Weiter keine Wahlrechtskommission: Scharfe Oppositionskritik

dpa Berlin. Wenn etwas „unverzüglich“ geschehen soll - wie lange darf es dann dauern? Im Fall der Reformkommission für das Wahlrecht ist jetzt schon ein halbes Jahr nichts passiert. Die Opposition schäumt.

Weiter keine Wahlrechtskommission: Scharfe Oppositionskritik

Der Bundestag hat derzeit so viele Mitglieder wie noch nie - was sich eigentlich ändern soll. Foto: Michael Kappeler/dpa

Grüne, FDP und Linke im Bundestag kritisieren vehement, dass die von Union und SPD fest zugesagte Kommission zur Reform der Wahlrechts noch immer nicht eingesetzt ist.

„Das ist eine beispiellose Frechheit der Koalition. Hier wurden das Parlament und die Öffentlichkeit gezielt getäuscht und verladen“, sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Linken-Fraktion, Jan Korte, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Seine Grünen-Kollegin Britta Haßelmann monierte: „Mit der Ernsthaftigkeit dieser Ankündigung ist es nicht weit her. Seit Oktober ist dazu kein Beschluss im Bundestag erfolgt.“

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Marco Buschmann, sagte, die Kommission sei „von Anfang an ein Placebo“ gewesen. „Es dient nur den PR-Bedürfnissen der SPD. Insofern wundert es nicht, dass dieses Gremium, das unverzüglich eingesetzt werden sollte, bis heute immer noch nicht existiert.“

Dagegen machte die SPD-Fraktion deutlich, dass sie der Kommission eine hohe Bedeutung zumisst. Diese sei „ein zentraler Baustein, um die Modernisierung unseres Wahlrechts und der Parlamentsarbeit in der nächsten Wahlperiode unter Einbeziehung von Sachverständigen vorzubereiten“, sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer Carsten Schneider der dpa. „Die Kommission ist auch ein Angebot an die Opposition, um wieder zu einem breiteren Konsens zurückzufinden.“

Union und SPD hatten Ende August 2020 in einem nur mühsam zustande gekommenen Kompromiss eine Wahlrechtsreform zur Verkleinerung des Bundestags in zwei Schritten vereinbart. Mit ihren Stimmen wurde am 8. Oktober das Bundeswahlgesetz entsprechend geändert. In der ersten Stufe für die Bundestagswahl im September wurden nur Kleinigkeiten am Wahlrecht geändert. Kritiker stufen diese als weitgehend wirkungslos ein. Selbst Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) stimmte damals nicht für die Wahlgesetzänderung.

Diese beinhaltet auch, dass für die zweite, größere Stufe eine Reformkommission bis zum 30. Juni 2023 Vorschläge machen soll - und zwar auch für Fragen wie ein Wahlalter ab 16 Jahren, eine Verlängerung der Wahlperiode und eine gleichberechtigte Vertretung von Frauen und Männern im Bundestag. Im Bundeswahlgesetz steht dazu auch: „Das Nähere regelt ein vom Deutschen Bundestag unverzüglich zu verabschiedender Einsetzungsbeschluss.“ Diesen gibt es jedoch bis heute nicht.

Nun mache die Kommission auch keinen Sinn mehr, sagte Haßelmann. Die Grünen-Politikerin verwies darauf, dass der Bundestag bis zur Sommerpause nur noch zu sechs Sitzungswochen zusammenkommt. „Eine Kommission könnte jetzt ihre Arbeit überhaupt nicht mehr seriös aufnehmen.“ Sie müsste vom nächsten Bundestag erneut eingesetzt werden. „Die Reformkommission dient der Koalition wohl dazu, die Kritikerinnen und Kritiker in den eigenen Reihen zu besänftigen. Alles in allem eine absolut gescheiterte Wahlrechtsreform.“

Ähnlich fiel Buschmanns Einschätzung aus: „Alles, was die große Koalition zum Wahlrecht bislang gemacht hat, ist eine große Enttäuschung. Sie hat die Gefahr eines XXL-Bundestages in der kommenden Legislaturperiode nicht beseitigt.“ Die Lösung wäre eine angemessene Reduzierung der Zahl der Wahlkreise gewesen. „Das hätte auf dreifache Weise das Größenwachstum gedämpft: weniger Direkt-, Überhangs- und Ausgleichmandate“, sagte der FDP-Politiker.

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