Wenn das Kärtchensortieren zu Ende ist

Mateos, Antonela und David haben die Vorbereitungsklasse abgeschlossen – Trotz kleinerer Anfangsschwierigkeiten meistern sie nun den Regelunterricht

Wenn das Kärtchensortieren zu Ende ist

Mateos, Antonela und David (von links) haben die Internationale Vorbereitungsklasse erfolgreich absolviert und streben nun ihren Schulabschluss an. Foto: J. Fiedler

Von Lorena Greppo

BACKNANG. Die Frage nach den Plänen für die Zukunft fördert ganz unterschiedliche Antworten zutage: Antonela (17) möchte gerne im medizinischen Sektor arbeiten, Mateos (14) wäre gern Kfz-Mechatroniker und David (17) weiß noch nicht so recht, wie sein Berufsleben aussehen soll. Eigentlich ganz normale Überlegungen von Schülern, die sich ihrem Schulabschluss nähern. Die Besonderheit liegt darin, dass alle drei vor wenigen Jahren noch in einem ganz anderen Land gelebt haben und kein Wort Deutsch sprachen.

Der Schulbesuch in Deutschland unterscheidet sich mal mehr, mal weniger von dem im Herkunftsland der Schüler, die in der Gemeinschaftsschule in der Taus die Internationale Vorbereitungsklasse besuchen. „In Mosambik tragen alle Uniform“, erzählt beispielsweise Mateos. Auch müssten die Familien für den Schulbesuch bezahlen – obwohl dieser verpflichtend für alle Kinder ist. In Kroatien gehe der Unterricht nur bis 12 oder 13 Uhr – am Nachmittag hätten die Schüler frei, erklärt Antonela. Ganz anders ist es in Portugal, schildert David: „Ich hatte bis 17 Uhr Schule und dann bin ich drei- oder viermal die Woche noch zum Volleyballtraining gegangen. Da hatte man nicht viel freie Zeit.“

In der Vorbereitungsklasse (VKL) werden die Schüler aus verschiedensten Nationen auf den Unterricht in Deutschland vorbereitet. Das bedeutet vor allem eines: Deutsch lernen. Dass so viele verschiedene Nationen vertreten sind, war für Mateos ein ganz neues Erlebnis: „In meiner Klasse in Mosambik war kein einziger Schüler, der aus einem anderen Land kam“, erzählt er. Dass in einer vergleichsweise kleinen Stadt wie Backnang so viele Kulturen aufeinandertreffen, habe er sich nicht vorstellen können. Dennoch berichten alle drei Schüler von einem besonderen Gemeinschaftsgefühl. Das zeige sich noch einmal verstärkt, wenn die Schüler in den „normalen“ Unterricht wechseln. Ehemalige VKL-Schüler helfen sich dann gegenseitig. „Die verstehen, wie schwierig es sein kann. Man fühlt sich nicht gut, wenn man im Unterricht nicht richtig mitmachen kann“, erklärt David. Und auch Antonela bestätigt: „Alle haben die gleichen Probleme, man hält zusammen.“ Und weil die VKL-Schüler vor allem anfangs wenig Berührungspunkte mit den anderen Schülern haben, gehen sie im Schulalltag manchmal unter. Mateos erinnert sich, dass seine Klasse bei der Einteilung am Sporttag vergessen wurde.

Dennoch hat sich viel getan, seit die VKL erstmals an der Gemeinschaftsschule in der Taus Unterricht hatte. Lehrer Matthias Maier erinnert sich, dass die Ausstattung damals noch auf Tafel und Kreide beschränkt war. Inzwischen steht ihm unter anderem ein interaktives Whiteboard zu Verfügung. Hinzu kommen diverse VKL-spezifische Materialien wie Wörterbücher in diversen Sprachen und Spiele zum Erwerb der deutschen Sprache. Der Unterricht in der VKL ist nämlich nicht typisch – das haben auch die Schüler schnell erkannt. „Wir hatten nicht gleich Physik und Chemie“, hebt David hervor. Damit wäre er direkt nach seiner Ankunft wohl auch noch überfordert gewesen. „So war es ein bisschen einfacher.“ Wobei auch die internationalen Schüler ordentlich büffeln mussten. „Der viele Input, 30 Arbeitsblätter in zwei Wochen, das war schon viel.“

Nun sind auch deutsche Jungen und Mädchen im Freundeskreis

Weil die VKL nur vormittags stattfindet, müssen die Schüler auch viel eigenverantwortlich lernen. „Einerseits war es gut, dass wir mehr Freizeit haben“, wägt Antonela ab. „Aber ich wusste auch, dass es gut für mich wäre, wenn ich mehr lernen könnte.“ Weil die Vorbereitungsklasse den Zugezogenen einen geschützten Raum zum Lernen bietet, stellt der Wechsel in den Regelunterricht für sie einen großen Schritt dar. „Am Anfang war es schwer in der normalen Klasse“, sagt Antonela. „Da gibt es keine Spiele mehr, da werden keine Kärtchen sortiert“, fügt sie grinsend an. „Die VKL hat aber auf jeden Fall geholfen“, findet David. Indem sie erst einmal die Sprache auf dem Niveau B2 erlernen, gestaltet sich der Übergang sanfter. Mateos berichtet zudem, dass ihm ein anderer ehemaliger VKL-Schüler zu Anfang unter die Arme gegriffen habe. „Manchmal gibt es Worte, die ich nicht verstehe“, sagt David. Die Lehrer seien aber nett und helfen.

Auch auf persönlicher Ebene ändert sich durch den Übergang einiges. Antonela erzählt, dass sie anfangs das Gefühl hatte, dass die anderen „komisch gucken“. Zuvor habe sie die meiste Zeit mit Jugendlichen verbracht, deren Familien ebenfalls aus der Balkanregion kommen, weil es so leichter fiel, sich zu verständigen. Nun habe sie auch einige Freunde aus Deutschland.

Einen Anteil daran hat auch, dass Antonela im Verein Fußball spielt. Von selbst habe sie sich nicht getraut, bei einem Training reinzuschauen. „Herr Maier wollte unbedingt, dass ich hingehe“, erzählt sie. So fasste sie sich ein Herz. In der Mannschaft werde Deutsch gesprochen, das ist für die 17-Jährige nun kein Hindernis mehr. David hat in einer Volleyballmannschaft in Fellbach Anschluss gefunden. Und auch der Lehrer lernt durch seine Arbeit dazu: Als er sich über die unpünktliche S-Bahn geärgert hat, hat Mateos nur geschmunzelt. „In Mosambik gibt es gar keinen Fahrplan. Man steht einfach an der Haltestelle, bis der Bus kommt“, erzählt er. Das rücke deutsche Verhältnisse in ein anderes Licht.

Zu Hause sprechen die ehemaligen VKL-Schüler für gewöhnlich ihre Muttersprache. „Ich will mein Portugiesisch nicht vergessen“, erklärt David. Mateos hingegen berichtet: „Mein Vater zwingt mich, Deutsch zu sprechen. Er ist Lehrer und will, dass ich schnell Deutsch lerne.“ Denn, das weiß Matthias Maier, Migration bedeute häufig, dass man ein bis zwei Jahre verliert. In Kroatien wäre Antonela etwa längst auf der medizinischen Schule. Trotz mancher Schwierigkeiten haben die drei – und viele weitere VKL-Schüler – in Deutschland ihren Weg gefunden. Mateos absolviert gerade die 8. Klasse, David macht in diesem Jahr seinen Realschulabschluss und Antonela will bis zum Abitur weitermachen.