuttgart Kurz vor Jahresschluss meldet Russland einen militärtechnischen Durchbruch. Sein Land habe erfolgreich eine Rakete getestet, die mit Hyperschallgeschwindigkeit fliege und alle bisher bekannten Raketenabwehrsysteme überwinden könne, verkündet Präsident Wladimir Putin. Damit verfüge man über „eine Art neue strategische Waffe“.

Es ist nur eine von vielen beunruhigenden Nachrichten, die aus den Zentralen der Weltmächte kommen. Russen und Amerikaner liefern sich, öffentlich kaum beachtet,einen atomaren Rüstungswettlauf. Die bisher gültigen Abrüstungsverträge sind ­extrem gefährdet. Die dritte Weltmacht, China, rüstet in großem Stil auf, ohne dass Peking vertragliche Fesseln beachten müsste. Militärs rund um den Globus arbeiten an Killerrobotern und Cyberwaffen, die bisher durch keinen einzigen internationalen Vertrag geächtet werden.

Es ist höchste Zeit, dass sich Stimmen erheben gegen dieses gefährliche Drehen an der Rüstungsspirale. Deutschland, verkündet Außenminister Heiko Maas, will eine solche Stimme sein und für eine „neue Rüstungskontrollarchitektur“ eintreten. Es gibt sogar die Chance, dass die Wortmeldung aus Berlin etwas mehr Gehör findet als gewöhnlich: Ab dem 1. Januar ist Deutschland für zwei Jahre nicht ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

Die Bundesrepublik rückt zum fünften Mal in diesen illustren Kreis auf. Aber wohl nie zuvor war die Ausgangslage so zwiespältig, ja so widersinnig wie heute. Zum einen sind die Probleme unübersehbar, die nur global – also von den Mitgliedern der Weltgemeinschaft zusammen – gelöst werden können. Das reicht vom Rüstungswettlauf über den Klimawandel und die Migrationsströme bis zu den kriselnden Finanzmärkten. Zum anderen gibt es rund um den Erdball eine Renaissance des Nationalismus. Die Weltpolitik wird aktuell beherrscht von auftrumpfenden Einzelstaaten. Oft gilt das Recht des Stärkeren. Internationale Regelwerke werden missachtet und verhöhnt.

Ausgerechnet in dem Moment, in dem sie gebraucht werden wie lange nicht mehr, sind die Vereinten Nationen als Problemlöser blockiert – und das ganz oben, im Kreis der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats. Zwischen Russen, Chinesen und Amerikanern herrscht ein Misstrauen wie seit den politisch eisigen Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr. Schlimmer: Allen voran die Führungsmacht des demokratischen, freiheitlichen Westens hat sich unterDonald Trumpdem nationalen Egoismus verschrieben.

Wie soll Berlin auf diese neue Lage reagieren? Es gibt auch bei uns Kräfte, die ein Nachahmen von Xi, Putin und Trump empfehlen. Aber mit dem Motto „Germany first“ würde eine Mittelmacht, die wirtschaftlich und politisch so eng verknüpft mit seinen Nachbarn ist wie Deutschland, schnell scheitern. Aus eigenem, langfristigem Interesse muss Deutschland gerade in diesen Zeiten eine Stimme außenpolitischer Vernunft, militärischer Zurückhaltung und einer regelbasierten Weltordnung bleiben. Die Idee der Kooperation über Staatsgrenzen hinweg mag im Moment schwächeln, sie aufzugeben wäre dennoch das Falsche. Besser ist es, sich noch stärker als bisher um die verbliebenen Verbündeten in dieser Frage zu bemühen – in Frankreich, Kanada, Japan und anderswo.

Seit einigen Jahren führen Berliner Spitzenpolitiker das Wort im Munde, Deutschland müsse „mehr Verantwortung“ übernehmen. Spätestens jetzt ist die Zeit der Bewährung da. Wegducken geht nicht mehr. Das gilt auch – und erst recht – gegenüber dem Mann im Weißen Haus.https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.atomare-aufruestung-weniger-vertrauen-als-im-kalten-krieg.fc259724-4a79-47ea-ba0a-ebf0ff7a36b7.htmlhttps://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.trumps-schlimmste-tweets-2018-ich-bin-ein-sehr-stabiles-genie.729887a9-c5f1-4fa9-becf-ded176f19b75.html

rainer.poertner@stzn.de