Wenn das Gastrecht missbraucht wird

Wir schaffen das! Tatsächlich? (7): Straftaten von Flüchtlingen sorgen für besondere Empörung. Schließlich sind sie als Schutzsuchende nach Deutschland gekommen. Auch in Backnanger Asylunterkünften gab es immer wieder Probleme mit Kriminalität, inzwischen hat sich die Lage aber beruhigt.

Wenn das Gastrecht missbraucht wird

In Backnanger Asylbewerberunterkünften wurde auch immer wieder mit Drogen gehandelt.Symbolfoto: Stock Adobe/Boonchai

Von Kornelius Fritz

BACKNANG. Die Morde an der 15-jährigen Mia in Kandel und an der 19-jährigen Maria in Freiburg haben die Menschen in Deutschland bewegt, genau wie die hundertfachen sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht 2015 in Köln. Die Fälle hatten besondere Brisanz, weil die Täter als Asylbewerber nach Deutschland gekommen waren. Dadurch bekamen die Straftaten auch eine politische Dimension: Manche sahen in ihnen die Folgen einer verfehlten Asylpolitik der Bundesregierung. In jedem Fall haben solche und andere Verbrechen in Teilen der Bevölkerung Ängste geweckt, die von Politikern aus dem rechten Lager auch noch bewusst geschürt wurden. Sind wir in unserem eigenen Land noch sicher?

Für den Raum Backnang kann Dennis Ehrhardt diese Frage mit einem klaren Ja beantworten. „Die Zahl der Straftaten im Zuständigkeitsbereich des Polizeireviers Backnang hat von 2014 bis 2018 kontinuierlich abgenommen“, erklärt der Revierleiter – von mehr als 5000 auf unter 3800. Im vergangenen Jahr sind die Zahlen zwar wieder leicht gestiegen, was aber eher statistische Gründe hat: Bei Telefonbetrug werden neuerdings auch gescheiterte Versuche mitgezählt.

Im Mai 2015 macht die Polizei eine Razzia in der Hohenheimer Straße

Die Behauptung, dass der verstärkte Zuzug von Geflüchteten seit 2015 zu einem Anstieg der Kriminalität geführt hat, ist also objektiv falsch. Das bedeutet allerdings nicht, dass es in und um Backnang keine Probleme mit kriminellen Flüchtlingen gab und gibt. Die meisten Auffälligkeiten habe es im Jahr 2015 gegeben, sagt Dennis Ehrhardt: „Damals hatten wir einige Probleme mit Rauschgiftkriminalität“, so der Backnanger Revierleiter. Das zeigt auch die Statistik, die erst seit fünf Jahren ausweist, ob es sich bei einem Tatverdächtigen um einen Asylbewerber handelt. Von 305 Personen, die 2015 wegen Drogendelikten ermittelt wurden, waren 37 Geflüchtete. Noch höher war deren Anteil bei Diebstählen: 565 Tatverdächtige wurden ermittelt, davon waren 101 Flüchtlinge.

Größere Probleme mit kriminellen Flüchtlingen gab es in Backnang rund um die Asylunterkunft in der Hohenheimer Straße. „Zeugen haben uns berichtet, dass auf dem Gelände der Unterkunft Drogen verkauft wurden“, berichtet Ordnungsamtsleiterin Gisela Blumer. Vor allem Asylbewerber aus Schwarzafrika gerieten ins Visier der Polizei. Überdies gab es auch Hinweise, dass einzelne Bewohner in Kontakt mit international agierenden Einbrecherbanden standen. Am 19. Mai 2015 führte die Polizei deshalb eine Razzia in der Hohenheimer Straße durch. Dabei wurden laut Polizei eine größere Menge Marihuana sowie Diebesgut sichergestellt. Drei Bewohner wurden verhaftet.

Auch im Umfeld der Unterkunft habe es in dieser Zeit immer wieder Probleme gegeben, berichtet Gisela Blumer. Am Fußweg vom Bahnhof zur Maubacher Höhe hätten sich regelmäßig Gruppen von jungen Männern getroffen, die zum Teil Passanten anpöbelten oder diesen den Weg versperrten. Auch wenn es dabei zu keinen Straftaten kam, habe dies zu einem „subjektiven Unbehagen“ geführt. Der kommunale Vollzugsdienst intensivierte daraufhin seine Streifengänge, außerdem engagierte die Stadt einen privaten Sicherheitsdienst.

