Welcher Islam gehört zu Deutschland?

Islamwissenschaftler Jürgen Wasella beantwortet in einem Vortrag in der Stadtbücherei die wichtigsten Fragen zu diesem Thema

Welcher Islam gehört zu Deutschland?

Jürgen Wasella kennt den Islam und seine Rolle bei den Muslimen in Deutschland.Foto: A. Becher

Von Uta Rohrmann

BACKNANG. Im Rahmen der interkulturellen Wochen zeigen die Stadt Backnang und die Volkshochschule Backnang die Ausstellung „Islam und muslimisches Leben“, präsentiert von der Landeszentrale für politische Bildung.

Am Freitagabend fand die Eröffnung in der Stadtbücherei statt - vor interessiertem Publikum, das in Herkunft, Nationalität, Alter und Weltanschauung durchaus heterogen war. Arabische Klänge schufen gleich zu Beginn eine angenehme Atmosphäre. Der Syrer Samir Aboud, der seit drei Jahren in Backnang lebt, spielte Laute, Mahmoud Alan, wohnhaft in Waiblingen und Kurde aus der Türkei, begleitete die im arabischen Raum ziemlich bekannten Lieder mit dem Cajon. Mittelpunkt der Eröffnungsveranstaltung war das Referat des Islamwissenschaftlers Dr. Jürgen Wasella zum Thema „Religion in der Einwanderungsgesellschaft – Welcher Islam gehört zu Deutschland?“

Was macht den Islam, die Muslime aus? Wasella machte darauf aufmerksam, dass hier von innen oft sehr viel mehr differenziert werde als von außen. Bei genauerer Betrachtung ergibt sich ein nach Herkunft, Glaubensrichtung und Glaubenspraxis durchaus unterschiedliches Bild der rund fünf Prozent konfessionsgebundenen Muslime in Deutschland. Mit gut 2,5 Mio. stammt eine klare Mehrheit aus der Türkei, die rund 550000 Muslime aus Südosteuropa stellen die zweitgrößte Gruppe. 74 Prozent der Muslime in Deutschland seien Sunniten. Die Aleviten seien mit 13 Prozent in Deutschland überrepräsentiert, erklärte der Referent. Sieben Prozent Schiiten, zwei Prozent Ahmadiyya und vier Prozent weitere kleine Gruppierungen seien hierzulande vertreten. Der größte Anteil bezeichnet sich laut einer weiteren Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung als „eher gläubig“, 33,8 Prozent als „sehr gläubig“. „Religion ist für Muslime Identifikationsmerkmal. Hier gibt es einen wesentlichen Unterschied zum Mainstream in der deutschen Bevölkerung, wo Religion als Privatsache betrachtet wird“, betonte der Islamwissenschaftler.

Weiter ging Wasella der Frage nach, was Deutschland ausmacht, was die Bevölkerung verbindet. In diesem Zusammenhang stellte er stark den Begriff der „christlich-jüdischen Leitkultur“ infrage, der eine Tendenz zu Klischees und Zerrbildern in sich trage. Es gebe bei Deutschen jenseits des Grundgesetzes letztlich keinen Wertekonsens, nur noch eine knappe Mehrheit gehöre einer christlichen Kirche an, Juden seien in der deutschen Geschichte nicht nur im Holocaust bekämpft worden. Wasella schloss sich der Stellungnahme des vhs-Verbandes Baden-Württemberg an: „Unsere verbindlichen grundsätzlichen Erwartungen finden sich in unserer Verfassung, dem Grundgesetz.“

Als Antwort auf die Fragestellung, wer den Islam in Deutschland vertritt, erläuterte der Referent, dass es hier verschiedene Stimmen gebe. Etwa 67 Prozent der Muslime seien nicht organisiert. Der Koordinationsrat der Muslime (KRM), der aus vier Gruppierungen besteht (DITIB, ZMD, IR, VIKZ), vertritt 20 Prozent, die Alevitische Gemeinde Deutschlands 13 Prozent. Verschwindend gering, mit einem Anteil von weniger als 0,1 Prozent , nimmt sich der Liberal Islamische Bund aus. Der Islam sei zudem nicht als institutionalisierte Kirche organisiert, es gebe keine Priesterschaft. Vielmehr handle es sich um eine egalitäre Laienreligion, die häufig nach Herkunftsregionen unterteilt sei. Beim Islamismus handle es sich um eine totalitäre Ideologie, die mit rechtsstaatlichen Prinzipien unvereinbar sei.

Wo sind Konfliktfelder mit dem Islam in Deutschland zu sehen? Artikel 4 des Grundgesetzes garantiert Religionsfreiheit. Auf dieser Grundlage können Moscheen gebaut und Versammlungen abgehalten werden. Allerdings gäbe es kein Recht auf das Verrichten islamischer Ritualgebete während der Unterrichts- oder Arbeitszeit; vielmehr könnten Gebete zusammengelegt und verschoben werden. Es könne keine Sonderrechte für den Islam geben. Bei der Gestaltung von Kultur und Alltag hätten Muslime problemlos die Möglichkeit, etwa ihre Speisevorschriften individuell einzuhalten. Problematisch werde es da, wo die Teilnahme am Alltag eingeschränkt werde, Gefühle der Überlegenheit aufkämen oder anderen der Vorwurf der „Unreinheit“ gemacht werde. Es könne nicht sein, dass bestimmte Speisen in Kitas oder Kantinen generell verbannt würden. Zum rechtlichen Bereich betonte der Referent die Unvereinbarkeit von Scharia und Grundgesetz. Hier gebe es durchaus problematische Äußerungen auch von muslimischen Führern, die hierzulande als moderater Mainstream-Islam angesehen würden, wie vom ZMD oder Fethullah Gülen, der auf seiner Internetseite offen für Hinrichtung bei Apostasie (Abfall vom Islam) plädiere. Die Gretchenfrage sei: Wie haltet ihr es mit dem Religionswechsel?

„Integration ist da gelungen, wo sowohl die Ursprungs- als auch die Aufnahmegesellschaft wertgeschätzt wird“, erklärte Wasella. Religionskritik müsse ohne Einschränkung erlaubt sein, dies sei keineswegs islamophob. Islamfeindschaft beinhalte dagegen keine Kritik an religiösen Inhalten, sondern die generelle Ablehnung von Muslimen.

Welcher Islam gehört also zu Deutschland? „Einer, der vereinbar ist mit Säkularismus und freiheitlich-demokratischer Grundordnung, der Scharia absagt und auf alle Überlegenheitsgefühle verzichtet, die zu Abschottung oder sozialer Diskriminierung führen, der freiwillig auf Sonderrechte verzichtet und bereit ist, sich kritisch mit dem eigenen Glauben auseinanderzusetzen“, fasste Jürgen Wasella zusammen.

Die Ausstellung kann noch bis zum 5. Ok- tober zu den regulären Öffnungszeiten der Stadtbücherei besichtigt werden.