Weidel will Grabenkämpfe in der Südwest-AfD überwinden

dpa/lsw Böblingen. AfD-Bundestagsfraktionschefin Alice Weidel führt künftig den zerstrittenen baden-württembergischen Landesverband. Sie setzt sich in einer Kampfkandidatur gegen den nationalisistischen Flügel durch - gleichzeitig umgarnt sie die Bewegung von Björn Höcke.

Weidel will Grabenkämpfe in der Südwest-AfD überwinden

Alice Weidel hält beim AfD-Sonderparteitag ihre Stimmkarte nach oben. Foto: Marijan Murat/dpa

Alice Weidel will die zerstrittene Südwest-AfD als neue Landesvorsitzende einen - und dabei auch den völkisch-nationalistischen „Flügel“ einbinden. Mitglieder des Landesverbands wählten die AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag am Samstag mit 54 Prozent auf einem Sonderparteitag in Böblingen zur neuen Landesvorsitzenden. 547 der anwesenden Mitglieder stimmten für Weidel, 419 (41,36 Prozent) für ihren Kontrahenten, den Bundestagsabgeordneten Dirk Spaniel. 42 Stimmen entfielen auf den eher unbekannten Kandidaten Bernd Pühringer (4,15 Prozent). Fünf Mitglieder lehnten alle drei Kandidaten ab, drei enthielten sich.

Der alte Landesvorstand war kurz vor dem Sonderparteitag geschlossen zurückgetreten. Mehrere Kreisverbände hatten auf die Versammlung gedrängt, um ein neues Gremium zu wählen und die andauernde Führungskrise zu lösen. Nach Angaben eines Parteisprechers nahmen mehr als 1000 stimmberechtigte Mitglieder in Böblingen teil. Gegen das zweitägige Treffen der Rechtspopulisten demonstrierten am Samstag mehrere Hundert Menschen vor der Böblinger Kongresshalle.

Der Landesvorstand war zuvor ein Jahr lang von einer Doppelspitze aus Spaniel und Fraktionschef Bernd Gögel geführt worden. Der Machtkampf zwischen den beiden Männern lähmte den Vorstand. Gögel hat nicht mehr kandidiert. Die Mitglieder entschieden in Böblingen, dass es künftig keine Doppelspitze mehr geben soll, sondern nur noch eine Person an der Spitze des Landesverbands.

Die AfD Baden-Württemberg kam 2016 aus dem Stand mit 15,1 Prozent in den Landtag. Nach dem Austritt mehrerer Mitglieder hat die Partei den Status als stärkste Oppositionskraft im Landtag mittlerweile eingebüßt. Durch den Landesverband geht ein tiefer Riss. Wertkonservative Realos ringen mit radikalen Kräften um die Macht. Der völkisch-nationalistische „Flügel“ von Björn Höcke ist stark vertreten im Südwesten. Antisemitismusvorwürfe gegen den mittlerweile fraktionslosen Abgeordneten Wolfgang Gedeon führten 2016 vorübergehend sogar zur Spaltung der Fraktion. Weidel griff bereits 2017 nach dem Südwest-Landesvorsitz - sie verlor damals aber gegen Ralf Özkara, der mittlerweile aus der Partei ausgetreten ist.

Die AfD sei nach der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen „zum politischem Felsen geworden, an dem die etablierten Parteien wie Nussschalen zerschellen“, sagte Weidel in ihrer Bewerbungsrede in Böblingen. Die Südwest-AfD sei ein schlafender Riese und müsse geweckt werden - dann seien Wahlergebnisse wie in Thüringen, Sachsen oder Brandenburg nicht in weiter Ferne. „Ein Landesvorstand, der sich nur mit sich selbst beschäftigt und zerstritten ist, lähmt nur.“ Weidel versprach den Mitgliedern eine Überwindung der Grabenkämpfe und einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Strömungen. Der Flügel müsse mittel- bis langfristig eingebunden werden als Partner. „Der Flügel ist eine ganz wichtige Strömung innerhalb der Partei.“

Weidel lobte auch ausdrücklich Thüringens AfD-Chef Höcke. „Was er letzte Woche geschafft hat, das hat noch keiner vor ihm geschafft“, sagte Weidel. „Dafür gebührt ihm der höchste Respekt.“ Der FDP-Politiker Thomas Kemmerich war völlig überraschend mit Stimmen von CDU, FDP - und maßgeblich von der AfD zum Regierungschef in Thüringen gewählt worden. Es war das erste Mal, dass die AfD einem Ministerpräsidenten ins Amt half - dies löste ein bundesweites, politisches Beben und einen Proteststurm aus. Einen Tag nach seiner Wahl hatte Kemmerich seinen Rücktritt angekündigt.

Spaniel kandidierte nach seiner Niederlage gegen Weidel auch als erster Stellvertreter im Landesvorstand - und verlor gegen den Bundestagsabgeordneten Martin Hess, mit dem Weidel eigentlich eine Doppelspitze bilden wollte. Hess erhielt 547 Stimmen, Spaniel nur 433. Marc Jongen wurde mit 509 Stimmen zum zweiten Stellvertreter gewählt und setzte sich gegen Vizefraktionschef Emil Sänze (412 Stimmen) vom rechten Rand der Partei durch. Markus Frohnmaier, einst der Sprecher Weidels, wurde mit 471 Stimmen zum dritten Stellvertreter bestimmt und gewann gegen die Landtagsabgeordnete Christina Baum, die dem „Flügel“ zugerechnet wird, mit 435 Stimmen.

Fraktionsvize Sänze zeigte sich unglücklich über den Ausgang der Wahlen und sprach von einem „Durchmarsch“ der einen Fraktion. „Das Lager von 45 Prozent hat eigentlich keine Repräsentanz gefunden. Das ist ein Problem“, sagte Sänze am Sonntag. Er habe aber Weidel und dem neuen Vorstand die Zusammenarbeit angeboten. Mit Bezug auf Weidels Haltung zum „Flügel“ sprach Sänze von politischem Pragmatismus. Der „Flügel“ sei ein Machtfaktor in der Partei und Republik geworden, sagte er. „Den sollte man nicht bekämpfen, sondern mit ihm umgehen.“

Der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen, einst selbst Landeschef und Fraktionsvorsitzender in Baden-Württemberg, sagte, die Voraussetzung für eine Befriedung sei mit diesem Personaltableau gegeben. Er sprach von vernünftigen und integren Personen, „die sicherlich nicht die Absicht haben, jetzt Öl ins Feuer zu gießen“. Meuthen sagte zudem, auch Positionen des „Flügels“ seien Teil der AfD. „Zu sagen, der Flügel gehört in seinen Positionen in toto nicht dazu, würde ich für falsch halten“ sagte Meuthen der dpa. „Dazu kenne ich zu viele vernünftige Leute, die sich dem Flügel zugehörig fühlen, mit denen man sehr wohl vernünftig sich austauschen kann.“