Weinprobe via Bildschirm statt Weinmesse

Remstalkellerei hält mit erster Liveverkostung Kontakt zu Weinliebhabern – Das Problem Heimweg ist plötzlich keines mehr

Die Remstalkellerei hat in Zeiten von Corona versucht, mit einer Liveverkostung aus dem tief unter der Erde liegenden Holzfasskeller in Beutelsbach Kontakt zu den Kunden zu halten. Viele Weinzähne hatten sich einen Sechserpack an Frühlingsweinen gekauft und die Flaschen für die Premiere kalt gestellt. Die Premiere kam prächtig an.

Weinprobe via Bildschirm statt Weinmesse

Remstalkellerei-Geschäftsführer Peter Jung und Helen Schmalzried, Chefin der Direktvermarktung, im Holzfasskeller in Beutelsbach. Foto: A. Palmizi

Von Martin Winterling

WEINSTADT. Einen Vorteil hat die Fernverkostung: Man muss sich keinerlei Gedanken machen, wie man nach sechs Weinen wieder sicher nach Hause kommt. Schließlich ist man schon daheim. Auf dem Esstisch sind neben dem Laptop die Gläser aufgereiht und, wie es sich für eine Weinprobe gehört, etwas Brot und Käse zur Geschmacksabrundung bereitgestellt. Es kann losgehen. Auf dem Bildschirm läuft der Countdown herunter. Punkt 18 Uhr am Freitag beginnt Remstalkellerei-TV mit der ersten Liveverkostung aus dem tief unter der Erde liegenden Holzfasskeller in Beutelsbach.

Mit einem trockenen Chardonnay Secco starten Helen Schmalzried, die Chefin der Direktvermarktung im Remstalkellerei-Pavillon, und Geschäftsführer Peter Jung ihre TV-Karriere. Gleich vorweg: Sie machen es gut, zusammen mit Freddi, dem Mann hinter der Kamera, der als Sidekick das Moderatorenduo unterstützt. Und wie es sich für eine Weinprobe gehört, gab es zumindest zu Anfang viel Weinlyrik – von wegen cremig, birnig, mineralisch und so. Das legte sich mit der Zeit. Doch lehrreich blieb das Livetasting bis zum Schluss. So erklärte Peter Jung nicht nur den Unterschied zwischen Secco und Sekt, sondern auch, was es mit Maischegärung oder Blanc de Noir auf sich hat. Und Helen Schmalzried schwärmte vom blutjungen „Rotsekt brut nature“ aus Syrahtrauben, den die Remstalkellerei eigentlich dieser Tage auf einer Weinmesse vorstellen wollte. Schade, die Pro-Wein fiel dem Coronavirus zum Opfer wie alle anderen Veranstaltungen, mit denen Genossenschaften und Weingüter üblicherweise im Frühjahr ihre neuen Produkte an den Mann oder die Frau bekommen wollen.

Was tun, wenn in Zeiten wie diesen Messen und Weinfeste, Hocketsen und Weinproben ausfallen müssen? Bei der Remstalkellerei hockten sich die Verantwortlichen zusammen und überlegten sich eine Alternative. Die Remstalkellerei war übrigens nicht die erste Genossenschaft, die mit ihren Weinen ins Netz ging. Die Lembergerland-Kellerei Rosswag war ein paar Tage früher dran.

Für die Remstalkellerei stellten Peter Jung und Helen Schmalzried ein attraktives Sechserpack Frühlingsweine zusammen – und die Kunden flogen nur so darauf. Mehr als 500 orderten das Paket, stellten die Flaschen für die Premiere am Freitagabend kalt und waren gespannt, ob ein Livetasting übers Internet funktioniert. Tut es. Die Resonanz auf Facebook, wo 110 bis 120 die Weinprobe verfolgten, war durchweg positiv. „Wir fühlen uns wie im Weinkeller“, postete Liane Köritz-Strauß: „Schönes Ambiente!“ Kerstin Schmid lobte: „Ihr seid echt unterhaltsam!“ Und Thomas Fulrich bat bei der dritten Flasche, einem Blanc de Noir aus Trollinger und Lemberger, schon etwas außer Atem: „A bissle langsamer wäre schön!“

Und es war wirklich herausfordernd, das Tempo von Helen Schmalzried und Peter Jung mitzugehen. Auf den Chardonnay Secco folgte ein Weißburgunder trocken aus der Rebsortenlinie. Auf diesen „Klasse Wein zu fairem Preis“, wie Manuel Koch schwärmte, folgte der schwäbische Klassiker Trollinger-Lemberger. Der ist allerdings auf eine derart raffinierte Art ausgebaut, dass selbst einem Trollingerverächter die Geschmacksknospen vor Überraschung platzen. Weiß gekeltert und kühl serviert, entpuppt sich der TL als herrlicher Sommerwein. Peter Jung gab zu, dass der eine oder andere der Tradition verhaftete Wengerter fast rot anlief ob des gewagten TL-Experiments. Schließlich diente der Lemberger einst dazu, dem blassen Trollinger etwas Farbe mitzugeben.

Über die vierte Probe sei der Mantel des Schweigens gelegt. Der Autor verzichtete demütig auf den Gewürztraminer vom Schnaiter Wartbühl, der ihm mit 27 Gramm Restzucker etwas zu süß erschien. Und er erschrak über „Das Vorspiel“, das sich bonbonfarbig ins Glas ergoss. „Da springt einen die Rote Grütze schier gar an!“, meinte denn auch Peter Jung. Respekt für den Mut, den für seine kräftige Farbe bekannten Dornfelder als Rosé auszubauen und mit über 14 Gramm Restzucker abzufüllen. Überraschend gut, dieses Bonbonweinchen.

Es ging auf 20 Uhr zu. Die Stimmung war Schluck für Schluck lockerer geworden. Das zeigten die zunehmend schlüpfrigeren Weinsprüche, die die Zuschauer einforderten: „Es trinkt der Mensch, es säuft das Pferd. Nur heute ist es umgekehrt.“ Den 2017er trockenen Merlot als Finalwein jedoch nur wegzusaufen, das wäre viel zu schade gewesen. – Am 17. und 24. April geht Remstalkellerei-TV übrigens erneut auf Sendung. Keine schlechte Idee.