Als die Zuständigkeit für die Unterkunft im Frühjahr 2017 vom Landkreis auf die Stadt Backnang überging, setzten die Verantwortlichen bewusst auf einen Neuanfang: „Wir haben die Gebäude renovieren lassen und neue Bewohner dort untergebracht“, erinnert sich Gisela Blumer. Außerdem beauftragte die Stadt den Verein Kinder- und Jugendhilfe mit dem sogenannten „Integrationsmanagement“. Seitdem sind in allen größeren Flüchtlingsunterkünften in Backnang regelmäßig Sozialarbeiter vor Ort, die die Bewohner in ihrem Alltag unterstützen, aber auch einschreiten, wenn es zu Konflikten oder strafbaren Handlungen kommt. Zudem achten sie schon bei der Belegung der Unterkünfte darauf, dass die Bewohner im Bezug auf Herkunft, Alter und familiäre Situation halbwegs zusammenpassen. Viele Konflikte lassen sich so von vornherein vermeiden.

Seitdem gebe es in der Hohenheimer Straße und anderen städtischen Asylunterkünften immer weniger Probleme, berichtet Benjamin Wurst, der das Integrationsmanagement leitet: „Insgesamt ist es sehr ruhig in den Unterkünften, trotz der hohen Dichte und der verschiedenen Kulturen, die nebeneinander in den Zimmern wohnen.“ Allerdings sei es nötig, immer ein wachsames Auge auf die Bewohner zu haben, ergänzt Gisela Blumer. In der Hohenheimer Straße fänden deshalb regelmäßig „Stubendurchgänge“ mit einem Drogenspürhund statt. Im Gebäude der ehemaligen Volkshochschule am Etzwiesenberg hat die Stadt nach Hinweisen auf Drogenhandel im vergangenen Jahr eine Videoüberwachung im Eingangsbereich installiert und einige Bewohner, die negativ aufgefallen waren, verlegt. In der Unterkunft wohnen nun hauptsächlich Familien, von Drogenproblemen ist Benjamin Wurst seitdem nichts mehr bekannt.

Auch in der Polizeistatistik tauchen Geflüchtete inzwischen wesentlich seltener auf als vor fünf Jahren. Gab es im Revierbereich Backnang 2015 noch 215 tatverdächtige Asylbewerber, so waren es 2019 nur noch 152. Ihr Anteil an allen Straftätern sank von 9,9 auf 8,1 Prozent, bei Drogendelikten sogar von 12,1 auf 5,2 Prozent. Trotzdem sei es wichtig, dass die Integrationsmanager regelmäßig in den Unterkünften präsent sind und nach dem Rechten schauen, sagt Ordnungsamtsleiterin Blumer. Denn unter den Geflüchteten gebe es nach wie vor einige, „denen Aufsicht guttut“.

Abschiebung dauert oft lange

Ausländer, die gravierende Straftaten begangen haben, können aus Deutschland ausgewiesen werden. Allerdings dürfen Menschen nach der EU-Grundrechtecharta nicht in ein Land abgeschoben werden, in dem ihnen Folter oder unmenschliche sowie erniedrigende Strafen drohen.

Um die Verfahren zu beschleunigen, hat das Innenministerium Baden-Württemberg vor zwei Jahren einen „Sonderstab gefährliche Ausländer“ eingerichtet. Bis Ende 2019 hat dieser nach Angaben des Innenministeriums 100 ausländische Mehrfach- und Intensivstraftäter abgeschoben.

Unter den Abgeschobenen befanden sich auch mehrere Mitglieder eines kriminellen Familienclans aus dem Raum Backnang. Diese waren bereits Ende der 1990er-Jahre im Zuge des Balkankriegs nach Deutschland gekommen und hatten hier zahlreiche Einbrüche, Diebstähle und andere Straftaten begangen.

Gisela Blumer findet, dass die Abschiebung von Asylbewerbern ohne Bleibeperspektive grundsätzlich schneller gehen müsste. Oft scheitere es an Formalitäten, etwa an fehlenden Ausweispapieren. Dabei neigt diese Personengruppe nach Blumers Erfahrung besonders zu Straftaten, denn wer nicht bleiben dürfe, habe auch kein Interesse daran, sich zu integrieren.